Der TSV 1860 München ist selten zu beneiden, auch nicht in diesen Tagen. Zum Jahreswechsel stehen die Löwen nur auf Platz 14 der dritten Liga, und in England geschehen gerade Dinge, die bei allen Sechzigern die äußerst schmerzhaften Erinnerungen an den Abstieg in die vierte Liga vor siebeneinhalb Jahren wachrufen. Damals verlor 1860 das Zweitliga-Relegationsspiel gegen Jahn Regensburg und bekam daraufhin aus finanziellen Gründen nicht mal eine Lizenz für Liga drei. Der seinerzeit verantwortliche Trainer, Vítor Pereira, spielte anschließend wie der Klub 1860 erst mal keine Rolle mehr im gehobenen Profifußball. Doch vor zwei Wochen ist er nun wie Phönix aus der Asche aufgetaucht – als neuer Coach des Premier-League-Abstiegskandidaten Wolverhampton Wanderers. In München blieb Pereira unvergessen, weil er zu Beginn vollmundig angekündigt hatte, die Löwen zum Bundesliga-Aufstieg zu führen („go to the top“) – stattdessen ging es steil bergab. Bei den Wolves verhält es sich unter Pereira bisher eher umgekehrt: Es geht von ganz unten langsam aufwärts.
Seit seinem Amtsantritt gelang es dem Portugiesen, die für die hinteren Ränge eigentlich viel zu gute Mannschaft aus der Abstiegszone zu befreien. Die Wolves gewannen die ersten beiden Matches unter Pereira gegen Mitkonkurrent Leicester und gegen Manchester United, zum Jahresabschluss kam ein Remis bei Tottenham Hotspur hinzu. Dadurch ist der Anschluss ans hintere Mittelfeld hergestellt, auf den drei Abstiegsplätzen stehen jetzt die Aufsteiger Ipswich, Leicester und Southampton.

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Damit bietet die Premier League im Tabellenkeller dasselbe Bild wie in der Vorsaison, als letztlich alle Neulinge wieder den Rückweg in die zweite Liga antreten mussten. Der bisher letzte Emporkömmling, der das Oberhaus halten konnte, war Nottingham Forest 2022. Dort war nach dem Aufstieg der gesamte Kader für 200 Millionen Euro ausgetauscht worden, um Qualitätsdefizite auszugleichen – aktuell ist Nottingham sogar sensationell Tabellendritter.
Wolverhampton hatte vor Pereiras Ankunft nur neun Punkte aus 16 Ligaspielen geholt. Nach der Niederlage gegen Ipswich kam es dann zu einem Eklat: Der brasilianische Stürmer Matheus Cunha, einst für RB Leipzig und Hertha BSC aktiv, versetzte bei Tumulten nach dem Abpfiff einem Mitglied des Sicherheitsdienstes einen Ellbogenstoß an den Hinterkopf und entriss ihm die Brille. Englands Verband sperrte den besten Torschützen der Wolves (zehn Treffer) überraschend nur für nur zwei Spiele, dazu gab es eine Geldstrafe von 80 000 Pfund.
Mit Stationen in Brasilien und China erwarb Pereira gewissermaßen Wolverhampton-Kompetenz
Aufgrund der miserablen Gesamtlage feuerte der Vorstadtklub aus Birmingham den englischen Trainer Gary O’Neil. Um den Nachfolger Pereira aus dessen Vertrag bei Al-Shabab in Saudi-Arabien herauszukaufen, wurde eine Million Euro Ablöse fällig. Nach seinem Intermezzo bei 1860 München (Januar bis Mai 2017) hatte der heute 56-Jährige mehrere Saisons bei Klubs in Brasilien und China verbracht; beim Shanghai Port FC blieb er drei Jahre, so lange wie bisher bei keinem anderen Verein. Mit seinen Karriere-Stationen passt Pereira nun in mancher Hinsicht hervorragend ins Profil von Wolverhampton. Denn zum einen stehen im Kader dort vier Brasilianer und fünf Portugiesen. Zum anderen gehört der Klub seit 2016 zum Portfolio des chinesischen Milliardärs Guo Guangchang, der mehrheitlich die Anteile am Konglomerat Fosun International (nicht im Staatsbesitz) hält. Der Verein Wolverhampton ist ein Überbleibsel jener erfolglosen chinesischen Fußballoffensive, die Präsident Xi Jinping einst 2015 ausgerufen hatte.
Seit Jahren plagen die Wolves finanzielle Probleme. Immer wieder wurde deswegen auch über einen Verkauf spekuliert, doch der chinesische Klubvorsitzende Jeff Shi relativierte stets alle Gerüchte und versicherte fortbestehendes Interesse am Klub. In den zurückliegenden Transferperioden musste Wolverhampton aber merklich sparen, um nicht gegen die Finanzregularien der Liga zu verstoßen. Der Verkauf der besten Spieler – unter anderem Matheus Nunes zu Manchester City und Pedro Neto zum FC Chelsea – bescherte Wolverhampton in Summe seit 2023 Einnahmen von knapp 300 Millionen Euro. Zunächst war nach dem Aufstieg 2018 eher viel Geld investiert worden.
Die Wende auf dem Transfermarkt hatte direkten Einfluss auf das sportliche Abschneiden. Nach zwei respektablen siebten Plätzen zu Beginn kommen die Wolves seit Jahren kaum noch aus der unteren Tabellenhälfte heraus. Wie in der Vorsaison fehlt es erneut an Stabilität, neben Leicester stellt man aktuell die schlechteste Defensive der Premier League, im Winter soll die Abwehr verstärkt werden. Mitverantwortlich für zahlreiche Transfers des Klubs ist der Strippenzieher Jorge Mendes, der sich einst als Berater von Cristiano Ronaldo einen Namen machte. Mendes gilt als Vertrauter des Klubchefs Shi, seine Agentur Gestifute besitzt eine Loge im Heimstadion Molineux. Derzeit stehen angeblich sechs Mendes-Spieler in Wolverhampton unter Vertrag – und auch der neue Trainer Pereira zählt zu dessen Klienten.
Bisher hielt sich Wolverhampton am Ende immer irgendwie über Wasser. Dass er erneut den Abstieg verhindern wird, davon ist Vítor Pereira aufgrund der Qualität des Kaders überzeugt. Sollte es ihm gelingen, könnte das auch den Münchner Löwen Mut machen für den Versuch, irgendwann selbst wieder auf die große Bühne zurückzukehren.