Süddeutsche Zeitung

FC Chelsea:Lampard sucht Argumente

Der im Sommer teuer verstärkte FC Chelsea verliert auch gegen Manchester City deutlich mit 1:3. Trainer Frank Lampard steht zur Debatte - auch, weil er keinen Platz für Kai Havertz und Timo Werner findet.

Von Sven Haist

Wie ein berauschendes Offensivspiel des FC Chelsea aussehen kann, war am Sonntag zu bestaunen. Allerdings nur kurz - in der 92. Minute. Innerhalb von 15 Sekunden kombinierte sich das Team im Heimspiel gegen Manchester City aus dem Mittelkreis nach vorne: dynamisch, präzise, mit Spielwitz und anschließendem Treffer. Die Stafette über acht Stationen sowie sieben Spieler initiierte Kai Havertz, dessen Torvorlage letztlich fast Landsmann Timo Werner vollendet hätte, der nur einen Schritt langsamer war als Torschütze Callum Hudson-Odoi.

Ein wunderbarer Treffer, der jedoch erst nach drei Gegentoren in der ersten Halbzeit fiel. Und der kaum zur Schönfärbung des ernüchternden Resultats taugte. Das 1:3 gegen Manchester City könnte sich für Chefcoach Frank Lampard in den nächsten Tagen als essenziell erweisen - wenn er für sich stichhaltige Argumente sammeln muss, warum der Klub ihm das sehr kostspielig zusammengestellte Team weiter anvertrauen soll.

Quasi mit Abpfiff veröffentlichten die Medien ihre Bestandsaufnahmen zur Lage an der Stamford Bridge, das Sportportal The Athletic schrieb schon im ersten Satz, dass Lampard, 42, in seiner zweiten Saison bei den Blues "ernsthaft in Gefahr" sei. Bei den anderen Medien auf der Insel las sich das ähnlich: "Am Tag der Verzweiflung" (Telegraph) habe Manchester City den "kämpfenden Lampard mit Leid überhäuft", schrieb die Times. Der befinde sich nun "in der blauen Zone" (Guardian) der Chelsea-Trainer, in der Tabellenplatz, Perspektive und Transferausgaben in einer Gewinn- und Verlustrechnung gegeneinander abgewogen werden.

Nach einem Sieg und vier Niederlagen aus sechs Spielen ist Chelsea in der Tabelle der Premier League aus den Europapokalplätzen gerutscht. Aufgrund von Nachholspielen der Konkurrenz könnte sich der Rückstand zum vierten Platz, der zur Champions League berechtigt, bald auf sechs Punkte erhöhen. Bisher hat keiner der besten zehn Vereine der englischen Liga den Trainer geschasst. Auch Chelsea und seinem Technischen Direktor Petr Cech, dem früheren Torwart des Klubs, schwebt dies nicht vor. Cech würde mit seinem ehemaligen Mitspieler Lampard am liebsten die nächste Ära des Klubs prägen. Aber die Königsklasse zu verpassen, kann ziemlich ins Geld gehen - und da kennt Oligarch und Eigentümer Roman Abramowitsch meist keine Gnade.

Thomas Tuchel wäre auf dem Markt

Mittlerweile 17 Jahre herrscht Abramowitsch an der Stamford Bridge, bislang hat noch niemand einen derart miesen Punkteschnitt zu verantworten gehabt wie derzeit Lampard (1,67), nicht einmal schnell abservierte Kollegen wie André Villas-Boas oder Luiz Felipe Scolari. "Wir befinden uns in einer schwierigen Phase, aber jeder Neuaufbau bringt Schmerzen mit sich, hinter den Kulissen und auf dem Spielfeld", verteidigt sich Lampard. Er spüre "die Hitze", das schon: "Aber ich denke nicht nach, was die Leute sagen, weil ich mich nicht ablenken lassen will." Er werde sich auch nicht zu den Gedanken des Vorstands um Klubchefin Marina Granovskaia äußern, das stehe ihm nicht zu. Anders als im Fall seiner arrivierten Vorgänger käme Chelsea eine Entlassung von Lampard, der einen Vertrag bis 2022 hat, vergleichsweise günstig zu stehen - und vor allem würde sich mit dem deutschen Kollegen Thomas Tuchel, der am Heiligabend bei Paris Saint-Germain freigestellt wurde, eine reizvolle Alternative auf dem Markt bieten. Bei seinen Kurzvisiten auf der Insel hat Tuchel nie ein Geheimnis aus seinem Faible für den englischen Fußball gemacht.

Lampard scheitert diese Saison bisher auch daran, die beiden deutschen Nationalspieler im Klub zu integrieren: Für Kai Havertz, 21, und Timo Werner, 24, blätterte der FC Chelsea mehr als die Hälfte jener Viertelmilliarde Euro hin, die der Klub im Sommer für sechs neue Profis ausgab. Andere Zugänge, etwa Torwart Edouard Mendy oder Innenverteidiger Thiago Silva, haben ihren Platz im Team gefunden. Im Falle von Havertz und Werner indes drängt sich die Vermutung auf, dass Lampard die zündende Idee für eine angemessene Verwendung des deutschen Duos fehlt; er vertraut lieber den heimischen Talenten Tammy Abraham und Mason Mount.

Im Mittelfeld okkupiert Spielmacher Mount, nach dem gemeinsamen Jahr bei Derby County einer von Lampards Lieblingsspielern, den Platz, den Havertz einnehmen könnte. Nach dessen Corona-Erkrankung möchte Lampard den früheren Leverkusener Profi nun sorgsam aufbauen - anders als noch zu Saisonstart, als Havertz ohne Vorbereitung die gesamte Angriffslast des Teams schultern sollte. Timo Werner hingegen hat mit der Verbannung auf die linke Angriffsseite zugunsten des Mittelstürmers Abraham im Herbst die Form verloren. Mittlerweile wartet Leipzigs ehemaliger Torjäger seit zwölf Pflichtspielen auf einen Treffer.

Gegen Manchester City durfte Werner nach zehn Ligapartien immerhin endlich wieder von Beginn an durchs Zentrum angreifen. Seine auffälligste Aktion hatte er, als er sich bei der Ausführung einer Ecke selbst mit dem rechten Fuß schmerzhaft gegen das linke Schienbein trat.

Chelsea fehlt eine funktionierende Achse

Verantwortlich für Chelseas Niederlage war in erster Linie jedoch der Fakt, dass der Mannschaft ein Rückgrat fehlt. Während Manchester City munter einen 16-minütigen Torreigen feiern konnte mit Treffern von Ilkay Gündogan (18.), Phil Foden (21.) und Kevin De Bruyne (34.), klaffte bei Chelsea dort eine Lücke, wo eine funktionierende Achse an Spielern dem Team Halt verleihen müsste. Dem ohnehin eher führungsschwachen Team hatte Lampard die wenigen Stützen zu Saisonbeginn genommen: Ohne Not verzichtete der Trainer auf Spielführer César Azpilicueta und den damaligen Abwehrchef Antonio Rüdiger; ebenso haben inzwischen Vize-Kapitän Jorginho, Routinier Olivier Giroud und der degradierte Linksverteidiger Marcos Alonso einen schweren Stand. Hinter vorgehaltener Hand sollen sich einige Spieler über Lampards schroffen Umgang beklagen.

Die letzte Möglichkeit zu umfangreichen Korrekturen bietet sich für Lampard nun in der anstehenden zehntägigen Spielpause der Premier League. Das belanglose Tor zum 1:3 gegen Manchester City hat bewiesen, dass das Personal über die erhoffte Qualität verfügt. Nur muss Lampard die Fähigkeiten auch zur Geltung bringen.

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