Premier League:Mourinhos Erfolg fußt auf van Gaals Erbe

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Louis van Gaal (re.) und Mourinho - zwei Trainer mit recht ansehnlichem Ego.

(Foto: AFP)

Von Sven Haist, Manchester

Seit vergangenem Sommer vergeht in Manchester kaum ein Tag ohne eine Nachricht über José Mourinho. Seit er das Traineramt bei Manchester United übernahm, haben sich rund um seine Hotelunterkunft im Stadtzentrum Fotografen platziert, um jeden seiner Schritte zu dokumentieren. Nicht einmal seine Familie kann ihm Ablenkung verschaffen; sie lebt weiterhin in London. Die Szenerie erinnert an das Leben eines Goldfischs im Aquarium, der keine Chance hat, sich den Blicken der Neugierigen zu entziehen.

Statt die Krawattenfarben des Portugiesen zu interpretieren, wäre es jedoch möglicherweise verdienstvoller, wenn sich die Reporter zur Abwechslung auf die Spuren seines holländischen Vorgängers begäben: Denn an der Entwicklung, die ManUnited derzeit nimmt, hat Louis van Gaal vermutlich mehr Anteil, als ihm von offizieller Seite zugestanden wird. Im Mai 2016 jagten die Vereinsverantwortlichen den niederländischen Egozentriker nach nur einem Pokalgewinn in zwei Jahren vom Hof. Das klubinterne Klima, so hieß es, habe zu sehr unter seinen eigenwilligen Methoden gelitten.

Zum klubinternen Klima gehört aber auch, dass van Gaal, trotz einiger kostspieliger Fehleinkäufe (Angel Di Maria, Memphis Depay) eine Mannschaft zusammenstellte, die sich in ihrer qualitativen Ausgewogenheit und gesunden Altersstruktur nun unter Mourinho aufmacht, die Klubfarben wieder würdevoll zu vertreten. Das zeigt sich an einem Fakt, der sich nicht einfach durch einen Trainerwechsel herbeiführen lässt.

In der Premier League hat Manchester United - vor dem Schicksalsspiel am Sonntag gegen Arsenal um den Anschluss an Platz vier in der Tabelle - einen neuen Vereinsrekord aufgestellt. Der Rekordmeister ist seit nunmehr 25 Spielen ungeschlagen. Die letzte Niederlage erlitt der Klub am 23. Oktober beim 0:4 gegen den designierten Meister FC Chelsea. Seit Oktober stellt Mourinhos Team auch die beste Abwehr der Liga, so wie in der Vorsaison die Mannschaft van Gaals.

Dazu kommen der Triumph im Ligapokal sowie die Aussicht auf Tafelsilber in der Europa League - eine Trophäe übrigens, die Manchester United noch in der Vereinsvitrine fehlt. Nach dem Hinspiel bei Celta Vigo (1:0) genügt dem Branchenkrösus bereits ein Unentschieden am kommenden Donnerstag im eigenen Stadion zum Erreichen des Finals.

Mourinho erinnert bei jeder Gelegenheit an die Probleme

Diese Europa League, dieser zweitklassige internationale Wettbewerb, hat für ManUnited im Verlauf der vergangenen Monate an Bedeutung gewonnen, weil dem Sieger ein Startplatz in der Champions League für die kommende Saison garantiert wird. Die Tabelle in England weist ManUnited derzeit lediglich auf Rang fünf aus. Es sind die Strapazen der Spielzeit, die eine enorme Verbesserung im Klassement in der verbleibenden Zeit unwahrscheinlich erscheinen lassen: Kein anderer Verein auf der Insel kommt an die 58 Saisoneinsätze heran, die die Red Devils bereits in den Knochen haben.

Bei jeder Gelegenheit erinnert Mourinho an die Probleme, die damit einhergehen, um die Erwartungen der Fans und der Klubverantwortlichen zu dämpfen. Seinem Selbstbild und seiner Reputation als Seriensieger (24 Titel in 15 Jahren) mag es schaden, dass ManUnited erneut nicht mehr eingreifen kann ins Rennen um die diesjährige Meisterschaft; insgeheim aber weiß er, dass die Lage ihm dabei helfen kann, bei dem Klub im Nordwesten Englands zu verharren. Länger als drei Jahre hat Mourinho es bislang bei keinem Arbeitgeber ausgehalten.

Eine seriöse Aufbauarbeit könnte längerfristig wertvoller sein als die Versuchung, den Klub mit ein paar sündhaft teuren Einzelkönnern wieder auf Rang eins zu platzieren - so wie es Geschäftsführer Ed Woodward vor der Saison mit den Neuzugängen Zlatan Ibrahimovic, Paul Pogba und Henrikh Mkhitaryan probierte. Doch die globale Marke Manchester United benötigt glitzernde Transfers, um ihre Attraktivität auf fremden Kontinenten zu unterstreichen. Da spielt es allenfalls eine untergeordnete Rolle, dass Mourinho Profis bevorzugt, die ihm bedingungslos die Gefolgschaft leisten. Seit dem letzten Sommer arrangiert sich der Trainer zum Wohle des Vereins mit den Eigenwilligkeiten von Ibrahimovic. 17 Treffer des schwedischen Angreifers hat das Manchester United in der Premier League eingebracht. Allerdings fällt Ibrahimovic nun seit April mit einem Kreuzbandriss aus. Und die Lücke zum nächstbesten Torschützen bei United, Juan Mata (6 Treffer), ist groß.

An einer Lösung für diese offene Stelle hängt es, wie lange es noch dauert bis ManUnited wieder zu einer gefürchteten Größe im Kampf um die Meisterschaft wird. Die Hoffnung richtet sich auf die einheimischen Youngsters Marcus Rushford (19) und Jesse Lingard (24). Sie haben übrigens ebenfalls unter Aufsicht von Louis van Gaal ihr Debüt im Trikot von Manchester United gegeben.

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