Premier League:External Affairs

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Jürgen Klopp nennt Loris Karius zwar einen "fantastischen Torwart", im Tor des FC Liverpool steht er vorerst trotzdem nicht mehr. Der deutsche Keeper wird zum Opfer des Geplauders der englischen TV-Experten.

Von Sven Haist, London

Im europäischen Vereinsfußball hat Gary Neville, 41, gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Zu den 20 Titeln gehören acht englische Meisterschaften, zwei Siege in der Champions League und sogar ein Erfolg bei der Klubweltmeisterschaft. In zwei Dekaden hat er den Strafraum der Red Devils gegen die besten Flügelstürmer der Welt verteidigt. "Als Abwehrspieler geht man auf einem schmalen Grat", sagte Neville einmal. Das Problem sei: "Geht man nahe ran an den Gegner, spielen sie den Ball über dich. Bleibt man auf Abstand, nimmt der Spieler den Ball an und dribbelt dich aus."

Seine Lust auf Zweikämpfe ist auch fünfeinhalb Jahre nach seinem Rücktritt geblieben. Bloß werden die Duelle nun nicht mehr sportlich auf der rechten Abwehrseite ausgetragen, sondern verbal im Fernsehen und im Netz, er ist jetzt ein sogenannter Experte. Und seine Attacken haben nicht mehr das Feingefühl von früher. Das bekommt gerade Loris Karius zu spüren.

Neville hat es abgesehen auf den 23 Jahre jungen Torwart aus Biberach an der Riß, der auf der Insel keine Titel gewonnen, dafür zuletzt jedoch mehrere Gegentore verschuldete - und vor dem Spiel seines FC Liverpool am Montag gegen Everton seinen Platz im Tor verloren hat. Im Sommer wechselte Karius aus Mainz auf die Insel, doch er tat sich von Beginn an schwer im neuen Umfeld. In der Vorbereitung brach sich der fünf Millionen Euro teure Neuzugang die Hand, musste zwei Monate pausieren.

Im Herbst dann wurde Karius zum Stammtorwart. Dafür hatte ihn ja Jürgen Klopp, Liverpools Trainer, extra aus Deutschland geholt. "Er war ein wirklich starker Bundesliga-Schlussmann. Das bedeutet viel, weil Deutschland eine Torwartnation ist", sagt Klopp. Für Mainz absolvierte Karius 93 Pflichtspiele. Keines davon hatte jedoch eine solch weitreichende Wirkung wie die Spiele in der Premier League, die überall auf der Welt gezeigt werden. Als Karius endlich für Liverpool spielen durfte, traute er sich kaum zu, die Torlinie zu verlassen.

Liverpool hat außerdem den Luxus mit Mignolet und seinem deutschen Konkurrenten zwei gleichwertige Torhüter zu haben, allerdings gehört derzeit keiner zu den besten auf der Insel. Bei den Punktverlusten an den vergangenen Spieltagen gegen den AFC Bournemouth (3:4) und West Ham (2:2) ließ Karius den Ball bei vermeintlich haltbaren Schüssen ins Netz gleiten. Nach 16 Spieltagen haben die Reds als einziges von allen Spitzenteams schon 20 Gegentore hinnehmen müssen. Das bekam Karius jetzt vom englischen Expertentum zu spüren.

Karius Gegenspieler ist nicht nur Gary Neville - auch Jamie Carragher mischt mit

Auslöser für den verbalen Tumult danach waren 35 Sekunden in einem 50 Minuten langen Interview, das Karius vor der Partie in Bournemouth zusagte, aber erst nach seinem Fehler im Spiel führte. "Mir ist es egal, was Gary Neville erzählt. Er war ein Topspieler, dann war er Trainer für kurze Zeit und nun ist er wieder Experte." Die Aussage war der Rückpass an die Kritik von Neville, der fand, dass der Torwart Unruhe auf seine Vorderleute ausstrahle.

In Karius' Auflistung, die keine faktischen Fehler enthält, befindet sich ein pikantes Detail, das Neville gerne unter den Tisch kehren möchte. Bei seiner ersten Station als Cheftrainer gewann er mit dem FC Valencia nur drei von 16 Partien, nach vier Monaten war Schluss. Ebenso war er beim peinlichen EM-Aus der Engländer gegen Island involviert: als Assistent von Nationaltrainer Roy Hodgson.

In der Angelegenheit um Karius mischte von Beginn an neben Anstifter Neville noch Jamie Carragher mit, was die Sache deutlich verkomplizierte. Die Liverpool-Legende hatte an Karius' Ausstrahlung herumgemeckert und wies dessen verbale Gegenwehr zurück: "Halt den Mund und mache deine Arbeit". Die Wortwahl Carraghers löste einen Domino-Effekt aus, der Nevilles Bruder Phil ("Mache deinen Mund zu und tue deine Arbeit" - Adressat Loris Karius) erreichte, dann Dietmar Hamann ("Carra ist völlig daneben. Abscheuliche Kommentare" - Adressat Jamie Carragher) und auch Jürgen Klopp ("Er hat bereits gezeigt, dass er sich mit der Beurteilung von Spielern schwer tut." - Adressat Gary Neville).

"Ich weiß, was für ein fantastischer Torwart Loris ist", sagt Klopp

Klopp versuchte am Mittwoch die Kettenreaktion zu stoppen, indem er Karius in Middlesbrough (3:0) auf die Bank setzte und seinen Ersatztorwart Simon Mignolet zur neuen Nummer eins machte. Entscheidend war offensichtlich Nevilles Kritik und dessen Wirkung auf Karius: "Ich will nicht jede Woche wechseln. Das war nicht der Plan", sagte Klopp am Freitag: "Ich weiß, was für ein fantastischer Torwart Loris ist." Aber: "Es ist nicht genug, wenn nur ich es weiß." Manchmal müssen man Spieler schützen, indem man sie aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit nehme.

Unabhängig davon, dass Klopp auch ein paar sportliche Argumente für den Torwartwechsel hatte, hat das Zinnober um Nevilles Attacken ein paar Wunden gerissen, wie es sie früher nicht mal nach seinen fiesen Zweikämpfen gab: Es hat die in der vergangenen Saison so vielversprechend aussehende Karriere von Karius vorerst gebremst. Was dem früheren Mainzer nun bevorsteht, ist eine Art Reha. Karius, sagte Klopp, werde die Zeit nutzen, um sich in bestmögliche Form zu bringen. Und das erst mal, ohne Zweikämpfe zu bestreiten.

© SZ vom 18.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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