Premier League:Sieben Punkte Vorsprung für Leicester City - und ein Verdacht

Leicester City v Southampton - Barclays Premier League

Feierlaune: Danny Drinkwater und Leonardo Ulloa nach dem 1:0 gegen Southampton.

(Foto: REUTERS)

Der kleine Klub steht kurz vor der Meisterschaft in der stinkreichen Premier League. Ist es ein Wunder? Oder stürzt Leicester über den Dopingskandal um den Londoner Arzt Bonar?

Von Thomas Hummel

Bevor es irgendjemand vergessen konnte, erinnerte Leicester City noch mal daran, wie groß diese Geschichte ist. Eine Geschichte, die für viele ein sportliches Wunder ist. Unerklärlich. Irgendwie übernatürlich. Das Wunder in drei Zeilen:

"3. April 2015 - Letzter. Sieben Punkte entfernt vom Klassenerhalt.

3. April 2016 - Erster. Sieben Punkte Vorsprung.

Ordentliche zwölf Monate."

Ein kleiner Facebook-Post mit einem großen Abenteuer dahinter. So riesengroß, dass wohl bald Bücher darüber geschrieben werden oder Hollywood sich melden wird. Leicester City hat am Sonntag schon wieder gewonnen. Zum vierten Mal in Serie mit 1:0. Der durchschnittliche Klub aus den Midlands hat in der reichen Premier League nun sieben Punkte Vorsprung auf den Tabellenzweiten, Tottenham Hotspur. Bei noch sechs ausstehenden Spielen.

Die Frage wird immer drängender: Wird das Wunder von Leicester wahr? Nach diesem Sonntag kann die Antwort eigentlich nur lauten: Ja. Wenn man die Frage auf den Sport beschränkt. Aber dazu später.

Wes Morgan - ein Ex-Gescheiterter

Nun entscheidet ja sogar Innenverteidiger Wes Morgan Spiele. Sein Kopfball kurz vor der Halbzeit war am Ende das einzige Tor gegen den FC Southampton. "Ich bin oft aufgezogen worden, weil ich die ganze Saison noch nicht getroffen habe", erzählte Morgan danach grinsend, "die Jungs zum Schweigen zu bringen, ist fantastisch."

Der Werdegang von Wes Morgan steht sinnbildlich für seine Mannschaft, wie der fast all seiner Mitspieler. Mit 15 Jahren wurde er in der Jugendakademie von Notts County aussortiert, mit 19 kickte er bei Kidderminster Harriers in der vierten Liga, dann zehn Jahre lang für Nottingham Forest in der zweiten und dritten Liga. Als der 1,88 Meter große und bullige Innenverteidiger für eine Million Pfund Ablöse nach Leicester kam, trauten ihm nur wenige zu, in der Premier League mithalten zu können. Zusammen mit dem ebenfalls großen und bulligen Berliner Robert Huth bildet er heute die stabilste Innenverteidigung der Liga.

Von den vergangenen sechs Partien hat die Mannschaft fünf mit 1:0 gewonnen. Sie lässt sich weit nach hinten fallen, stellt sich mit einer Fünferkette an den eigenen Strafraum, davor steht eine weitere Verteidigungslinie mit drei bis vier Mann. Die allermeisten Gegner reagieren ratlos und konzeptlos auf dieses Bollwerk. Gelingen den Gegenspielern Flanken in den Strafraum, gewinnt Leicester praktisch jeden Kopfball, Weitschüsse wehrt Torwart Kasper Schmeichel zuverlässig ab. Und wie gegen Southampton hilft im Zweifel das Glück: Gäste-Stürmer Sadio Mané brach einmal durch, umkurvte Schmeichel, schoss aber nicht ins leere Tor, sondern Verteidiger Danny Simpson an den angelegten Ellbogen. Der Schiedsrichter pfiff trotz Protesten nicht. Auch später nicht, als Robert Huth aus kurzer Distanz der Ball im Strafraum an die Hand klatschte.

Mönche? König Richard? Oder Doping?

Ist das nun Schicksal? Wirken die Taten der buddhistischen Mönche, die im Auftrag des thailändischen Klubbesitzers Vichai Srivaddhanaprabha das Stadion und den Rasen segneten, und den Spielern Talismane überreichten? Oder hält König Richard III. seine Hand über den Klub? Seine unter einem Parkplatz gefundenen Gebeine wurden im März 2015 in der örtlichen Kathedrale bestattet, er fand sozusagen nach 630 Jahren seine Ruhe. Danach hat Leicester auf wundersame Weise noch den Klassenerhalt geschafft - und spielt nun eine "magische Saison" wie Trainer Claudio Ranieri immer wieder betont.

Seit diesem Wochenende liegt allerdings noch eine andere Erklärung auf dem Tisch. Der Londoner Arzt Mark Bonar erzählte bei einer Recherche der Zeitung Sunday Times und des WDR vor versteckter Kamera, dass er unter anderem Fußballer der Premier League mit Dopingmitteln versorge. Es fiel dabei der Name Leicester City. Der Klub versicherte sogleich, alle Anti-Doping-Regeln einzuhalten. Man sei "extrem enttäuscht" darüber, dass diese Berichte veröffentlicht wurden, obwohl es keine Beweise gebe.

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende

Wird die Geschichte der Abgeschriebenen und Durchstarter, wird das Wunder von Leicester am Ende von einem Manipulationsskandal entzaubert?

Noch ist die Beweislage zu dünn, um die Fußballromantiker vom Glauben abfallen zu lassen. Noch bestaunen sie Wes Morgan und seine stählernen Abwehrkollegen, wie sie sich den hochgerüsteten Gegnern entgegenwerfen. Sie bestaunen den bis dato unbekannten N'Golo Kanté, der Spiel für Spiel beweist, derzeit der beste Mittelfeldspieler auf der Insel zu sein. Und natürlich das Offensivduo Riyad Mahrez und Jamie Vardy, das bei den rasanten Kontern vorne ein höllisches Spektakel aufführt.

Sechs Spiele noch. Sieben Punkte Vorsprung. Und ein schlimmer Verdacht. Die Geschichte von Leicester City ist noch nicht zu Ende.

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