Leichtathletik-Präsidentschaft:Neue Leitung, altes System

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Einer dieser beiden wird bald die Leichtathletik regieren: Bubka oder Coe.

(Foto: AFP)
  • Die internationale Leichtathletik steht vor einer entscheidenden Wahl: Der Weltverband IAAF bekommt einen neuen Präsidenten.
  • Das Problem: Beide Kandidaten werden die Probleme des Sports kaum in den Griff bekommen.
  • Eine entschiedene Anti-Doping-Haltung ist weder von Sergej Bubka noch von Sebastian Coe zu erwarten.

Von Johannes Knuth, Peking

Als Läufer rannte Sebastian Coe wie ein Lord. Elegant, mit Kalkül, und wenn es sein musste, dann drängelte und schubste er schon auch mal. Coe war kleiner und leichter als mancher Mittelstreckenläufer, vor allem als Steve Ovett, sein Landsmann und ewiger Rivale. Aber Coe schreckte das nicht. Er liebte die Herausforderung, er liebt sie heute noch, er mag es vor allem, wenn alles gegen ihn spricht.

Es sind Qualitäten, die Coe in diesen Tagen öfters ausspielen muss als vielleicht je zuvor.

An diesem Mittwoch endet ein jahrelanger Wettstreit zweier Olympiasieger, zwischen dem Ukrainer Sergej Bubka und Lord Sebastian Coe. Der Senegalese Lamine Diack, 82, gibt die Macht im Leichtathletik-Weltverband IAAF nach 16 Jahren frei, und wer immer nun an dessen Stelle auf den Thron gehoben wird, dem steht ein zweiter Marathon bevor, ohne Verschnaufpause. Die TV-Quoten der Leichtathletik sind rückläufig. Gerade in Europa, auf dem größten Marktplatz, kommt seit 2003 immer weniger Kundschaft vorbei.

Die Diamond League, eine Art Weltcup, ist seit Jahren ein verworrenes Schauspiel, bei dem niemand versteht, wer auftritt, gegen wen und warum. Und dann das Dopingproblem, die Dokumentationen der ARD, dazu ein Verband, der bemüht ist, der sich aber nicht eingestehen will, dass seine Sportart endemisch betroffen ist. Zeitungen von Indien bis China rufen den Nachfolger Diacks in diesen Tagen als "Retter der Leichtathletik" aus, es ist eine Überhöhung, aber sie erzählt einiges über die verbeulte Reputation dieses Sports.

Der neue Präsident hat viele Reparaturarbeiten vor sich. Und er hat, anders in seinem sportlichen Leben, wohl nur einen Versuch.

Auf der einen Seite ist da Coe, Olympiasieger 1980 und 1984 über 1500 Meter, Architekt der Olympischen Spiele 2012, Ritter des britischen Empires, Multimillionär. Coe mag Cricket und Jazz, er ist wortgewandt, er kann Leute lenken. Und er weiß, wie man die Öffentlichkeit bezirzt. Vor der WM 2013 in Moskau sagte er, damals als Vizepräsident: "Ich glaube, die Herausforderung, der wir alle gegenüberstehen, ist Vertrauen."

Dann sprach er von einem Sport, dem niemand mehr glauben wird, solange er keine verlässlichen Wahrheiten anbietet. Coe reicherte den Vortrag später mit seinem "Manifesto" an, seinem Wahlkampfpamphlet. Er wolle den Sport in einer neuen Ära wachsen lassen, den staubigen Wettkampfkalender entrümpeln, die Anti-Doping-Fahndung an eine unabhängige Einheit auslagern. Sounds good.

Je näher der Wahltermin zuletzt heranrückte, desto häufiger outete sich Coe allerdings als Vertreter der alten Schule. Die tief wurzelnde Korruption im russischen Verband? In Kenia? Keine Auskunft. Stattdessen hakte Coe, Direktor einer der größten PR-Agenturen Großbritanniens, brav die Checkliste der Krisen-PR ab: Bezweifle nicht die Beweise, bezweifle die Methode, mit der sie erhoben wurden. Schimpfe auf die Boten, die die Nachricht überbringen. "Eine Kriegserklärung gegen meinen Sport", diese Worte Coes gegen ARD und Sunday Times hallen bis heute nach.

Wie gewinnt man Vertrauen zurück?

Das Wahlvolk hört so etwas gerne, aber schafft man so jenes Vertrauen, von dem der Lord einst dozierte? Auch sonst pflegt der Lord ein interessantes Geflecht an Beziehungen. Er berät Nike, Sponsor der US-Leichtathletik, der die IAAF zuletzt die WM 2021 in Eugene/Oregon zuschob, ohne Bewerbungsverfahren. Coe steht auch der BOA vor, der British Olympic Association; als der Despot Ilham Alijew und Aserbaidschan zum Ausrichter der umstrittenen Europaspiele gekürt wurden, stimmte die BOA für das Land. Eine PR-Agentur, die an Aserbaidschans Bewerbung prächtig verdiente, war CSM. Coes Unternehmen.

Auf der anderen Seite ist da Bubka, sechsmaliger Freiluft-Weltmeister im Stabhochsprung, Olympiasieger von 1988. Er war schon als Sportler Geschäftsmann, steigerte den Weltrekord scheibchenhaft, um so viele Prämien wie möglich aus dem System zu quetschen. Nach dem Sport wurde Bubka unter anderem durch Bankgeschäfte reich. Wie, das weiß niemand so recht. Er ist, wie Coe, Vizepräsident der IAAF.

In Sitzungen schweigt er, manchmal wartet er die Wortmeldungen ab, er trägt dann das vor, was andere längst gesagt haben. Sein Programm stellte Bubka rund ein halbes Jahr nach Coe vor, es heißt "Vision 2025", Bubka verspricht darin eine "komplette Überprüfung der Leichtathletik". Vieles ähnelt dem Manifest des Lords. "Warum", spottete der langjährige IAAF-Funktionär Luciano Barra in einem Schreiben an die nationalen Verbände zuletzt, "hat Bubka sechs Monate gebraucht, um es zu kopieren?"

Bubka wusste freilich stets, dass man nicht dank Prosa im Wahlheft gewinnt. Sondern indem man mehr Stimmen auf seine Seite zieht. Rund die Hälfte der 214 Delegierten vertreten kleine Verbände, die Mächtigen haben ihre Stimmen schon immer dort beschafft. Coe und Bubka nahmen entsprechend viele Hausbesuche vor, versprachen Dividende und Bauprojekte. Die leicht besseren Umfragewerte sollte zuletzt, laut inoffiziellen Hochrechnungen, übrigens Bubka besitzen. Die heißen Themen fasste er nur so lange wie nötig an. Bubka leitet das Olympische Komitee der Ukraine, der Verband soll hinter Russland am heftigsten vom Doping befallen sein.

Der kommende IAAF-Präsident übernimmt ein zutiefst konservatives System. Er wird der erst sechste Vorstand in der 103-jährigen Verbandsgeschichte sein, nach dem Schweden Siegfried Edström, dem englischen Aristokraten David Burghley - der 1974 die EM in Rom schwänzte, weil er auf dem Anwesen seines Schlosses in Exeter einer Pferdeshow beiwohnte -, dem Niederländer Adriaan Paulen, dem Italiener Primo Nebiolo und Diack. Der sagte am Montag in Peking: "Ich habe das Fundament für die Zukunft der IAAF mit unseren zwei großen Champions gelegt. Wer immer gewählt wird, wird ein echter Sohn unseres Sports sein." Übersetzt in die Realität heißt das: Die Leitung wird sich ändern, das System ziemlich sicher nicht.

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