Süddeutsche Zeitung

Premier League:Arsène Wenger hat es geahnt

Kommt der Brexit, gelten neue Transfer-Regeln für englische Vereine: Zugänge aus anderen Ländern benötigen eine Arbeitserlaubnis - und manche Trainergeschichten wären kaum noch möglich.

Von Sven Haist, London

Mit der ihm eigenen Weitsicht hat Arsène Wenger das Unheil auf den englischen Profifußball zukommen sehen. Unmittelbar nach dem Referendum zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union im Juni 2016 zeigte sich der damalige Trainer des FC Arsenal besorgt. Im Gespräch mit der Fachzeitschrift France Football warnte er vor den Langzeitfolgen des Votums und prophezeite, die Zukunft der Premier League würde davon abhängen, wie Großbritannien den dann nur noch 27 Mitglieder umfassenden Staatenbund verlässt. Viereinhalb Jahre später präsentierte der englische Fußballverband (FA) in dieser Woche die Auswirkungen des Brexit für die Klubs. Die Stellungnahme bestätigte insbesondere einen: Arsène Wenger.

Sofern sich die Übergangsfrist des Austrittsabkommens zwischen den Briten und den Europäern nicht doch noch über das Jahresende hinaus verlängert, gelten ab dem 1. Januar 2021 neue Regeln für die englischen Vereine bei der Verpflichtung von Spielern. Die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit entfällt. Dadurch benötigen jetzt nicht nur die nichteuropäischen, sondern auch die europäischen Spieler bei einem Transfer auf die Insel eine Arbeitserlaubnis - sofern sie keine britische Staatsbürgerschaft besitzen.

Die für die Beschäftigungserlaubnis notwendigen Voraussetzungen konzipierte der Verband zusammen mit der Premier League und der English Football League (zweite bis vierte Liga), ehe die Regierung das Konzept ratifizierte. Um sich zukünftig für eine Anstellung in einer der englischen Profiligen zu qualifizieren, benötigt jeder Spieler das Einverständnis des Verbands ("Governing Body Endorsement") auf Basis eines Punktesystems - beschrieben auf 36 Seiten.

Nach harten Verhandlungen hat sich der Verband mit den Ligen nun darauf geeinigt, dass für die Ausstellung einer Arbeitsgenehmigung 15 Punkte notwendig sind. Das Ziel des Verbands war, die Zahl möglichst hoch anzusetzen. Die Vereine wären dadurch fast gezwungen, auf heimische Spieler zu setzen, was, zumindest in der Theorie, der englischen Nationalelf zugutekäme.

Andersherum setzten sich die Ligen und Vereine, um ihre Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten, für eine geringe Hürde beim Zugriff auf internationale Spieler ein. In sechs Kategorien können die Profis ab Neujahr die notwendigen Punkte sammeln: Spielminuten in der heimischen Liga, Abschneiden des Vereins in der heimischen Liga, Stellenwert der heimischen Liga, Spielminuten im europäischen Klubwettbewerb, Abschneiden des Vereins im europäischen Klubwettbewerb sowie Anzahl an Länderspielen. Dabei werden besonders die Nationalspieler der besten 50 Länder im Fifa-Ranking bevorteilt, die bei regelmäßigen Einsätzen direkt einen "Auto Pass" erhalten würden.

Ähnlich verhält es sich mit Profis, die kontinuierlich bei einem Verein in den vermeintlich stärksten 35 Ligen auflaufen, wobei eine Unterteilung in fünf Gruppen erfolgt. Für mindestens 90 Prozent absolvierter Spielminuten in der Bundesliga bekäme ein Profi beispielsweise zwölf Punkte, während es in Liga zwei nur sechs Zähler gebe.

Den massivsten Einschnitt erwarten die Spitzenvereine im Umgang mit Minderjährigen, deren Verpflichtung vor dem 18. Geburtstag nicht mehr möglich ist. Bislang griff die Ausnahmegenehmigung der Fifa, die Transfers von Spielern ab 16 Jahren erlaubte, sofern der Wechsel innerhalb der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums erfolgte. Zuletzt sicherte sich Borussia Dortmund die Dienste der minderjährigen englischen Jugendspieler Jadon Sancho und Jude Bellingham - ab 2021 wären solche Transfers in beide Richtungen verboten.

Wie gravierend die Veränderungen für die Dynamik im Jugendfußball sind, zeigte sich in der Transferperiode im Sommer, der letzten Gelegenheit, um noch mal eine Reihe an minderjährigen Spielern für die eigene Akademie zu gewinnen: Aston Villa holte drei U-18-Spieler, der FC Chelsea fünf und Manchester United sogar sechs.

Um die Regeln zu kontern, halten mehrere Vereine sogenannte Farm-Teams in Europa, bei denen Spieler "geparkt" werden, bis sie das 18. Lebensjahr absolviert haben. Manchester City gehören Anteile am spanischen Klub Girona; Leicester, Brighton und Sheffield United halten Verbindungen nach Belgien.

Neben Spielern müssen zukünftig auch Trainer, Assistenten sowie Führungskräfte bestimmte Kriterien erfüllen. Für Trainer gilt die Bestimmung, für eine gewisse Dauer einen Verein in einer der 35 Spitzenligen betreut zu haben. Nach diesen Richtlinien wäre einst den deutschen Trainern David Wagner und Daniel Farke, die mit Huddersfield und Norwich jeweils den Aufstieg in die Premier League schafften, eine Tätigkeit in England verwehrt geblieben.

Es sei denn, ihre Vereine hätten Berufung - für die Gebühr von 5000 Pfund - bei einem unabhängigen Gremium eingelegt, um dort nachzuweisen, dass der jeweilige Trainer von "höchstem Niveau" sei und "wesentlich zur Entwicklung des Spiels" in England beitragen werde. Ein solches Gesuch steht Klubs ebenso bei Spielern zur Verfügung, die knapp an der 15-Punkte-Grenze scheitern.

Der Elsässer Arsène Wenger hätte im Übrigen die Hürde für Trainer ohne Probleme gemeistert: Vor seinem Wechsel zum FC Arsenal 1996 gewann er mit AS Monaco die französische Meisterschaft und den Pokal.

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