Premier League:Vardy feiert Ü30-Party

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Immer noch topfit: Jamie Vardy. (Foto: AP)

Jamie Vardy ist mit 33 Jahren zum ersten Mal Torschützenkönig der Premier League geworden und stellt damit einen Altersrekord auf. Es ist ein weiteres Kapitel seines bewegten Lebenslaufs.

Von Tim Brack

Es gibt nur wenige Fähigkeiten, die im modernen Fußball so geschätzt werden wie Schnelligkeit. Mit ihr wird vieles einfacher. Wer schnell ist, kann seinen Gegner abschütteln, früher am Ball sein, Räume zulaufen, seinen Mitspielern beim Jubel entkommen. Die Tragik an der Schnelligkeit ist, dass sie im Alter am frühesten abhandenkommt, Ausdauer und Kraft bleiben deutlich länger erhalten, Schnelligkeit aber rinnt wie Sand durch die Finger. Unaufhaltsam. Im fortgeschrittenen Fußballeralter müssen sich ehemals schnelle Spieler deswegen oft umorientieren: andere Position, niedrigeres Niveau, neuer Karriereweg.

So ein Schicksal ist auch Jamie Vardy schon prophezeit worden. Mit 33 Jahren steht er im Verdacht, bald nicht mehr allen wegzulaufen. Nur: Vardy wird nicht langsamer. Der Stürmer von Leicester City ist in dieser Hinsicht ein Phänomen. In dieser Saison hängte er sogar die Konkurrenz im Rennen um die Torjägerkrone ab - 23 Treffer gelangen ihm in 35 Spielen. Angreifer wie Pierre-Emerick Aubameyang, Mo Salah, Raheem Sterling oder Harry Kane hatten das Nachsehen. Einen Rekord gab es obendrauf. Mit 33 ist Vardy der älteste Torschützenkönig, den die Premier League bislang hatte. "Vardy is having a party", singen die englischen Fans gerne zu Vardys Ehren. Jetzt feiert er seine persönliche Ü30-Party.

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Der internationale Sportgerichtshof wirft dem Klub zwar vor, die Uefa-Untersuchungen "eklatant" missachtet zu haben. Der einst verhängte Zweijahresbann für den Europapokal sei durch Beweise aber nicht gedeckt.

Ein Gegenentwurf zum Akademie-Fußballer

Im Grunde dürfte es nicht verwundern, dass Vardy erst mit Verzug an die Spitze der Torjäger aufstieg. Er ist das Paradebeispiel eines Spätstarters, bei dem man sich fragt: Was wäre, wenn er früher entdeckt worden wäre? In der Premier League debütierte Vardy erst mit 27 Jahren. Sein Lebenslauf ist mittlerweile so bekannt wie bewegt: Mit 16 sagten sie ihm bei seinem Heimatverein Sheffield Wednesday, er sei zu klein für eine Karriere, Vardy kehrte dem Fußball den Rücken, stellte in einer Fabrik Prothesen her, kam doch zurück zum Fußball, kickte mit 20 in der achten Liga, wechselte mit 25 für eine Million Pfund zum Zweitligisten Leicester City, stieg auf, gewann sensationell die Premier League, spielte in der Champions League, lief für England auf, kickte bei der WM - und jetzt eben: Torschützenkönig.

Allein dieser komprimierte Karriereweg reicht aber nicht, um das Phänomen Vardy zu erklären. Er ist auch der Gegenentwurf zu den perfekt ausgebildeten, unverfänglichen Talenten, die heute in Massen durch die Fußballakademien geschleust werden. Seine Ecken und Kanten machen ihm beim Fußballvolk beliebt, er ist einer von ihnen, der sein Team nach vorne brüllen würde, wäre er nicht auf dem Rasen. Über Vardy weiß man, dass er in Leicester Citys Meistersaison an Abenden vor Partien verdünnten Portwein aus leeren Plastikflaschen trank. Nicht gerade stilvoll, aber authentisch. Seine Ernährung am Spieltag selbst bestand aus einem Energydrink direkt nach dem Aufstehen - auf Ex, versteht sich. Nach dem Frühstück gab es den nächsten Energydrink. Und zur Sicherheit noch einen vor dem Spiel.

Seine Trinkgewohnheiten brachten Vardy auch schon in Schwierigkeiten. Mit 20 musste er für ein halbes Jahr eine Fußfessel tragen, weil er sich in einem Pub geprügelt hatte. "Wenn die Spiele zu weit entfernt waren, war nach einer Stunde Schluss für mich. Ich hätte sonst die Bewährungsauflagen nicht einhalten können", hat Vardy mal erzählt und über die Robustheit des Überwachungsgeräts gescherzt: "Die Fußfessel war wie ein Knöchelschutz. Das Ding war unzerstörbar."

Vardy verändert Ernährung und Spiel

Solche Geschichten sind nicht gerade über viele Premier-League-Profis bekannt. Aber Vardy ist keiner, der so etwas geheimniskrämerisch behandelt. Seine Vita verrät, dass nicht jeder Schritt sitzt, den er geht. 2016 musste Vardy eine Strafe zahlen, nachdem er in einem Casino einen Japaner rassistisch beleidigt hatte. In seiner Biografie schreibt er, das Wort "Rassist" sei ein permanenter Schandfleck, schlimmer als sein Strafregister. "Ich war damals wütend und hatte zu viel getrunken", sagt Vardy. Auch beteuerte er, nicht gewusst zu haben, dass das Wort rassistisch ist. Er gab sich geläutert.

Langsamer ist Vardy nicht geworden, aber etwas ruhiger. Seine Ernährung entspricht schon mehr der eines Premier-League-Profis. Anfang des vergangen Jahres kam dann Brendan Rodgers nach Leicester, unter ihm entwickelte sich der Stürmer noch einmal weiter. Der Leicester-Coach attestierte ihm zuletzt: "Er ist immer noch hungrig, ist super fit und achtet auf sich." In der Corona-Zwangspause trat Vardy sogar als Kleingärtner in Erscheinung, was so gar nicht zu seinem wilden Image passen wollte. Seinem Trainer ist er nur als hart arbeitender Fußballer bekannt. "Er ist ein brillanter Profi und vor Spielen sieht man seine Bereitschaft", berichtete Rodgers zuletzt und würdigte Vardys Wirken bei Leicester City. Er habe den Klub "mehrere Jahre inspiriert".

Auch auf dem Rasen sieht man Veränderungen bei Vardy. Zwar ist er immer noch ein Sprinter mit Marathonläuferlunge, zäh und giftig. Aber er dosiert seine Kräfte jetzt besser, bestreitet nicht mehr jedes Laufduell, sucht sich neue Wege zum Tor. Auch ist er nicht mehr nur der eiskalte Vollstrecker, seine Mitspieler profitieren mehr von ihm im Spielaufbau. Seit dieser Saison gehört Vardy auch zu dem kleinen Kreis von 30 Spielern, die in der Premier-League-Geschichte mindestens 100 Tore geschossen haben. Es spricht nicht viel dagegen, dass Vardy die Zahl nach oben treibt. Und wer weiß, vielleicht verbessert er seinen Altersrekord sogar. Der älteste Torschützenkönig in Englands höchster Spielklasse war Arsenal-Stürmer Ronnie Rooke mit 37. Das war 1948 und die Premier League gab es noch nicht.

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