Portrait:Sehnsucht nach der Nische

Markus Weinzierl war einst der begehrteste vereinslose Trainer Deutschlands. Nun ist er wieder unbeschäftigt - aber ist er auch noch begehrt?

Von Benedikt Warmbrunn

Wollen wir nach oben fahren?" Markus Weinzierl, braungebrannt, verspiegelte Sonnenbrille, Jeans und Poloshirt im used look, öffnet die Tür seines Geländewagens. Ein paar Kurven, es geht steil nach oben. Weinzierl erzählt von seinem Sommer, vom Radfahren, vom Golfen, von den Stunden mit seiner Familie. Am Ende einer Waldpassage sagt Weinzierl: "Aber es ist nicht gut, sich zu lange zu verstecken."

Ein Sommermorgen im Brixental. Weinzierl hat unten am Berg gewartet, nun geht es nach oben. Er hat sich dort vor ein paar Jahren eine Hütte gemietet, und sein Berater fand, dass das eine nette Idee wäre: oben auf dem Berg über den Lauf der Dinge zu reden. Die Straße, die Weinzierl hochfährt, ist auffallend leer, irgendwann kommt er an eine Schranke, ein Knopfdruck, dann geht es weiter. Erst oben sind die ersten Wanderer zu sehen, gekommen mit der Gondel. Ein Hotel, ein kleines Café und ein paar Hütten, mehr gibt es hier nicht. Selbst die Hütten sind nicht zu sehen. Weinzierl steigt aus dem Auto, läuft zu dem Café, er sucht einen Schattenplatz, wegen der Ruhe. Dann aber ist es ihm zu kühl, er wechselt doch in die Sonne. Weinzierl schwärmt von der Aussicht, von der Ruhe, er erzählt, dass er hier viel nachgedacht habe. Man möge das aber bitte nicht falsch verstehen, ergänzt er sofort, er sei nicht zum Einsiedler geworden.

Es ist ein Jahr her, da war Weinzierl, 44, der begehrteste vereinslose Trainer in Deutschland; dass die erste freie Stelle in der Fußball-Bundesliga an ihn gehen würde, galt als wahrscheinlich, und so kam es dann auch. Im Oktober übernahm Weinzierl den VfB Stuttgart. Nun, im Sommer 2019, ist er wieder ein vereinsloser Trainer. Doch es ist nicht ausgemacht, dass er gleich die erste freie Stelle der Bundesliga angeboten bekommen wird.

In den vergangenen Wochen ist es ruhiger um Weinzierl geworden, endlich. In den letzten Tagen der vergangenen Saison war viel über ihn zu lesen, nichts war positiv. Sein ehemaliger Spieler Anastasios Donis sagte, dass unter Weinzierl die Stimmung "negativ" gewesen sei, "im Training haben wir uns nicht aufgebaut". Der frühere Nationaltorwart Timo Hildebrand warf Stuttgarts Sportvorstand Thomas Hitzlsperger vor, dass dieser zu lange an Weinzierl festgehalten habe. Andere erzählten von schlichten taktischen Ansagen, von mutlosen Aufstellungen. Der Hauptschuldige für den Abstieg des VfB, so wirkte all das, war eindeutig Weinzierl.

Oben auf dem Berg sagt der, über dessen Arbeit viele klagen: "Es war sehr, sehr bitter für mich. Wir haben uns das alle anders vorgestellt, und daher musst du dann auch kritisch mit dir selber umgehen."

Nachdem er im April vom VfB beurlaubt worden war, hat Weinzierl viele Gespräche geführt, er wollte herausfinden, warum er es nicht geschafft hatte, seine Mannschaft auf einen Nicht-Abstiegsplatz zu führen. Nun sagt er: "Ich sage nicht, dass das alles Pech war." Und: "Ich komme schon auf ein paar Dinge, die ich besser hätte machen müssen - aber ich halte mir auch zugute, dass es keine einfache Station mit schwierigen Bedingungen war." Dass er der Hauptschuldige für den Abstieg sein soll, das will Weinzierl jedenfalls nicht unwidersprochen stehen lassen, darum hat er ja dem Ausflug nach oben zugestimmt. Er will, dass seine Version gehört wird. Er glaubt, dass er immer noch ein guter Trainer sei. Er sagt: "Ich bin bereit."

Lange war die Karriere von Markus Weinzierl ein stetiger, zügiger Aufstieg. Mit 33 übernahm er den Drittligisten Jahn Regensburg, führte ihn im vierten Jahr in die zweite Liga. Anschließend wechselte er zum FC Augsburg, sicherte in der ersten Saison nach neun Punkten in der Hinrunde den Klassenverbleib. In der vierten Saison spielte die Mannschaft zum ersten und bislang letzten Mal in der Europa League, sie reiste zum FC Liverpool. Unter den jungen deutschen Trainern war in jener Zeit keiner so begehrt wie Weinzierl; 2014 wurde er von den deutschen Fußballprofis zum Trainer der Saison gewählt, vor Pep Guardiola und Jürgen Klopp. Damals hieß es, dass er vielleicht sogar einmal einer für den FC Bayern werden könnte. Nach dem vierten Jahr in Augsburg ging er aber erst zum FC Schalke 04. Auf den steilen Aufstieg folgte ein mindestens genauso rasanter Absturz. Auf Schalke wurde er nach einem Jahr und einem zehnten Platz entlassen. In Stuttgart nach einem knappen halben Jahr.

"Ich war jetzt zehn Jahre lang Trainer. Auf den ersten zwei Stationen war es zweimal vier Jahre lang super, dann kamen zwei Traditionsvereine, bei denen es nicht so gut lief. Es steht also 2:2", sagt Weinzierl. "Wieder einen Verein zu finden, wo eine gute Basis besteht, wo die Spieler hungrig sind, das ist jetzt das Ziel."

Weinzierl möchte nicht nachtreten, er beschwert sich daher kaum über die Unruhe beim VfB, die Eitelkeiten, die Einzelinteressen. Nur eine Anekdote ist ihm wichtig. Im Herbst hätten sich die Entscheider zusammengesetzt, es ging um Transfers. "Es war allen Gremien klar, dass es am wichtigsten ist, im Winter einen Stürmer zu verpflichten - dann haben wir einen Innenverteidiger verpflichtet." Ozon Kabak habe eine "wirtschaftlich interessante Zukunft versprochen", aber, sagt Weinzierl: "Es war eine Position, auf der wir kein Problem hatten." Der Transfer war für ihn das Zeichen, dass er mit dem damaligen Sportvorstand Michael Reschke keine gemeinsame Basis mehr finden werde. Weinzierl sagt: "Erfolgreiche Vereine unterstützen und kontrollieren sich in so einem Fall."

Reschke wollte Weinzierl schon früher beurlauben, der Verein trennte sich stattdessen vom Sportvorstand. Auf Reschke, der alles kontrollieren wollte, folgte Hitzlsperger, der sich erst einmal alles in Ruhe anschauen wollte. Die Monate in Stuttgart waren daher für Weinzierl auch eine Zeit, in der er verstanden hat, was er braucht, um seriös arbeiten zu können. "Die Mannschaft spürt sofort, wenn zwischen Manager und Trainer ein Blatt Papier passt - da darf aber nichts dazwischen passen, der Manager muss den Trainer stützen, eigentlich bis zuletzt." In Augsburg habe er das mit Stefan Reuter erlebt, das wisse er jetzt zu schätzen. "Man ist ja immer getrieben", sagt er über seine Zeit in Augsburg, "dabei war das eine Bilderbuchgeschichte. Man wird da ja fast weitergeschubst, man will immer mehr, man ist ja selber auch ehrgeizig." Ob er zu früh weggegangen sei? "Ganz offen und ehrlich: Vielleicht war ich damals auch noch nicht so weit, einen Traditionsverein wie Schalke zu übernehmen, mit all seinen Bewegungen und Schwingungen im Hintergrund. Vielleicht braucht man für diese Vereine die Erfahrungen, die ältere Trainer haben oder die ich jetzt selbst gemacht habe."

Markus Weinzierl

"Mir haben die vergangenen Stationen schon auch die Augen geöffnet und gezeigt, wie viel Spaß die kleineren Vereine machen."

Oben auf dem Berg wird Weinzierl unruhig: ein Wanderer in VfB-Montur. Die meisten, die ihn seit seinem Aus in Stuttgart angesprochen haben, sagt er, hätten über die Unruhe im Verein geklagt. Im persönlichen Gespräch habe ihn keiner zum Hauptschuldigen gemacht. "Dass sich mein Ruf verändert hat, das beschäftigt mich schon", sagt er. Er weiß, dass ihn vorerst kein Champions-League-Teilnehmer anrufen wird. Weinzierl sagt, dass ihm auch nicht der Etat eines Klubs wichtig sei, sondern dass es ein geschlossenes Umfeld sei. "Mir haben die vergangenen Stationen schon auch die Augen geöffnet und gezeigt, wie viel Spaß die kleineren Vereine machen. Aber als erfolgreicher junger Trainer will man immer mehr, immer zum nächstgrößeren Klub, zum nächstgrößeren Ziel." Bei seinem Aufstieg hat er irgendwann auch sich selbst überholt.

Der VfB-Wanderer ist vorbeigelaufen, er hat nichts gesagt. Dafür kommen zwei ältere Männer, einer von ihnen kennt Weinzierl aus dessen Jugend in Passau. Ein paar alte Geschichten, Weinzierl lacht viel. Die beiden Wanderer gehen wandern, Weinzierl in seine Hütte, in der ihn keiner sieht. Später will er mit dem Rad über die Berge fahren, er hat noch einiges vor. Mit Stillstand und 2:2-Unentschieden gibt er sich nicht zufrieden.

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