Reform in der englischen Premier League:Der Staat übernimmt die Spielkontrolle

Reform in der englischen Premier League: Der Fan hat das Wort: Anhänger des FC Everton zeigen, was sie von Klubbesitzer Farhad Moshiri, Präsident Bill Kenwright und Geschäftsführerin Denise Barrett-Baxendale halten. Der Traditionsklub steht zum Verkauf.

Der Fan hat das Wort: Anhänger des FC Everton zeigen, was sie von Klubbesitzer Farhad Moshiri, Präsident Bill Kenwright und Geschäftsführerin Denise Barrett-Baxendale halten. Der Traditionsklub steht zum Verkauf.

(Foto: Jason Cairnduff/Action Images/Reuters)

Die britische Regierung gründet eine Aufsichtsbehörde, die Investoren und Eigentümer der Premier League künftig genau überprüfen soll. Ein beispielloser Eingriff in die bisher weitgehende Autonomie des Fußballs.

Von Sven Haist, London

Der Fußball gilt seit jeher als schönste Nebensache der Welt. Allerdings ist in England, dem eigentlichen Mutterla­nd des Fußballs, zuletzt auch das Spiel selbst immer mehr zur Nebensache verkommen. Die Eigentümer der Profivereine scheinen ihre Eigeninteressen in diesem Milliardengeschäft zunehmend über die Bedürfnisse ihrer kickenden Belegschaften zu stellen, statt um Tore und Titel geht es für sie eher um Geld, Macht oder Sichtbarkeit. Gerade die Besitzer der Topklubs in der Premier League haben dieses Vorgehen auf die Spitze getrieben - und bekommen dafür nun politisch die Quittung.

Am Donnerstag gab die Regierung in Großbritannien bekannt, eine unabhängige Regulierungsbehörde für den Männerfußball in England zu gründen und in diesem Zug ein neues Lizenzierungsverfahren für die Profiklubs zu verabschieden. Die Einführung eines solchen Aufsichtsgremiums, das den Ligaverbänden weisungsbefugt ist und das Geschäftsgebaren der Vereine überwachen und bei Verstößen sanktionieren soll, ist ein in demokratischen Ländern ziemlich beispielloser Eingriff der Politik in die bisher weitgehende Autonomie des Fußballs. Das Ministerium für Kultur, Medien und Sport feierte die Neuausrichtung selbst als "die radikalste Transformation" in der Historie des englischen Fußballs, und die ist mittlerweile über 165 Jahre alt. Nach einer Konsultationsphase sollen die Pläne so schnell wie möglich "gesetzlich" verankert werden, teilte das Ministerium mit.

Das drastische Konzept zur Umgestaltung beinhaltet unter anderem einen verschärften Eigentümer- und Direktorentest, um sicherzustellen, dass sich die Klubs "in guten Händen" befinden. Dabei soll nicht nur die Integrität der Vereinsvertreter überprüft werden, sondern auch "mit größter Sorgfalt" die finanzielle Nachhaltigkeit des Geschäftsplans und die Herkunft des Vermögens. Dazu wird etwaigen Klubbesitzern untersagt, ohne Rücksprache mit den jeweiligen Fans den Namen, das Wappen und die Trikotfarben des Klubs ändern zu dürfen. Selbst bei einem Verkauf oder einer Verlegung des Heimspielstadions muss eine Genehmigung der neuen Aufsichtsbehörde eingeholt werden.

Diese Behörde wurde auch mit dem Mandat versehen, in den anhaltenden Streit zwischen der Premier League und der für die unterklassigen Profiligen zuständigen English Football League einzugreifen. Beide Parteien haben sich bisher nicht über die Höhe der Solidaritätszahlungen der Erstligisten aus den Fernsehrechte-Einnahmen einigen können. Aber vor allem hat dieses Gremium in Absprache mit dem englischen Fußballverband (FA) die Befugnis, die Vereine von der Teilnahme an neuen Wettbewerben auszuschließen, die "dem heimischen Fußball schaden" könnten. Als Beispiel wird prompt jene European Super League genannt, bei deren versuchter Gründung im April 2021 immerhin sechs englische Spitzenvereine (Arsenal, Chelsea, Liverpool, Manchester City, Manchester United, Tottenham) beteiligt waren. Diese Franchise-Liga hätte die bisherige Wettkampfstruktur aus den Angeln gehoben.

Als Reaktion drohte der damalige Premierminister Boris Johnson mit einer "legislativen Bombe". Ein halbes Jahr später stellte die frühere Sportministerin Tracey Crouch zu diesem Thema ein Arbeitspapier vor: "Fan-led Review of Football Governance" - deren Reformvorschläge nun tatsächlich weitgehend umgesetzt werden. Zwischenzeitlich geriet das Projekt nach dem Johnson-Rücktritt im Sommer 2022 ins Stocken, bis sich der aktuelle Premier Rishi Sunak entscheidend für die Ideen aussprach. Das Projekt, sagt Sunak, werde die Fans "wieder in den Mittelpunkt" rücken, das reiche Erbe und die Traditionen der Klubs schützen sowie den Fußball "für künftige Generationen" bewahren.

Die Regierung verfolgt damit auch eigene Ziele: Fans sind auch Wähler

Damit setzt die Regierung den immer abstruser wirkenden Auswüchsen der durchkapitalisieren Fußballbranche in England ein Stoppschild: der Hochstapelei der Unterklasseklubs sowie dem Größenwahn der Spitzenvereine. Der Lizenz-Entzug des wirtschaftlich zugrunde gerichteten Viertligisten Bury FC im August 2019 sowie weitere drohende Insolvenzen im Zuge der Corona-Pandemie entfachten einen moralischen Aufstand im Land.

Die zweifellos gutzuheißende Operation wird allerdings in der Öffentlichkeit verkauft, als würde sie ausschließlich im Auftrag der Fans erfolgen, wobei nicht mal richtig klar ist, wer mit "Fans" überhaupt gemeint ist. Dabei verfolgt die Regierung in dieser Sache ebenso ihre eigenen Ziele wie die meisten Klubeigner - schon allein aus dem Grund, weil die meisten Fans in Großbritannien natürlich auch Wähler sind.

Mit dem Kern der Maßnahmen sichert sich der Staat die Kontrolle über den englischen Fußball, insbesondere der Premier League und deren Klubeigentümer. Aufgrund der weltweiten Attraktivität gehört die Liga zu den wichtigsten Exportschlagern des Landes. Die Vereine locken internationale Investoren an und ziehen Aufmerksamkeit auf sich. Und zu Hause, auf dem heimischen Markt, schaffen sie Arbeitsplätze und werfen Steuern in Milliardenhöhe ab. Daher hätte eine Abspaltung der Spitzenklubs die Premier League von allen europäischen Ligen wohl am empfindlichsten getroffen - speziell die Eigner all jener Klein- und Mittelklassevereine, die von den gleichmäßig verteilten Fernseherlösen in England profitieren. Entsprechend positiv wurde der Schritt seitens der Verbände aufgenommen. Die Premier League sprach von einem "bedeutenden Moment" und erkennt einen "notwendigen Wandel" in der Führung von Vereinen.

Weit weniger erfreut reagierten erwartungsgemäß die Premier-League-Vereine selbst auf die neue Überwachung. David Sullivan, Miteigentümer bei West Ham United, schimpfte sich über die Regierung aus und bezeichnete die Regulierungsbehörde mit ihrem sicher "riesigen Mitarbeiterstab" als "totale Geldverschwendung". Der Grund: Die Vereine in der Premier League sollen gemäß ihren Jahreseinnahmen den Großteil der Kosten tragen. Den Klubs dürfte vermutlich nur die weiter unten stehende Erwähnung gefallen haben, dass das bestehende Visasystem im Fußball überprüft werde. Denn seit dem Brexit ist es den Vereinen nicht mehr erlaubt, nicht volljährige Spieler aus Europa zu verpflichten.

Je nachdem, wie die Details der Reformen und anschließend die Konsequenz ihrer Umsetzung aussehen, könnte das Spiel selbst in England fortan wieder mehr an Bedeutung gewinnen - und nicht nur das Geschäft.

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