Süddeutsche Zeitung

Liverpool in der Premier League:Klopps emotionaler Ausbruch

Was für eine Revanche: Vor über einem Jahr hatte Everton dem deutschen Coach und Liverpool die Titelverteidigung zerstört - jetzt schlägt ein aufgewühlter Klopp mit seinem Team eindrucksvoll zurück.

Von Sven Haist, Liverpool

Seine Freude über einen nie dagewesenen Coup des Liverpool Football Club wollte Jürgen Klopp allein mit den Fans teilen. Mit einer ähnlich geschmeidigen Körpertäuschung wie sie sein Torjäger Mohamed Salah beherrscht, schüttelte der deutsche Trainer den dicht vor ihm herlaufenden Kameramann auf dem Weg zum Stadionausgang ab. So war im Fernsehen nur aus der Rückperspektive zu sehen, wie Klopp seine berühmte Jubelfaust durch die Luft schleuderte. Die Fans aber hatten den besten Blick. In Klopps emotionalem Ausbruch, der die übliche Siegerfolklore übertraf, dürfte die ganze Wut gesteckt haben, die sich seit dem vergangenen Duell mit dem Stadtnachbarn FC Everton aufgestaut hatte.

Vor über einem Jahr, im Oktober 2020, das lässt sich im Nachhinein kaum anders konstatieren, zerstörte, beziehungsweise trat Everton im heimischen Goodison Park die Titelverteidigung des Lokalrivalen in der Premier League kaputt. In einer kernigen Auseinandersetzung begangen Evertons Torwart Jordan Pickford und Angreifer Richarlison zwei bösartige Fouls, wodurch Liverpool seinen Abwehrchef Virgil van Dijk mit einem Kreuzbandriss für den Rest der Saison verlor - und in der Folge eine Verletzungspechsträhne einsetzte.

Schon in Liverpools engem Meisterschaftsrennen mit ManCity in der Spielzeit 2018/19 sorgte ein torloses Remis gegen Everton für den entscheidenden Punktverlust. Diese beiden Ereignisse hat der durchaus als nachtragend geltende Klopp wohl nicht vergessen, als sein Team nun am Mittwoch zur großen Revanche ausholte. Nach dem Kantersieg bei ManUnited (5:0) fuhr Liverpool mit einem 4:1 in Everton (höchster Auswärtssieg im Merseyside-Derby seit 39 Jahren) den zweiten epochalen Erfolg über einen Erzrivalen hintereinander ein. In dieser Form hat es das in einer Saison noch nie gegeben. Erst einmal, 1925, triumphierte Liverpool innerhalb einer Woche ähnlich deutlich über United (5:0) und Everton (5:1). Allerdings fanden beide Partien damals an der heimischen Anfield Road statt.

Die Leistung dürfe "nicht als selbstverständlich" angesehen werden, sagte Klopp, jeder seiner Spieler verdiene "neun von zehn Punkten". Wie tief die zurückliegenden Vorfälle das Team mitgenommen haben, deutete sich an, als Klopp zugab, dass sie alle "nur Menschen" seien: "Wir sind wie eine Familie und wenn jemand schwer verletzt wird, lässt sich das in der Kabine fühlen." Am meisten pries er den "großen Entwicklungsschritt" seines Teams, sich nicht mehr von Emotionen leiten zu lassen, obwohl der Klub ja "sehr emotional" sei.

Trotz der hitzigen Partie mit ständigen Verletzungsunterbrechungen und sieben gelben Karten bewahrte Liverpool die Nerven - vor allem nach dem Anschlusstor durch Demarai Gray (39.), als die Zuschauer mit infernalischem Lärm versuchten, die Unterlegenheit ihres Teams auszugleichen, das mehr Schwalben (3) als Torschüsse (2) produzierte.

Die Everton-Fans liefern sich ein Scharmützel mit den Klub-Bossen

Die Medien auf der Insel waren sich einig, dass Liverpool und Everton derzeit weiter auseinanderliegen als die beiden Uferseiten des River Mersey. Die Tore erzielten Jordan Henderson (9.), Mohamed Salah (19./64), dessen erster Treffer das 500. Ligator des Klubs in Klopps fünfeinhalbjähriger Amtszeit bedeutete, und Diogo Jota (79.). Mit 43 Ligatreffern stellt Liverpool aktuell die beste Offensive der europäischen Topligen - und hat in dieser Saison schon jetzt in etwa so viele Tore erzielt wie Everton in einem Jahr.

Der Stadtrivale der "Reds" wiederum wartet nun seit acht Spielen auf einen Sieg. Massenweise verließen die Zuschauer aus Protest vorzeitig das Stadion. Fast anarchisch ging es später nach Abpfiff zu, als einige Fans sich auf der Haupttribüne an die Führungsriege um Fußballchef Marcel Brands, 59, und den Vorsitzenden Bill Kenwright, 76, wandten. Diese mussten sich am Treppenausgang an ihnen vorbeizwängen.

Einer schrie Fußballchef Marcel Brands ins Gesicht, er solle verschwinden ("Get out of this club!") und fragte: "Haben Sie diese Spieler ausgewählt?" Statt das Scharmützel zu ignorieren, entgegnete Brands sarkastisch, ob es denn "nur die Spieler" seien. Damit spielte er auf den Unmut der Anhänger an, die auf eine Entlassung des gänzlich unbeliebten Trainers Rafael Benítez drängen. Als früherer Liverpool-Coach hat sich der zu Saisonbeginn eingestellte Spanier zum Sinnbild des Absturzes entwickelt. In keinem der Heimspiele ist je sein Name erwähnt worden - bis ihn nun die Gästefans aus Schadenfreude frenetisch feierten.

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