Präsident des FC Sion:Ein Mann, der sich schon alles geleistet hat

A file picture shows FC Sion's President Constantin after their Super League soccer match against FC Thun in Sion

Umstrittener Typ: Sion-Präsident Christian Constantin

(Foto: Reuters)
  • Ein Eklat beschäftigt den Schweizer Fußball: Christian Constantin, Präsident des FC Sion, hat den ehemaligen Schweizer Nationaltrainer Rolf Fringer am Donnerstag vor laufender Kamera niedergeschlagen.
  • Der 60-Jährige zeigte keine Reue. Nach den Schlägen und Tritten sagte er: "Es hat mir gutgetan."
  • Der Multimillionär ist nicht zum ersten Mal handgreiflich geworden.

Von Thomas Schifferle, Zürich

Christian Constantin saß in seinem Stuhl, in einer Ecke lauerte der ausgestopfte Wolf, der eine Zeit lang zu seinem Büroinventar gehörte. Constantin hörte sich die Frage an und lachte dann schallend los, bevor er sagte: "Ja, ja, immer voll drauflos, die Deutschschweizer."

Die Frage war gewesen: "Sind Sie der Sonnenkönig? Oder einfach nur der Verrückte vom Wallis?" Ende 2008 war das für ein Porträt über Constantin im Schweizer Tages-Anzeiger. Der Titel hieß: "Eine Lokomotive, die alle einschüchtert."

Constantin war zwischen 1992 und 1997 erstmals Präsident des FC Sion gewesen. Er hinterließ danach 13,4 Millionen Franken Schulden. Kehrte 2003 ins Amt zurück, als der Klub dem nächsten Bankrott entgegentaumelte. Verhinderte als Erstes gerichtlich den von der Liga angeordneten Zwangsabstieg in die 1. Liga. Und attackierte im Dezember 2004 nach einem Cupspiel Sions in Kriens den Schiedsrichter Markus von Känel. "Ein Tritt in den Unterleib" war es für von Känel. "Ein Unfall", hielt Constantin dagegen. Das Amtsgericht Luzern-Land belegte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 24 500 Franken. Er fühlte sich kriminalisiert.

Skandal in Lugano

Es ist diese Geschichte, die er bis zum heutigen Tag nicht wirklich los geworden ist - und die jetzt erst recht wieder ans Licht gezerrt wird: nach diesem Skandal in Lugano. Constantin ging am Donnerstag nach dem 2:1-Erfolg seiner Mannschaft auf den ehemaligen Schweizer Nationalcoach und VfB-Stuttgart-Trainer Rolf Fringer los, der inzwischen als TV-Experte arbeitet. Der Sion-Präsident verpasste ihm Ohrfeigen und Tritte, was nun strafrechtliche Konsequenzen haben dürfte. Fringer hatte ihn als Narzisst bezeichnet, der null Empathie habe und nur für sich schaue. Dabei hat es schon Schlimmeres über Constantin zu lesen gegeben, er ist schon als "Amok der Liga" bezeichnet worden.

Constantins Reaktion im Cornaredo passt so gar nicht zu dem, was er über die Jahre schon so alles behauptet hat. Zu Sätzen wie: "Was in den Zeitungen über mich steht, ist mir egal. Ich lese nie etwas." Oder wie: "Mein Image ist mir egal." Das hat seinen Anwalt aber auch schon nicht daran gehindert, einen Beschwerdebrief zu schreiben, wenn angebliche Fehlinformationen über Constantin in einer Zeitung standen.

An gewissen Tagen lässt sich durchaus sagen, dass Constantin Unterhaltungswert hat. Wenn er an der Sauerkrautgala seines FC Sion den Napoleon spielt oder Don Christiano und dann eine Million Franken oder mehr einnimmt. Wenn er den früheren SVP-Staatsrat Oskar Freysinger zur Aussage verleitet: "Wer als Walliser nicht ein bisschen spinnt, ist kein richtiger Walliser." Ja, dann ist er sogar umgänglich.

Und es gibt andere Tage, Tage, wie sie im Frühjahr vergangenen Jahres kein Ende mehr nehmen wollten. An denen Constantin den Schiedsrichter Sascha Amhof diffamiert und ihm Käuflichkeit unterstellt, weil er auf eine Schwalbe des YB-Spielers Sulejmani hereingefallen ist. An denen er nicht mehr einfach im lustigen, sondern im pathologischen Sinn verrückt ist. An denen er dem Fußball nur schadet. An denen er das Ungeheuerliche wagt und 25 000 Franken als Belohnung aussetzt, um Beweise für seine Anschuldigungen gegen Amhof zu finden.

Die Swiss Football League brauchte damals Tage, bis sie in einem Communiqué von einem "nicht tolerierbaren Angriff auf die grundlegenden Werte des Sports" sprach. Der Vorgang war einmalig im Schweizer Fussball. Constantin aber wurde nicht gesperrt, wie sich das gehört hätte.

Stielike warf er vor, "verwahrlost" zu sein

Er hat sich alles geleistet. Oder zumindest vieles. Er stellte eigene Spieler an den Pranger, weil sie nächtelang in Montreux im Casino gezockt haben sollen. Die Informationen bezog er von Kontaktleuten im Casino (deshalb entließ er Aleksandar Mitreski und Antonio Dos Santos). Er warf Geoffrey Serey Die vor, bis sechs Uhr morgens unterwegs gewesen zu sein (der Verdacht ließ sich nicht erhärten). Einmal griff er in der Kabine Adel Chedli an, weil der sich nicht für seine Pausenansprache interessierte. Uli Stielike, einem seiner vielen Trainer, die er über die Jahre verbrauchte, hielt er vor, "verwahrlost" zu sein.

Nicht alle ließen sich gleich alles gefallen. Xavier Margairaz stieg im Mai 2013, in einem Spiel gegen GC eben ausgewechselt, die paar Tritte zu Constantins Tribünenplatz hoch und wollte ihm an den Kragen. "Jetzt siehst du, was du angerichtet hast", schleuderte er ihm entgegen, weil Sion dabei war, 0:4 zu verlieren. "Scheißtyp" nannte er ihn auch. Constantin reagierte gelassen: Ihm sei lieber, einer sage ihm die Meinung, als dass er ihm hinterrücks das Messer in den Rücken stoße. Nur für Fringer gilt diese Großmütigkeit nicht mehr.

Einmal, ein einziges Mal, kam Constantin als Präsident mit seinem Gebaren nicht durch. 2011, zwei Tage vor Neujahr, belegte der Schweizerische Fußballverband den FC Sion mit 36 Punkten Abzug. Der Verband spürte die Fifa im Nacken, weil Constantin im Sommer davor sechs Spieler verpflichtet hatte, obschon er einem Transferbann unterlag. Constantin wollte zwar durch alle Instanzen gegen diesen Entscheid ankämpfen, er nannte auf dem Weg zu dem, was er als Gerechtigkeit empfand, den damaligen Uefa-Präsidenten Michel Platini "einen Hofnarr" (und stand lachend auch dazu). Aber er kam nicht durch. Sion verlor die 36 Punkte und die Chance, mit dem FC Basel ernsthaft um den Titel zu kämpfen.

Wenn er Zwieback isst, geht das nicht, ohne eine Verwüstung zu hinterlassen

Constantin wurde im vergangenen November 60 Jahre alt. In einem Interview zu seinem Geburtstag sagt er, er besitze den wahren Reichtum des Lebens: die Gesundheit. Er kommt offenbar ganz nach seinem Vater, einem gelernten Maurer, der heute noch, 86-jährig, sechs Tage die Woche von morgens 5 Uhr bis abends 21 Uhr irgendetwas für sich werkelt. Auch Constantin befällt kaum einmal Müdigkeit. "Das hängt von dem hier ab", erklärt er und tippt sich an den Kopf, "wer keine Leidenschaft mehr hat, wird müde, und wer müde wird, der stirbt." Seine Statur ist sehr kräftig.

Er duzt jeden. "Ecoute", sagt er gerne, um Antworten einzuleiten, hör zu. Wenn er Zwieback isst, geht das nicht, ohne eine Verwüstung zu hinterlassen. Wenn er die Nase putzt, braucht er dafür notfalls eine halbe Toilettenrolle. Wenn er rechnet, was er bereits für seinen FC Sion ausgegeben hat, kommt er auf 80 Millionen Franken oder so. "Verrückt? Nein, verrückt bin ich nicht", sagt er, "aber speziell... Ja, das bin ich sicher." Einmal hat er auch gesagt: "Selbst Jesus wurde nicht nur geliebt. Am Ende haben sie ihn ans Kreuz genagelt." Worauf das Fußballmagazin "Zwölf" gefolgert hat: "Keiner zu klein, um nicht mit CC verglichen zu werden." CC ist Constantins Branchenkürzel.

In jungen Jahren war er ein mittelmäßiger Goalie bei Xamax und Lugano. Mit 22 begann er, ein Architekturunternehmen aufzubauen. 60 Mitarbeiter führt er heute in Martigny in der schmucklosen Überbauung Porte d'Octodure, wo alles untergebracht ist: sein Büro wie der Sitz seines Vereins. Er ist ungefähr dreihundertfacher Millionär, Vater von drei Kindern, Ferrari-Liebhaber und Besitzer eines Privatjets, er ist mit Sion einmal Meister und siebenmal Cupsieger geworden. Er hat einen Hang zur Unpünktlichkeit. Ihn selbst kümmert sie nicht weiter. So wenig wie ihn kümmert, dass er schon 45-mal den Trainer gewechselt hat. Wer es übrigens vergessen hat: Der aktuelle heißt Paolo Tramezzani.

Constantin hat sich während der Jahre mit den eigenen Fans angelegt, um sie zur Räson zu bringen. Er ließ jene aus Basel einmal gratis ins Stadion, weil er so versuchen wollte, sie zu befrieden. Die Basler wollten das Geschenk nicht, sammelten 12 000 Franken und gaben sie Constantin. Der spendete das Geld für die Renovierung des Hospizes auf dem Großen St. Bernhard. Auch das ist er. Eigenwillig, wo ihn die Haut anfasst.

Jüngst hat er in der Sonntags Zeitung gesagt: "Wir sind auf der Erde nur Mieter und müssen alle sterben. Das stellt uns vor die Frage: Wollen wir hier einfach auf den Tod warten - oder unsere kurze Zeit nutzen und das Beste daraus machen? Ich würde mich jedenfalls langweilen, wenn ich nichts täte."

Manchmal wäre es besser, viel besser, er würde weniger machen. Wie an diesem Donnerstagabend, als er, den typisch langen Schal um den Hals geschwungen, auf den früheren Nationaltrainer Fringer losging. Und nach den Schlägen und Tritten sagte: "Es hat mir gutgetan."

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