Premier League:Bravourstück des Angriffsrasers

Premier League: Perfekte Technik: Leroy Sané schließt in der 72. Spielminute einen Konter von Manchester City mit einem flachen und millimetergenauen Schuss ins hintere Eck erfolgreich ab.

Perfekte Technik: Leroy Sané schließt in der 72. Spielminute einen Konter von Manchester City mit einem flachen und millimetergenauen Schuss ins hintere Eck erfolgreich ab.

(Foto: Dave Thompson/AP)

Leroy Sané gelingt sein bislang wichtigstes Tor in zweieinhalb Jahren für Manchester City: Der deutsche Nationalspieler trifft zum 2:1 gegen den FC Liverpool - und hat offensichtlich den nächsten Entwicklungsschritt geschafft.

Von Sven Haist, Manchester

Der Ball tanzte auf der Torlinie, sinnbildlich für das Spiel zwischen Manchester City und dem FC Liverpool. Auf seiner Gratwanderung vom rechten zum linken Innenpfosten spitzte sich das Duell der beiden Klubs um die englische Meisterschaft erstmals in dieser Saison zu. Niemand konnte wirklich vorhersehen, ob das Spielgerät nun die Markierung vollständig überqueren würde oder nicht. Sicher war nur, dass City in der Schlussphase den Siegtreffer gegen Liverpool benötigte, um die Ambition aufrecht erhalten zu können, erstmals in der Klubgeschichte den Ligatitel zu verteidigen.

Die Zeitlupe dieser Szene offenbarte, dass Leroy Sané die Umdrehungen des Balls nach seinem Linksschuss gleichermaßen minutiös verfolgte, wie er das Spielgerät aufs Tor gezielt hatte. Nicht eher als sich der Ball für jeden sichtbar schließlich im Netz verhedderte, ließ sich Sané inmitten der 54 511 Zuschauer für sein Bravourstück bejubeln. Erfolg und Misserfolg lagen für Manchester City und den FC Liverpool am Donnerstag wie selten zuvor dicht beieinander. Nur 11,7 Millimeter, das entspricht etwa der Länge eines Fingernagels, fehlten Liverpool beim besten Angriff der Partie zum Führungstreffer. Quasi aus dem Tor barg John Stones in der ersten Halbzeit den Ball bei seiner Rettungsaktion für City.

Mit bloßem Auge ließ sich kein Unterschied ausmachen beim 2:1 des Meisters gegen den Herausforderer aus Liverpool. Die erste Saisonniederlage in der Premier League bestätigte den historisch gewachsenen Verdacht, dass die Reds sich das Leben gerne selbst erschweren. In der 29 Jahre andauernden Wartezeit auf einen Meistertitel ist Liverpool beinahe schon jeder denkbare Fauxpas unterlaufen. Durch den Erfolg hat City auf dem zweiten Platz den Rückstand zum Tabellenführer der Premier League auf vier Punkte verkürzt. "Das war ein Finale für uns. Jetzt ist es wieder eng und alles offen", sagte Guardiola. Die marginale Diskrepanz arbeitete einzig Sané heraus bei seinem siebten Ligatreffer in dieser Saison. Wegen der unglaublichen 26 Torbeteiligungen (neun Treffer, 17 Vorlagen) in 25 Ligaheimspielen seit Beginn der Vorsaison gibt der deutsche Nationalspieler die unberechenbare Konstante im berechenbar gewordenen Vorgehen von City.

In der Interviewzone widmet sich Sané nur einem Chat auf dem Mobiltelefon

Als linker Angriffsraser nimmt sich Sané, 22, die Freiheit, mit dem Ball am Fuß auf eigene Rechnung loszuziehen, was bei Guardiola nur dann auf Gefallen stößt, wenn das in der richtigen Situation die richtige Rendite einbringt. Sein bislang wichtigstes Tor in den zweieinhalb Jahren bei ManCity nach seinem Wechsel aus Gelsenkirchen für 30 Millionen Euro hätte Sané jetzt nutzen können für den Hinweis, sich Kritik an ihm in Zukunft bitte genau zu überlegen. Stattdessen ließ er allein seine Füße sprechen, indem er sich in der Interviewzone einem Chat auf dem Mobiltelefon widmete. Bei Instagram teilte er mit, dass City sich back in business befinde.

Auf diese Weise drückte Sané wohl seine weiter vorhandene Verstimmung aus über die Gutachten der Trainer und Medien zu seiner Arbeitshaltung. Nach seiner Nichtnominierung für Deutschland bei der WM erlebte Sané die ersten drei Ligaspiele bei City von der Ersatzbank aus; nach Newcastle durfte er gar nicht mitreisen. Die Erziehungsmaßnahme ging auf Kosten seines Renommees, hat aber offenbar den nächsten Entwicklungsschritt bei ihm eingeleitet. Sein Draufgängertum auf dem Platz bewahrte Guardiola in der Aufarbeitung des Spiels gegen Liverpool vor einer unangenehmen Diskussion.

Mit einer Formationsänderung auf zwei Angreifer löste Klopp die anhaltende Pattstellung beider Teams auf. Diese Umstellung wollte Guardiola direkt mit der Einwechslung eines zusätzlichen defensiven Mittelfeldspielers kontern. Nur befand sich der dafür vorgesehene Ilkay Gündogan an diesem bitterkalten Abend zu diesem Zeitpunkt just auf der Ersatzbank statt bei der Erwärmung. Weil sich in England am Seitenrand bloß drei Spieler einer Mannschaft in Bewegung halten dürfen, vergingen bis zu dessen Hereinnahme acht Minuten. Das reichte Liverpool, um das Tor von Sergio Agüero (40.) durch Roberto Firmino auszugleichen (64.). Die Entstehung des Treffers legte nahe, dass City in dieser Aktion massiv von zwei Spielern vor der Abwehr profitiert hätte.

Der Einfluss dieses einzelnen Resultats aufs Gesamtklassement demonstrierte Guardiola mit seinem spielnahen Coaching. Auf die sonst üblichen ästhetischen Schnörkel verzichtete der Fußballpurist zugunsten eines geradlinigen Vorgehens. In der Schlussphase verteidigte City mit einer Hingabe das eigene Tor, als würde es dafür einen Pokal geben. An der Seitenlinie pfefferte Guardiola anfangs seinen Schal zu Boden, um auf ein Foul aufmerksam zu machen. Gerade so kam er mit einer Ermahnung davon. Dabei hätte sich City über einen Platzverweis des Kapitäns Vincent Kompany in der ersten Halbzeit nicht beklagen dürfen. In einer gesundheitsgefährdenden Attacke rauschte Kompany in Mohamed Salah hinein, den Ball erwischte er nur zufällig am Oberschenkel. "Ich mag Vincent wirklich, aber wie um alles in der Welt kann das keine rote Karte sein? Wenn er Mo mehr trifft, fällt er die Saison aus", wütete Klopp später.

Während des Spiels hatte er sich für seine Verhältnisse fast handzahm verhalten: Beim emotionalen Ausgleichstor unterdrückte Klopp seine Freude. Das passte zum Auftreten seiner Mannschaft, der es auswärts wieder an der sonst üblichen Feuerkraft mangelte. Am besten ist Liverpool nach wie vor, wenn Spieler und Trainer frei durchbrennen auf dem Platz - und sich nicht mit Millimeterarbeit aufhalten.

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