Premier LeagueLiverpool feiert Slot wie Klopp

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Sieht aus wie das Cover eines vor Jahren verschollenen Brit-Pop-Albums, ist aber Anfield: Fans feiern am Sonntag die Meisterschaft des FC Liverpool.
Sieht aus wie das Cover eines vor Jahren verschollenen Brit-Pop-Albums, ist aber Anfield: Fans feiern am Sonntag die Meisterschaft des FC Liverpool. (Foto: Jon Super/dpa)

Im ersten Jahr nach der Ära von Trainer Jürgen Klopp hat sein Nachfolger Arne Slot sogleich die Meisterschaft gewonnen. Auch, weil sich der leidenschaftliche Klub nicht von Emotionen leiten ließ, sondern von computergestützten Erkenntnissen.

Von Sven Haist

Die Fans des Liverpool Football Club feierten die Meisterschaft zusammen mit den Spielern an der Anfield Road so überschwänglich, als hätten sie nie eine miterlebt. Und für die meisten Anhänger traf das nicht nur redensartlich zu. Denn der alte Leidenschaftsklub vom River Mersey hat zwar schon im Jahr 2020 eine zwischenzeitlich seit dem Jahr 1990 andauernde Meisterflaute beendet. Doch den Ligatriumph erlebte das Liverpooler Stammpublikum damals wegen der Pandemie nur von zu Hause aus. Die entgangenen Feierlichkeiten wurden nun am Sonntagabend nachgeholt, zumal der jüngste Titel in der Premier League nicht irgendeiner ist, sondern die zusammengerechnet 20. Meisterschaft des Klubs in England – womit die Reds mit dem Rekordhalter Manchester United gleichgezogen haben.

„On Kop of the world“, an der Spitze der Welt, schmachtete das in Liverpool ungeliebte Boulevardblatt Sun in einem Wortspiel aus der Fantribüne Kop, dem historischen Triumph und der Tatsache, dass die englische Liga als die gerade weltweit stärkste angesehen wird. Liverpools Meisterschaften durchbrechen den Reigen von Manchester City, das sich sonst seit der Saison 2017/18 alle Titel gesichert hat. Liverpools Spieler hüpften am Sonntag wie kleine Kinder über das Spielfeld und stellten sich dann zusammen mit Trainer Arne Slot vor der Fankurve auf, um die Klubhymne „You’ll never walk alone“ zu singen. Sogar das Wetter war herrlich im sonst grauen Anfield – die Abendsonne ließ den grünen Rasen golden erleuchten.

Angesichts der Partystimmung geriet fast in Vergessenheit, dass zuvor noch ein Fußballspiel gegen Tottenham Hotspur stattgefunden hatte, bei dem Liverpool ein Remis benötigt hatte, um den Titel dingfest zu machen. Zweifel daran kamen nie auf, weil die Reds beim 5:1 (3:1) ein ähnliches Feuerwerk auf dem Platz abbrannten wie die Zuschauer mit ihren roten Rauchtöpfen auf den Tribünen. Nur der Rückstand durch Dominic Solanke in der zwölften Minute erinnerte kurz an einige knapp verpasste Titelchancen in der Vergangenheit. Dann trafen Luis Díaz (16.), Alexis Mac Allister (24.), Cody Gakpo (34.) und Mohamed Salah (63.), dazu kam ein Eigentor von Tottenhams Destiny Udogie. Kurz vor Abpfiff nahm Slot seine Assistenten bereits in Arm, die Fans feierten ihn mit Chören. Vermutlich hätten sie selbst nicht erwartet, dass sie ihn bereits ein Jahr nach dem Tränenrückzug des Säulenheiligen Jürgen Klopp ebenso ins Herz schließen würden. „Arne Slot, na, na, na, na“, schmetterten sie jenen Lobgesang, den Klopp einst auf seinen Nachfolger angestimmt hatte. Dass er dem Niederländer die ihm gewidmete Verehrung hinterließ, passt insofern, als sich alle im LFC über Solidarität definieren. Wegen der gleichen Silben ist es kaum herauszuhören, wer gerade besungen wird, es könnten auch „Arne Klopp“ und „Jürgen Slot“ sein, also beide.

Neun Jahre lang hatte Klopp von 2015 bis 2024 die Reds trainiert, angesichts seiner Erfolge und Beliebtheit wurde er in die Ruhmeshalle des Klubs aufgenommen. Seine Fußstapfen auszufüllen, galt als unmöglich; in Englands Fußball-Öffentlichkeit wurde nicht nur gewitzelt, sondern ernsthaft argumentiert, der LFC solle vor allem einen günstigen Trainer als Nachfolger aussuchen – da man ihn ohnehin sicher bald wieder entlassen müsste. Derartiges hatte sich einst bei Manchester United und Arsenal zugetragen, nachdem die ewigen Trainer Alex Ferguson (27 Jahre) und Arsène Wenger (22) ihre Vereine verlassen hatten. Beide Klubs fielen danach in schwere Krisen. Der LFC ist allerdings unter Arne Slot, 46, genauso erfolgreich wie mit Klopp, 57. Der Trainerwechsel erinnert deshalb an die Weiterführung des Klubs in den 70er Jahren. Damals trat der legendäre Bill Shankly zurück und es gab viele, die mutmaßten, alles würde nie mehr so sein wie unter ihm. Doch dann führte dessen Assistent Bob Paisley die Reds zu noch größeren Erfolgen. Shankly war der Menschenfänger, Paisley der Rationalist – so ähnlich könnte man das auch über Klopp und Slot sagen.

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Klopps Fußstapfen auszufüllen, galt als unmöglich

Die Ursachen des gelungenen Übergangs in Liverpool lassen sich in technische, sportliche und menschliche Aspekte aufteilen. Anders als Ferguson und Wenger war Klopp nie allmächtig. Er war zwar in alle Vorgänge im Klub involviert, aber sein Fokus lag auf der Mannschaft. Die Steuerung des Vereins oblag dem Vorstand um die Besitzergruppe Fenway, ein Sportinvestmentkonzern mit Sitz in Boston, der dem Börsenhändler John W. Henry gehört. Wie Fenway agiert, beschrieb Henry in der Financial Times. Er zweifle immer an allem, führte er aus, vor allem am eigenen Denken, da es „heute überall zu viel Selbstvertrauen“ gebe. Auf dieser Grundüberzeugung entwickelte der LFC seit dem Fenway-Einstieg 2010, das mit der einstigen Übernahme den Verein vor der Insolvenz bewahrt hatte, eine der vorzeigbarsten Datenbankabteilungen im Fußball. Sie sorgt dafür, dass die meist subjektiv getroffenen Entscheidungen objektiver wurden. Die Funktionäre im Leidenschaftsklub Liverpool lassen sich also nicht von Emotionen leiten.

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Die computergestützten Erkenntnisse machten das Management nach Klopps Rückzug auf Slot aufmerksam, den damaligen Coach von Feyenoord Rotterdam. Man verpflichtete den Niederländer, obwohl dieser bis dahin nie einen Spitzenklub betreut hatte. Slot profitierte bei seinem Start von den gleich gebliebenen Strukturen in der Führungsriege des LFC. Vor dieser Saison kehrte zudem Fußballchef Michael Edwards zurück, der sich zuletzt eine Auszeit genommen hatte. Es gebe „klare Hierarchien“ im Klub, bestätigte Slot. Seine Methodik und Spielweise weisen diverse Übereinstimmungen mit Klopps Vorgehen auf. Die Startelf ist im Vergleich zur Vorsaison gleich geblieben. Nur eine Position hat er neu justiert, im Mittelfeld setzt er statt dem Zweikämpfer Wataru Endo auf den früheren FC-Bayern-Profi Ryan Gravenberch als Taktgeber. Die Truppe musste sich nicht umgewöhnen, aber eintönig wurde es dadurch auch nicht. Grundlegende Änderungen waren nicht erforderlich, weil Klopp eine Mannschaft hinterließ, die nicht über ihrem Zenit war.

Trotz allem wäre die Meisterschaft in dieser Saison nicht möglich gewesen ohne den gegenseitigen Respekt und die Anerkennung von Slot und Klopp. Beide tauschen sich aus, frei von Eitelkeit. Nach dem Titelgewinn sagte Slot am Sonntag, er wolle gar nicht so viel sagen, außer seine Hochachtung vor Klopp ausdrücken - dazu trällerte er diesmal am Stadionmikrofon: „Jürgen Klopp, na, na, na, na“. Um den Titel nicht zu verschreien, lehnte dieser alle Einladungen auf einen Stadionbesuch ab. Seine Rückkehr nach Liverpool kündigte Klopp erst für das Heimspiel gegen Crystal Palace am letzten Spieltag an – zur historischen Meisterfeier.

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