Portugal:Sorgenkind mit Sonnenbrille

Der verletzte Cristiano Ronaldo, mit dem ganz Portugal leidet, kann gegen England wohl spielen.

Ralf Itzel

Kann er spielen? Das ist die Frage, die Portugal die gesamte Woche in Atem hielt. In den Abendnachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens RTP sah man den jungen Mann in Turnschuhen um den Trainingsplatz traben, sein liebster Freund, der Ball, war aber nicht dabei. "Eine Mannschaft, ein Land wartet auf Cristiano Ronaldo", schrieb das Sportblatt A Bola, und auch die anderen Medien widmeten sich ausgiebig dem jungen Helden, schließlich galt es, den Fußballfreunden am Rande Europas ihre Lieblingsbeschäftigung zu ermöglichen: Leiden mit Cristiano.

Am Sonntag konnte man dem bis zum Herzzerreißen frönen. Hollands Trainer Marco van Basten hatte vor dem Achtelfinale den 21-Jährigen als gefährlichsten Gegner angegeben, und die Fußballer der Oranje sensten den Flügelflitzer dann solange um, bis ihm der Rest gegeben war. Mit den Stollen voraus sprang ihm Verteidiger Boulahrouz in den muskulösen Oberschenkel, das verkraftete nicht mal sein gestählter Körper. Verzweifelt versuchte der Gefoulte durchzuhalten, ließ sich behandeln, kam zurück, ließ sich behandeln, kam zurück, wollte einfach nicht wahrhaben, dass es sinnlos war. Eine Qual. Bevor die Passion Cristianos zu Ende ging, zeigte er der Welt noch in einer Aktion, was sie verpassen würde: Er trat den Ball zum Kollegen, indem er das Schußbein hinten am anderen vorbeikreuzte, das bringt zwar keinen Vorteil, sieht aber verdammt gut aus. Dann schlich er vom Feld, und seine Tränen gingen um die Welt. "Er hat bekommen, was er wollte", sagte das Opfer nach dem Duschen über den Holländer. Dass er sich seine diamantenen Ohrringe noch nicht angelegt hatte, konnte als Zeichen der Niedergeschlagenheit gedeutet werden.

"A Paixao", die Leidenschaft, blüht im iberischen Seefahrervolk für keinen so schön wie für ihn, auch für Luis Figo nicht, denn der ist längst ein erwachsener Mann. Cristiano ist ein halbes Kind, ein Sorgenkind genauer gesagt. Während der andere Ronaldo, der brasilianische, mittlerweile alle Probleme abschütteln konnte, besetzt die portugiesische Version, von den Eltern aus Verehrung für den US-Schauspieler und -Präsidenten Ronald Reagan so genannt, die Rolle weiterhin. Zum Auftakt gegen Angola setzte es eine frühe Auswechslung, gegen Mexiko schonten sie ihn wegen einer drohenden Sperre, nur dazwischen gegen Iran dribbelte er nach Belieben, wie so oft mit vielen Übersteigern und Schnörkeln, und gerne, wenn ein Kollege besser stand. Die Mitspieler verzweifeln oft an seinem Eigensinn, aber weil er hochtalentiert ist und eigentlich ein guter Kerl, fördern und schützen sie ihn. Gegen Iran ließen Figo und Deco Vortritt beim Elfmeter und herzten den auf die Knie sinkenden Erfolgsschützen innig.

Was hat er drauf?

So richtig gezeigt hat er noch nicht, was er drauf hat, heute soll es endlich gelingen. Die Frage zu Beginn dieses Textes dürfte mit Ja beantwortet werden, der Bluterguss ist am abheilen, er kann wohl mittun im Viertelfinale gegen die Auswahl des Landes, in dem er seit drei Jahren lebt. Wie lange noch? Am Sonntag wird bei Real Madrid der neue Präsident gewählt, ein aussichtsreicher Kandidat wirbt mit Ronaldos Ankunft um die Stimmen der Mitglieder. Juan Miguel Villar Mar, ein Anwalt und früherer Wirtschaftsminister Spaniens, tritt im Gespann mit Ex-Rallyeweltmeister Carlos Sainz an und soll dem Offensivmann 20 Millionen Euro für vier Jahre Dienst geboten haben. Ronaldo ist einverstanden, sagte den spanischen Medien bereits das in diesem Fall Übliche (". . . schon immer mein Traum gewesen, für Real . . ."), müsste indes den bis 2010 laufenden Vertrag bei Manchester United noch auflösen. Angeblich ist Villar Mar bereit, 65 Millionen Euro Ablöse zu bezahlen.

Ein Wechsel zu Spaniens Krösus wäre der logische Karriereschritt für Cristiano Ronaldo. Bei Real tummeln sich die Reichen und Schönen wie David Beckham. Ronaldo ist im Starsystem des Fußballs schon jetzt eine kleine Version des Spiceboys, in Portugal ist er Werbe-Ikone Nummer eins und Lieblingsdarsteller der Regenbogen-Presse. Der Adonis mag es, cool aufzutreten, mit 21 ganz normal. Er fährt schnittige Autos und trägt seine Sonnenbrillen gerne, auch wenn der Himmel voller Wolken hängt. Seine Freundin ist eine schöne portugiesische Fernsehansagerin, knapp zehn Jahre älter.

Die Schattenseiten des VIP-Status kennt er auch schon. Eine junge Französin erhob Anklage wegen Vergewaltigung, er wurde kurz verhaftet, dann stellte sich heraus, dass sie nur seinen Ruhm und Reichtum nutzen wollte. Gegnerische Fußballer und Fans foulen und provozieren ihn, der Druck steigt mit der Popularität, aber er komme gut damit klar, findet Landsmann Paolo Futre, der mit 20 bei der WM 1996 Ähnliches erlebte: "Ronaldo ist ein reiferer Mann und Sportler als ich es damals war", sagt er, "ich war in seinem Alter noch nicht im Ausland, er hat schon drei Jahre in einem Topklub verbracht und eine EM gespielt. Das ganze Land erwartet viel von ihm, das ist nicht leicht." Es ist nicht leicht, Cristiano Ronaldo zu sein, vor allem tut es ganz schön weh.

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