Portugal:Der Alleskönner ist aufgetaut

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Wie aus dem Nichts kehrt Portugals Torjäger Maniche an die Weltspitze zurück.

Ralf Itzel

Bär Bruno kann den Portugiesen keinen Besuch mehr abstatten, er ist mausetot, trotzdem bleiben die Sicherheitsleute in Marienfeld auf der Hut. Man weiß ja nicht, wer sonst noch rausspringen kann aus dem Unterholz.

Dichter Wald grenzt an die Fußballplätze vor dem Hotelflügel, und alle zehn Meter steht, Nase in Baumrichtung, einer der Wachposten in oranger Weste.

Ohne sie wäre die Idylle perfekt für die Fußballer der Seleccao. Die Luft riecht nach Gras, Vöglein zwitschern, von der Ferne glaubt man gar, das "Määäh" eines Schafs zu vernehmen. Und die Sonne scheint, was besonders wichtig ist für den kraftvollen Kerl mit dem halblangen Haar und den Pausbäckchen, der eben wieder einen Ball ins Tor gejagt hat.

Nuno Ricardo Oliveira Ribeiro, bekannt unter dem Künstlernamen Maniche, wäre nach der Europameisterschaft vor zwei Jahren fast in Schnee und Eis von Moskau eingefroren. Nun, unter der Sonne Deutschlands, ist er wieder aufgetaut.

"Lasst uns Vertrauen haben!"

Rund zweihundert Meter sind es vom Trainingsgelände bis zum malerischen Platz vor dem altehrwürdigen Zisterzienserkloster, dem Prunkstück unweit von Gütersloh.

Hier steht das Zelt für die Presse, und die Teammitglieder, die jeden Tag auf der Behelfsbühne Platz nehmen, hätten ohne die Kameras durch die Glastüren freien Blick auf das Gotteshaus. Auch so pflegt Luiz Felipe Scolari hinüberzudeuten, wenn Portugals Medienmenschen mal wieder Pessimismus verbreiten.

"Wir haben hier eine wunderschöne Kirche", sagt der gläubige Trainer dann, "lasst uns Vertrauen haben!" In diesen Tagen fragen die Reporter, wie um Himmels willen die Elf mit diesem dezimierten Mittelfeld am Samstag gegen Lampard, Beckham und Co. bestehen soll?

Die Leistungsträger Deco und Costinha sind gesperrt für das Viertelfinale am Samstag gegen England, Cristiano Ronaldo sollte zwar auflaufen können, aber in Bestform wird er nicht sein nach der Attacke des Holländers Boulahrouz und dem Bluterguss am Oberschenkel, der ihn zur Pause und dann zu Lauftraining in Turnschuhen zwang.

Gut, dass der Coach nicht nur Vertrauen in Gott sondern auch in Maniche hat, "unser Alleskönner" (Scolari) soll sich den Briten entgegen stemmen. Der 29-Jährige begann die WM auf der Ersatzbank, wurde gegen Angola für zwanzig Minuten eingewechselt.

Seither hat er die Elf nicht verlassen und ist wie vor zwei Jahren bei der EM Portugals Bester geworden. Gegen Mexiko zum Abschluss der Vorrunde erzielte er ein Tor, noch entscheidender war der Treffer und die große Leistung beim 1:0 im Achtelfinale gegen die Oranje.

Nach seiner Wahl zum Mann der Partie titelte die Sportzeitung Record: "Eine Bombe von Maniche bringt Portugal ins Viertelfinale." Der Ausdruck ist etwas martialisch, aber wenn man ihn für irgendwelche Schüsse benützen kann, dann für seine, schon 2004 zog er zweimal hart und erfolgreich durch.

Mourinhos Rettungsring

Maniche ergänzt durch seine Dynamik und Durchschlagskraft das Angriffsspiel der Feintechniker und erobert nebenbei die meisten Bälle.

Monopolisierten bei den Portugiesen nicht Figo, Deco und Ronaldo die Aufmerksamkeit, die Medien weltweit würden seine Geschichte als das Comeback des Turniers verkaufen. Schließlich war er nach dem Erfolg in der Champions League mit dem FC Porto und dem EM-Finaleinzug mit der Seleccao in der Versenkung verschwunden.

Trainer Jose Mourinho hatte Porto Richtung London verlassen, unter dessen Nachfolger lief es mäßig für den Mittelfeldspieler. Dann bekam der Klub für ihn und Costinha ein tolles Angebot von Dynamo Moskau, "und ich", so Maniche, "hatte das Gefühl, dass ich nach all dem, was Porto für mich getan hat, etwas zurückgeben musste.

Es war ein großer Fehler." Der Bursche aus dem heißen Land im Süden, groß geworden in Lissabon bei Benfica und benannt nach Michael Manniche, einem dänischen Fußballhelden des Klubs in den 80ern, war ohne seine Familie und Freunde so unglücklich wie nie zuvor in seinem Leben: "Mit gefiel das Land nicht, mir gefiel das Wetter nicht, mir gefiel der Fußball nicht." Begegnungen bei minus 15 Grad auf vereisten Plätzen vor 2000 Zuschauern stürzten ihn in die Depression.

Zum Glück warf Mourinho den Rettungsring, er lotste ihn auf Leihbasis nach Chelsea. Aber auch da war die Halbjahresbilanz wegen einer Rotsperre und einer hartnäckigen Verletzung mager: Fünf Einsätze in den verschiedenen Wettbewerben, dazu sechs als Einwechselspieler, kein Tor.

Dass er es überhaupt zur WM schaffte, verdankt er der Empfehlung Mourinhos ("seine Verfassung ist ausreichend") und vor allem Scolari, der ihn nie hängen ließ, genauso wenig wie den Kollegen Costinha, der in Russland ebenfalls scheiterte, zuletzt gar nicht spielte und in der Heimat trainierte.

Maniches gut getimte Rückkehr aus dem Nichts an die Weltspitze zeigt, dass es kein Nachteil sein muss, vor großen Turnieren wenig gespielt zu haben. Der Fluch von Blessuren und Sperren kann sogar zum Segen werden. Der Franzose Vieira ist ein anderes Beispiel, auch er war lange verletzt und ist nun ähnlich ausgeruht und formstark.

Nach der Zeit auf der Insel kennt Maniche seine englischen Rivalen bestens. Das könnte von Vorteil sein, genauso wie der Spielort. In Gelsenkirchen traf er schon gegen Mexiko, dort triumphierte er mit Porto in der Champions League. Er mag die Halle, dort drohen weder Schnee noch Regen.

© SZ vom 30.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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