Premier League:Mourinho dressiert Chelsea

Everton v Chelsea - Barclays Premier League

Experte auf dem Gebiet der psychologischen Kriegslist: Chelsea-Coach Jose Mourinho.

(Foto: REUTERS)
  • Seine Krisenarbeit funktioniert: Chelsea besiegt Arsenal, Trainer José Mourinho ist wieder obenauf.
  • Mourinho weiß: Er kann sich bei Chelsea viel mehr erlauben als anderswo.
  • Hier geht es zur Tabelle der Premier League.

Von Sven Haist, London

José Mourinho spritzte sich gerade mit einer Trinkflasche Wasser in den Mund, als sich der ganze Behälter durch eine undichte Stelle entleerte. Genervt pfefferte der Trainer des FC Chelsea die Plastikflasche von sich. Es steht ja immer ein funktionierendes Exemplar in der Trainerzone für ihn bereit, und normalerweise unterzieht er dieses vor dem Gebrauch auch einem Qualitätstest.

Am Mittwochabend aber verzichtete der Portugiese beim Champions-League-Spiel auf eine Materialkontrolle. Dabei hatte er doch drei Tage zuvor nach dem schlechtesten Ligastart seiner Karriere zur Vorsicht gemahnt. Gerade werde jeder Fehler umgehend bestraft, sagte Mourinho. Sogar der Computer habe bei der Teamsitzung gestreikt.

Jetzt auch noch die Trinkflasche. Ist derartig viel Pech möglich? Oder steckt gar Kalkül hinter dem Manöver? Etwa um der Fußballwelt im Notfall suggerieren zu können, wie viele Geister sich gegen Chelsea verschworen haben. Oder um der britischen Medienwelt eine weitere Anekdote zu liefern, auf die sie sich anstelle einer sportlichen Fehleranalyse stürzen kann. Eine Aufarbeitung des Vorfalls mit der Wasserflasche hat es nach der Partie übrigens nicht gegeben; die Blues besiegten ja Maccabi Tel Aviv mit 4:0.

Krisenarbeit an jedem Farbtopf

Chelseas sportlicher Talfahrt wurde also erst mal die Geschwindigkeit genommen. Nach dem 2:0 des Premier-League-Meisters nun am Samstagmittag über Mourinhos liebsten Feind am Fußballtisch, Arsenals Trainer Arsène Wenger, darf davon gesprochen werden, dass der tiefste Punkt überwunden ist. Begünstigt durch zwei Platzverweise des FC Arsenal hat Chelsea jetzt immerhin sieben Punkte in sechs Spielen gesammelt. Die Lage am Trainingsgelände in Cobham hat sich beruhigt; die Krisenarbeit von Mourinho wird sichtbar.

Trainer haben in ihrem Malkasten reichlich verschiedene Tönungen vorhanden, mit dem sie auf ihre Mannschaft einwirken können. Aber kaum ein Fußballlehrer fertigt sein Bild derartig komplex an wie Mourinho. Neben taktischen Änderungen seines Teams hat er zuletzt das Personal umgestellt. Auf einmal saß Kapitän John Terry auf der Bank. Dafür fand sich Kurt Zouma in der Startaufstellung wieder: ein Nachwuchsspieler wohlgemerkt. Um die aufkommenden Irritationen über sein Verhältnis zu Terry zu ersticken, umarmte Mourinho ihn nach Abpfiff innig. Selbstverständlich wusste Chelseas Dirigent in diesem Moment, dass die Kameras auf ihn gerichtet waren.

Der Star der Stars steht am Seitenrand

Neben seinem Kader hat Mourinho das Publikum an der Stamford Bridge dressiert. Der Matthew Harding Stand kann mittlerweile förmlich an seinen Gesichtszügen erkennen, was der Dompteur gerne hätte. Am meisten schätzt der 52-Jährige die Mischung aus Wertschätzung und Anbetung. Im besten Fall fordern sich 41.584 Zuschauer gegenseitig dazu auf, sich vor Mourinho zu verneigen - sie singen dann: stand up for the Special One.

Der Meister quittiert es jedes Mal mit einer wohlwollenden Handgeste. Der FC Chelsea hat in Fabregas, Eden Hazard und Diego Costa zwar Stars auf dem Spielfeld, aber der Star der Stars steht am Seitenrand. Diese Aura setzt Mourinho oft ein, um sich bei den Schiedsrichtern eine Bonusposition zu erschleichen. Der Hausherr darf sich gefühlt mehr erlauben als seine Kontrahenten.

Die Medien kleben an Mourinhos Lippen

Geschickt wechselt Mourinho zwischen Kritik an sich und Selbstlob ab. Einmal heißt es: "Ich bin mit meiner Form nicht zufrieden." Dann wiederum: "Ich bin ein fantastischer Trainer, wenn wir gewinnen. Und ich bin ein fantastischer Trainer, wenn wir verlieren." Wer beides, gut und böse zu sich ist, kann diese Kommunikationsform auf den Umgang mit dem Team übertragen.

Überhaupt ist der Trainer-Machiavelli gerade auffallend gut gelaunt und auskunftsfreudig gegenüber den Journalisten. Vermutlich weil er sie als Hilfsmänner ausgemacht hat, um sein im Sommer kaum verstärktes Chelsea wieder nach oben zu führen. Die Medien kleben an seinen Lippen und transportieren seine Botschaften meist ohne Zusatz über die Stadiontribünen hinaus. Mourinho kann seinen Status und das Ansehen des Klubs also selbst bestimmen. Ein Vorteil in windigen Zeiten.

In der sportlichen Kriegslist sind Psychospiele das gefährlichste Instrument, das Mourinho besitzt. Kaum ein anderer Trainer beherrscht dieses Gebiet so umfassend; und kein Profi vermag seine Ideen auf dem Feld besser umzusetzen als Costa. In der jüngsten Episode provoziert und malträtiert Chelseas Stürmer Gabriel Paulista fast eine Halbzeit lang, bis dieser auf eine Tätlichkeit zurückgreift. Der erste Einsatz von Arsenals Innenverteidiger gegen die Blues mündet in eine vorzeitige Hinausstellung. Paulista hat Mourinhos Lieblingsspiel nicht gekannt - game over für Arsenal. Der Code hätte gelautet: "Kontrollier' deine Emotionen!" Das gibt José Mourinho seiner Mannschaft vor jedem Derby mit.

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