Süddeutsche Zeitung

Premier League:Peps nächste Kulturrevolution

Der frühere Bayern-Trainer will bei Manchester City mit jenen Ideen gewinnen, die ihn in Barcelona und München zu Erfolgen trugen. Dabei hilft ihm ein Bruder im Geiste.

Von Javier Cáceres, London

Vor ein paar Monaten, als sein Wechsel vom FC Bayern zu Manchester City bestätigt worden war, saß Pep Guardiola, 45, nahe Barcelona bei Freunden an einem reich gedeckten Tisch. In einer Fischerhütte, wo man sich gelegentlich trifft, um Köstlichkeiten des Mittelmeers zu genießen, und redet, über dies, über das.

Es kam natürlich auch die Rede auf das, was ihn in England erwartet, und darauf, wen er als Erstes verpflichten würde, um eine Mannschaft nach seinem Gusto zu verändern, die zwar mit etlichen Millionen gepäppelt wurde, aber nie an das Niveau heranreichte, das sich die Scheichs bei der Übernahme des Klubs versprochen hatten.

Guardiola zögerte keinen Moment, als er sich auf seine Verpflichtung festlegen sollte: "Einen Ernährungsberater!" Die Besessenheit, mit der er über die Körperfettwerte seiner Spieler wacht, ist legendär; er hat sogar Menschen aus seinem weiteren Umfeld, die er aus nachvollziehbaren Gründen für übergewichtig hielt, zum Ernährungsberater geschleift, lange bevor er beim FC Barcelona, seiner ersten Trainerstation (2008-2012), die Ernährung der Mannschaft umstellte.

Nun soll Guardiola Manchester City auf ein neues Level heben. Möglichst sofort

Beim FC Bayern (2013-16) arbeitete er mit Mona Nemmer zusammen, Gerüchten zufolge hätte er sie gern zu City mitgenommen. Doch da kam ihm Jürgen Klopp zuvor, der Trainer vom FC Liverpool hatte Nemmer bereits vorher abgeworben. Wenn man so will, war es eine ernste, strategische Transfermarkt-Niederlage, die Guardiola zu seinem Amtsbeginn bei Manchester City erleiden musste - vor der vielleicht größten Herausforderung seiner Karriere, die am Samstag mit einem Heimspiel gegen den FC Sunderland ihren offiziellen Anfang nimmt.

Das Wort "vielleicht" ist angebracht, weil es nicht so einfach ist, die bisherigen Herausforderungen Guardiolas zu kategorisieren. Wenn er sich als Trainer der zweiten Mannschaft des FC Barcelona nicht durchgesetzt hätte, wäre alles vorbei gewesen, sagte Guardiola unlängst. Doch die Jahre bei Barça und Bayern waren kaum weniger fordernd. Nun soll er Manchester City auf ein neues Level heben. Möglichst sofort. Obwohl er sich zunächst zurechtfinden muss in einer Fußballkultur, die er von innen so wenig kennt wie einst die deutsche, deren Mythen und Legenden ihn aber seit Jahrzehnten faszinieren.

Als Spieler gewann er 1992 mit Barcelona den Europapokal der Landesmeister im Londoner Wembley-Stadion, und der frühere Torwart Andoni Zubizarreta hat einmal erzählt, dass sich Guardiola beim Abschlusstraining mit einem Kameraden darüber stritt, ob die Treppe zur Ehrentribüne wirklich 33 Stufen lang sei.

Als das Finale gegen Sampdoria Genua vorbei war (1:0 n.V.), waren sie gerade oben angekommen, um den Henkelpott in Empfang zu nehmen, als "Zubi", später Manager bei Barça, Guardiola hinter sich sagen hörte: "33! Es sind 33, ich habe sie einzeln gezählt." - "Manchmal denke ich, wir haben das Finale nur gewonnen, um zu erfahren, wie viele Stufen Wembley hat", sagte Zubizarreta.

Der Trainer jener Barça-Mannschaft war der im März dieses Jahres verstorbene Johan Cruyff, und Cruyff ist auch der Schlüssel, um zu verstehen, warum sich Guardiola in Manchester in seinem Element fühlt. Die Klubstrukturen, die er bei Manchester City vorfindet, etwa in Sachen Scouting und Nachwuchsarbeit, kommen seinem Ideal nahe.

Der Grund dafür trägt einen baskischen Namen: Txiki Begiristain, 51. Er spielte von 1990 bis 1995 unter Cruyff mit Guardiola zusammen, war von 2003 bis 2010 Sportdirektor Barças und ist seit 2011 in selbiger Funktion bei City tätig. Begiristain und Guardiola teilen die gleiche Philosophie, ihre Wahrheiten über das Spiel haben sie von Cruyff gelernt. "Wir brauchen genau so viel, um uns zu verstehen", sagte Guardiola auf seiner ersten Pressekonferenz als City-Trainer - und drückte Daumen und Zeigefinger aneinander.

"Es ist wie damals", sagt ein Journalist, der Guardiola aus Barcelona kennt

Guardiola brachte freilich auch Vertraute mit, einige von ihnen hatten ihm schon in München assistiert. Sein persönlicher Berater Manel Estiarte zählt dazu, ebenso Trainer-Assistent Doménech Torrent, Physiotherapeut Lorenzo Buenaventura. Dazu hat er den früheren Arsenal-Profi Mikel Arteta, Torwarttrainer Xavier Mancisidor und City-Legende Brian Kiddy verpflichtet. Ihre bisherige Arbeit kommt einer Kopie der ersten Tage Guardiolas beim FC Bayern nahe - und sie ist Vorbote der nächsten Kulturrevolution, die Guardiola gerade in Angriff nimmt.

"Ich habe Videos der ersten Trainingseinheiten bei Manchester City gesehen, und es ist wie damals", sagt der Journalist Martí Perarnau, der für das 2014 erschienene Buch "Herr Guardiola" ein Jahr lang zum inneren Zirkel Peps Zugang erhalten hatte und das zumeist streng abgeschirmte Training verfolgen konnte. Taktische Konzepte stehen im Vordergrund, Bewegungsmuster, Passfolgen - weniger die Belastungsgrundlagen. Eine entscheidende Frage wird sein, wie schnell seine neue Mannschaft diese Konzepte verinnerlicht. "In den Testspielen hat man gesehen, dass die Spieler vor den Aktionen noch lange nachdenken", sagt Perarnau.

In einer anderen Hinsicht erinnern die ersten Tage in Manchester weniger an die Frühphase bei den Bayern, sondern bei Barça. Während er in München einen europäischen Triple-Sieger übernahm und im Grunde nur Mario Götze und sein Wunschspieler Thiago neu hinzukamen, hatte Guardiola in Barcelona allein durch den Verkauf von Idolen wie Samuel Eto'o oder Ronaldinho einen veritablen Schnitt vorgenommen.

Manchester hat bisher Leroy Sané (Schalke), Ilkay Gündogan (Borussia Dortmund), Nolito (Celta Vigo/Spanien), Oleksander Zinchenko (FK Ufa/Russland), Marlos Moreno (Atlético Nacional/Kolumbien), Gabriel Jesús (Palmeiras/Brasilien) und John Stones (FC Everton/England) für 195 Millionen Euro geholt; dem stehen Einnahmen von knapp 20 Millionen Euro für zehn Spieler gegenüber, von denen elf Millionen auf den früheren Bundesligaprofi Edin Dzeko (AS Rom) entfallen.

Die personellen Umbauten dürften weitergehen, das Transferfester schließt erst Ende des Monats. Da kann noch viel passieren, um Guardiola seinem ultimativen Ziel näherzubringen. "Alle Welt sagt, dass wir die Premier League nicht gewinnen können, wenn wir so spielen wie bei Barcelona oder den Bayern. Und ich sage: warum nicht?"

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3118140
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sz.de/cdo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.