Süddeutsche Zeitung

Newcastle United:Die Käufer, die der Fußball rief

Saudi-Arabien übernimmt Newcastle United, weil die englische Premier League einst entschied, dass der Fußball zum Verkauf stehen darf. In Deutschland ist das anders - und es sollte so bleiben.

Kommentar von Martin Schneider

Am späten Freitagabend konnte man auf der Webseite der englischen Zeitung The Guardian lesen, dass 19 Klubs der höchsten englischen Fußballliga, der Premier League, eine Notstandssitzung einberufen wollen. Grund: Ihnen passe der neue Eigentümer des 20. Klubs, Newcastle United, nicht. Newcastle United wurde einen Tag vorher sozusagen von Saudi-Arabien gekauft.

Es ist so eine Meldung, bei der man die Augenbrauen gar nicht so weit heben kann, wie es angemessen wäre. Denn: Wie soll man sich das vorstellen? Protestiert dann der Eigentümer von Manchester City aus Abu Dhabi, einem Emirat, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, aus moralischen Gründen gegen eine Übernahme durch eine absolute Monarchie, der Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden? Hat Roman Abramowitsch, milliardenschwerer Besitzer des FC Chelsea, Angst, dass der milliardenschwere Fonds die Preise verderben könnte? So eine Notstandssitzung wäre ein Feuerwerk an Widersprüchen.

Aber nach allem, was man weiß, ist es eh zu spät. Newcastle United ist verkauft, an ein Konsortium, an dem der saudische Fonds PIF 80 Prozent hält, dem wiederum Kronprinz Mohammed bin Salman vorsteht. Die Premier League sagt, sie habe Zusicherungen, dass auch in dieser Konstruktion der Staat Saudi-Arabien nicht das letzte Wort hätte. Man möchte schon wieder die Augenbrauen heben.

Dazu die Bilder vor dem St.-James-Park in Newcastle, dem Stadion der "Elstern" (Spitzname des Klubs), auf denen man sah, wie die "Toon Army" (Spitzname der Fans) die Übernahme frenetisch bejubelte. Der bisherige Besitzer, Mike Ashley, war maximal unbeliebt - aber muss man deswegen gleich feiern, wenn der Klub nun Saudi-Arabien gehört?

Man kann es sich nun leicht machen und sagen: Nein, sollte man nicht, und man läge mit dieser Position auf der moralischen Landkarte auch nicht so falsch. Aber vielleicht lohnt es sich doch, sich kurz in die Fans hineinzuversetzen. Warum, fragen manche, darf sich der Flugzeughersteller Boeing oder der Fahrdienstleister Uber oder unzählige andere Firmen saudisches Geld holen und ein Fußballklub nicht? Wieso ist es besser, wenn Manchester City mit Mitteln aus Abu Dhabi sich Pep Guardiola kauft und eine Meisterschaft nach der anderen einfährt? Wieso dürfen wir das dann nicht auch mit Öl-Geld, das ein paar Kilometer weiter landeinwärts gefördert wurde? Und was ist mit Southampton oder West Bromwich, die von chinesischen Geschäftsleuten gekauft wurden?

Die Antwort auf diese Fragen liegt zum einen in der Feststellung, dass Fußball noch nie ein normales Geschäft war (auch wenn er zunehmend so gesehen wird), weil Newcastle United keine Flugzeuge baut, sondern im weitesten Sinne Unterhaltung und - ja - auch Gemeinschaft "herstellt". Und generell gilt die übergeordnete Abwägung, welchen Preis man bereit ist, für Erfolg zu bezahlen und die englische Premier League hat schon vor langer Zeit entschieden, dass ihr der Preis egal ist. Wer den Fußball zum Verkauf anbietet, darf sich nicht wundern, wenn ihm der Kunde nicht passt. Wer Geister ruft, darf sich über den Spuk nicht beschweren. Oder so ähnlich.

In Deutschland wiederum hat man vor langer Zeit entschieden, dass einem der Preis für Erfolg nicht egal ist. Die Bestimmung, die den immer noch herrlich mathematisch-sperrigen Namen "50+1-Regel" trägt, verhindert den Einstieg von Saudi-Arabien. Man muss das so klar sagen. Oder man muss sagen: Sie verhindert ihn vorerst. Denn es wird einsam um die Regel, die besagt, dass Vereine und in letzter Instanz deren Mitglieder entscheiden können, was mit ihrem Fußballklub passiert.

Die Reform des Financial Fair Play birgt große Gefahren

Die Regel gibt es so nur in Deutschland. Um sie zu halten, war es insbesondere für deutsche Spitzenklubs wie Bayern und Dortmund elementar wichtig, dass auf europäischer Ebene eine andere Regel existierte - nämlich das Financial Fair Play (FFP). Während 50+1 die Macht von Investoren in Deutschland beschränkte, beschränkte das FFP ihre Macht auf europäischer Ebene. Sicher, die Regel war und ist löchrig, kann und konnte umgangen werden - aber sie verhinderte immerhin, dass völlig grenzenlos Geld ausgegeben wurde.

Die Regel steht aber nun vor einer Reform - während der Pandemie ist sie ohnehin ausgesetzt, was man auch an den Shoppingtouren von City, Chelsea und Paris Saint-Germain im Sommer sehen konnte. Die Frage ist nun: Kommt in der Neuauflage eine absolute Investitionsgrenze, wie es zum Beispiel der in internationalen Fußballgeldfragen durchaus bewanderte und dem FC Bayern zugewandte Karl-Heinz Rummenigge gerade wieder in der Welt fordert? Oder kommt eine relative Grenze? Dann wären den Finanzströmen kaum noch Mauern gesetzt. In Deutschland würde es schwer werden, 50+1 zu halten und gleichzeitig im europäischen Fußball noch eine Rolle zu spielen.

Wenn aber die Alternative ist, dass sich im Austausch für Erfolg Saudi-Arabien Schalke 04 oder den Hamburger SV kaufen kann - dann sollte man in allen möglichen Institutionen alles dafür tun, dass es nicht soweit kommt.

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