Diesmal war Manchester United auf die Wut der eigenen Fans vorbereitet. Der Klub verriegelte sicherheitshalber für eine halbe Stunde alle Zugänge in den Logen- und Mannschaftsbereich des Stadions Old Trafford. Bis kurz vor Anpfiff des Heimspiels gegen den FC Arsenal waren die Pforten mit heruntergelassenen Rollläden abgesichert, den „Directors Entrance“ bewachten neben den Ordnungshütern auch Einsatzkräfte der Polizei. Bei der Revolte im Mai 2021, als wegen der Corona-Pandemie keine Zuschauer im Stadion erlaubt waren, hatten sich noch zahlreiche Anhänger verbotenerweise Zutritt verschafft und mit einer zusätzlichen Blockade des Teambusses eine Spielabsage erzwungen.
Am Sonntagabend ging das Match wie geplant über die Bühne. United trotzte dem Tabellenzweiten Arsenal nach einem wunderbaren Freistoßtor von Kapitän Bruno Fernandes sogar ein 1:1 (1:0) ab. Damit ist der Klub wohl dem Horrorszenario Abstiegskampf noch einmal entkommen – das Polster beträgt 15 Punkte bei noch zehn ausstehenden Spielen. Vor dem Arsenal-Duell hatte die United-Fangruppe „The 1958“ zu einer Rebellion aufgerufen. Ein 1958er-Sprecher fand, der Rekordmeister (20 Titel) würde vor sich hin sterben, weil man vor einem „finanziellen Armageddon“ stehe. Damit ist die miserable sportliche Gesamtsituation mit Tabellenplatz 14 in der Premier League gemeint – sowie die zusammengerechnet 714 Millionen Pfund Schulden, nachdem man seit 2019 durchgehend Verluste verzeichnet hatte. Im vergangenen Geschäftsjahr betrug das Defizit immense 113 Millionen Pfund.
Der Zorn der Anhängerschaft richtete sich gegen die verhasste US-Eigentümerfamilie Glazer, die Manchester United einst im Jahr 2005 übernahm und bekanntermaßen einen Teil des Kaufpreises als Darlehen auf den Verein umschrieb. Aber überraschend auch gegen den neuen Minderheitsbesitzer Jim Ratcliffe: Der Brite entmachtete die Glazers quasi im Februar 2024, als er ihnen für 1,3 Milliarden Pfund 28,94 Prozent der Anteile abwarb. Dabei sicherte er sich auch die Entscheidungshoheit über das Tagesgeschäft des Klubs.
So zogen ungefähr 5000 Menschen knapp eine Meile vom Tollgate-Pub zum Stadion. Auf dem Weg drückten die Leute mit Schmähgesängen und Plakaten ihr Missfallen über die Abwärtsentwicklung des Vereins aus, viele Sympathisanten trugen schwarze Kleidung, wie auf einer Beerdigung. Ein Fan hielt in Anlehnung an den Klubspitznamen „Red Devils“ einen Dreizack hoch, an dem Bilder der Führungsköpfe des Klubs aufgespießt waren.
Allerdings wirkte der Demonstrationszug wie ein verspäteter Karnevalsumzug. Denn seit dem Einstieg Ratcliffes dreht sich nahezu alles bei Manchester United darum, Kosten zu senken. Dieses Ziel ging Ratcliffe direkt bei Vertragsunterschrift an, als er den Glazers bis auf Weiteres alle Dividendenauszahlungen vom Klub strich. Sein rigider Sparkurs setzte sich dann auf allen Ebenen fort, im Management, im Profiteam, auf der Geschäftsstelle – und bei den Fans.
Überall im Klub werden die Kosten gesenkt, 200 weitere Arbeitsplätze sollen wegfallen
Im November gab die Klubführung bekannt, die Ticketpreise für den Rest der Saison zu erhöhen. Alle Heimspielkarten setzte man auf mindestens 66 Pfund (etwa 78 Euro) hoch, vorherige Rabatte für Kinder und Senioren wurden einkassiert. Die Maßnahme, die vermutlich aufzeigen sollte, dass alle Beteiligten zusammenstehen und in dieser schwierigen Lage Einbußen akzeptieren müssen, dürfte der eigentliche Grund für das Aufbegehren der Fans gewesen sei. Dabei war die Anpassung insofern eher symbolisch zu verstehen, als dass zu diesem Zeitpunkt angeblich 97 Prozent aller Tickets für diese Saison bereits abgesetzt waren. Zu den Kartenmodalitäten für die neue Spielzeit hat sich der Verein bisher nicht geäußert.

Premier League:Arsenal hat ein Mittelstürmer-Problem
Der Ausfall von Kai Havertz durchkreuzt das Titelstreben des Klubs. Der Frust bei Trainer Mikel Arteta ist groß – auch, weil seine Wünsche nicht erfüllt wurden.
Einschneidender wirkt da die massive Stellenreduzierung in der aufgeblähten Administration. Ende Juni 2024 beschäftigte United 1140 Mitarbeiter, von denen dann 250 für eine Gesamtabfindung von 8,6 Millionen Pfund entlassen wurden. Nun sollen weitere 200 Arbeitsplätze wegfallen. Im Gespräch mit dem United-Fanmagazin United We Stand erklärte Ratcliffe, dass man schwierige und unpopuläre Entscheidungen treffen müsse, um den Klub wieder nach oben zu führen. Er selbst machte sich angreifbar, indem er vor dieser Saison mit dem angezählten Trainer Erik ten Hag verlängerte und diesen kurz darauf im Herbst kostspielig doch hinauswarf.
Seitdem herrscht ein stringenteres Klima, auch im Profikader des neuen Coaches Rúben Amorim. Als Erstes bekam dies der hochbegabte, aber selbstgefällige Stürmer Marcus Rashford zu spüren – er wurde im Winter zu Aston Villa verliehen. Um den Deal zu ermöglichen, war United bereit, einen Teil dessen Gehalts zu übernehmen. Dasselbe wird über die Leihe von Flügelspieler Antony zu Real Betis berichtet, der einst für 95 Millionen Euro gekommen war. Beide Beispiele belegen die miserable Personalpolitik in der Vergangenheit. Immerhin scheint das neue Vorgehen den Klub, wenn auch auf bescheidenem Niveau, zu stabilisieren. Die Mannschaft spielt einen kompakten Defensivfußball, in dem immer mehr eigene Talente eingebaut werden. Man wolle nicht dauerhaft so spielen und wisse um den Frust, räumte Amorim ein, aber angesichts der Probleme des Klubs müsse man sich für den Moment anpassen. Den besorgten Fans rief der Portugiese zu, es sei klar, dass Manchester United niemals untergehe.
Auch Jim Ratcliffe meisterte die Situation. Er traf schon so früh am Old Trafford ein, dass er seinen Platz bereits eingenommen hatte, ehe die Proteste das Stadion erreichten.