Premier League:Die Ausgebufften

Fünftes Spiel, fünfter Sieg, dazu auswärts im Wembley-Stadion bei den Tottenham Hotspurs: Der FC Liverpool ist unter ihrem deutschen Trainer Jürgen Klopp spielerisch und taktisch noch nie so abgezockt aufgetreten wie in dieser jungen Saison. Nur einmal wackelt das Team.

Von Sven Haist, London

Mit Torwartfehlern kennt sich der FC Liverpool aus. Oft genug hat der Verein in der jüngeren Vergangenheit erlebt, wie es sich anfühlt, wenn ein Fauxpas seines Schlussmanns zu Punktverlusten führt. Selbst Alisson Becker, den Liverpool im Sommer für 70 Millionen Euro aus Rom verpflichtet hatte, um die Missgeschicke der reichlich daneben greifenden Loris Karius und Simon Mignolet hinter sich zu lassen, verschuldete ein Gegentor. Im Duell mit Tottenham Hotspur am Samstag führte der nächste Torwartpatzer zu einem Treffer. Diesmal nur profitierte Liverpool.

Bei einer einstudierten Eckballvariante positionierten sich die Reds im Fünfmeterraum vor dem niederländischen Torhüter Michel Vorm, der bei den Spurs den am Oberschenkel verletzten Hugo Lloris vertrat. Das verwehrte Vorm, 34, bei seinem fünften Ligaeinsatz in den letzten zwei Jahren die Möglichkeit, sich mit Anlauf auf den Ball zu stürzen. Prompt missglückte ihm die Faustabwehr, die zu kurz geratene Klärungsaktion nutzte Georginio Wijnaldum per Kopf zur Führung. "Das war der Plan. Wir haben im Training daran gearbeitet", sagte Wijnaldum. Der Treffer kurz vor der Halbzeitpause veränderte die Richtung des Spiels zugunsten Liverpools.

Durch das 2:1 bei Tottenham bleibt Liverpool mit Trainer Jürgen Klopp nach fünf Spielen ohne Punktverlust in der Spitzengruppe der Premier League. Der Startrekord des FC Chelsea mit neun Siegen aus neun Spielen in der Saison 2005/06 liegt zwar ein Stück entfernt, aber der Erfolg dient dem traditionsreichen Klub am River Mersey als Beweis, die direkte Konkurrenz um die englische Meisterschaft auswärts besiegen zu können. "Was für ein Spiel von meinem Team! Das war wirklich, wirklich gut. Wenn man gegen Tottenham gewinnt, ist das ein großes Ergebnis", sagte Klopp. "Das war unser bestes Saisonspiel. Die Leistung war so viel besser als das Resultat. Ich bin sehr stolz auf meine Spieler."

In der vorherigen Saison erlitt Liverpool die fünf Niederlagen jeweils auf fremdem Platz, vier davon in Duellen mit den bestplatziertesten Klubs der Liga. Die Resultate gegen Manchester City (0:5), Tottenham (1:4), Manchester United (1:2) und Chelsea (0:1) kosteten den Reds mitunter den Ligagewinn nach 28 Jahren. Das Defensivchaos beschleunigte in Liverpool den Drang, mit hochkarätigen Verstärkungen die Widerstandsfähigkeit zu verbessern. Neben Becker im Tor verleiht Virgil van Dijk mit seiner Umsicht eine beruhigende Stabilität.

Einzig in den Schlussminuten der Partie gegen Tottenham geriet Liverpool kurz ins Wackeln

Fernab der Schlussminuten, in denen Liverpool rund um das Anschlusstor durch Erik Lamela (93.) kurz ins Wackeln geriet, beeindruckte die Harmonie in der Innenverteidigung zwischen van Dijk und Joe Gomez, den Klopp im Hintergrund als Option zum Kroaten Dejan Lovren aufgebaut hat. Obwohl die Spurs in Harry Kane und Lucas Moura eines der besten Angriffsduos besitzen, behielt Liverpool die Kontrolle. Nur bei der Großchance zum Ausgleich durch Moura ließ sich Gomez austricksen, ehe Roberto Firmino mit dem zweiten Treffer die Spannung aus der Partie nahm (54.). Die Spurs bleiben durch die zweite Niederlage nacheinander hinter der Tabellenspitze zurück. "Ist das eine harte Zeit?", fragte Trainer Mauricio Pochettino genervt auf der Pressekonferenz, um die Antwort selbst zu geben: "Hört zu, habt keine Sorge um mich. Mir geht's gut, wirklich gut. Kümmert euch nicht um mich!"

Am Seitenrand konnte Klopp den Abpfiff kaum erwarten, bereits in der Nachspielzeit jubelte er. Das wirkliche Spielende nahm Klopp so gelassen hin, als würde er jede Woche im Wembley gewinnen - dabei war der Triumph vor 80 188 Zuschauern sein erster Pflichtspielerfolg in der Fußballkathedrale auf der Insel nach einer Reihe schwer zu verkraftender Niederlagen: Neben dem verlorenen Finale 2013 in der Champions League mit Borussia Dortmund gegen den FC Bayern verspielte Klopp mit Liverpool 2016 ebenso den Titel im englischen Ligapokal. Den nächsten Fehlversuch gab es in der Vorsaison gegen Tottenham, das Ligaspiel fand aufgrund des Umbaus der White Hart Lane im Wembley statt. Weil Klopp bei seinem Debüt in England auf die Spurs traf, gelten die Auseinandersetzungen mit den Londonern als Indikator für den Leistungsstand der Mannschaft. Die jüngste Darbietung zeigt auf: Die Reds sind unter Klopp noch nie so abgezockt zu drei Punkten gekommen.

Die Frühform gibt Liverpool vor dem Duell in der Champions League am Dienstag mit Paris St. Germain die Gewissheit, das Niveau der letzten Spielzeit wiedererlangt zu haben. Das reichte bekanntlich für die Finalteilnahme in der Königsklasse.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: