Missbrauch im US-Fußball:Soccer City sehnt sich nach dem Befreiungsschlag

Lesezeit: 4 min

Klare Ansage: Ein Anhänger der Portland Thorns fordert vor dem Halbfinale gegen San Diego Klubeigner Merrit Paulson zum Verkauf seiner Anteile auf. (Foto: Amanda Loman/AFP)

Die Portland Thorns stehen im Zentrum des Skandals im US-Frauenfußball: Laut einem Report haben sie Missbrauch nicht nur geduldet, sondern vertuscht. Zum Halbfinale kommen dennoch mehr Leute als je zuvor - und fordern den Verkauf des Klubs.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Im Nachhinein sagen nun alle, dass es so hat kommen müssen. Der Fußball schreibt nun mal Geschichten, die sich das menschliche Gehirn erst dann vorstellen kann, wenn sie passiert sind: Es stand 1:1 im Halbfinale der US-Frauenliga NWSL zwischen den Portland Thorns und San Diego Wave. 93 Minuten waren gespielt, das menschliche Gehirn dachte bereits an Verlängerung, da gab es nach einem harmlosen Angriff noch mal Ecke für Portland. Was dann passierte, kann man mit den unvergessenen Worten von Herbert Zimmermann beschreiben: nach innen geflankt; Kopfball, abgewehrt; aus dem Hintergrund müsste Dunn schießen. Dunn schießt - Tor, Tor, Tor, Tor!

Die 22 035 Zuschauer, mehr waren in der Playoff-Geschichte dieser Liga nur zum Viertelfinale in San Diego vor einer Woche gekommen (26 215), rasteten aus. Hinter dem Tor stieg rosa Rauch auf als Symbol für die Stadt Portland - Spitzname: Rose City - und auch für den Kampf gegen Brustkrebs; neben Vereinsflaggen waren auch viele Regenbogenfarben zu sehen als Zeichen für Vielfalt und Toleranz. "Es ist unglaublich, so viele glückliche Gesichter zu sehen. Die Fans, die Spielerinnen. Wir haben uns wirklich zusammengerauft angesichts dessen, was zuletzt so passiert ist", sagte die Siegtorschützin Crystal Dunn danach.

SZ PlusExklusivMissbrauch im Sport
:Das Grauen hinter der Kabinentür

Eine neue Studie beleuchtet sexuellen Missbrauch im Sport so umfangreich wie nie zuvor. Sie zeigt die systemischen Missstände auf und kritisiert die "romantisierende Erzählung vom gesunden, fairen und schönen Sport".

Von Nina Bovensiepen, Anna Dreher, Elena Kuch, Hendrik Maaßen

Um zu verstehen, was diese Sätze bedeuteten, sollte man wissen, was Dunn ein paar Tage vor dieser Partie gesagt hatte: "Es ist wirklich nicht einfach, derzeit dieses Trikot anzuziehen."

Zur Erinnerung: Die Thorns stehen im Zentrum des riesigen Skandals, der diese Saison, die Liga und den US-Frauenfußball insgesamt überschattet. Die ehemalige Justizministerin Sally Yates hatte einen Harry-Potter-Band-dicken Report mit explosivem Inhalt erstellt. Die Zusammenfassung: Die NWSL sei eine Liga, in der "emotionaler Missbrauch sowie sexuelles Fehlverhalten zum System geworden sind - und sich über mehrere Teams, Trainer und Opfer erstreckt". Im Zentrum der Ermittlungen stand jener Verein, der nun das Endspiel erreicht hat, die Portland Thorns. Sie spielen in der Stadt, die neben "Rose City" noch einen zweiten Spitznamen hat: "Soccer City USA".

Klubeigner Merritt Paulson galt als Macher, der zeigte, dass man ein Frauenfußball-Franchise profitabel führen kann. Nun gilt er als derjenige, der den Skandal vertuschen wollte

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Stadt im Nordwesten der USA die mit der größten Fußballbegeisterung im ganzen Land ist. Das liegt daran, dass aus den vier großen Männer-Sportarten nur ein Basketball-Franchise (die Trail Blazers) in Portland beheimatet ist. Es liegt aber vor allem daran, dass sie viel richtig gemacht haben: schnuckliges Stadion im Zentrum auf historischem Grund, wo seit mehr als 130 Jahren und damit in der US-Zeitrechnung seit Anbeginn der Menschheit Sport getrieben wird. Zwei Vereine mit Identifikations-Philosophie (keine alternden Stars aus Europa) und Fan-Kultur: Bei Toren des Männer-Klubs Portland Timbers wird von einem Baumstamm eine Scheibe abgesägt und nach der Partie dem Torschützen überreicht, bei den Portland Thorns kriegt die beste Akteurin einer Partie eine Rose. Zu Spielen der Thorns pilgern Fans in die Arena, aber auch zu "Sports Bra" im Stadtzentrum - der ersten Bar in den USA, die ausschließlich Frauensport zeigt.

Klubeigner Merritt Paulson, 50, dem sowohl die Timbers als auch die Thorns gehören, galt als Macher, der den Amerikanern zeigte, dass man mit Männerfußball Stadien füllen kann - und dass es möglich ist, ein Frauenfußball-Franchise profitabel zu führen. 2014 machte der FC Bayern bei seiner US-Tour Portland die Aufwartung und flog seine frisch gekürten Weltmeister für eine Partie gegen eine Auswahl der US-Männerliga MLS ein.

Fehler im System: Die ehemalige Justizministerin Sally Yates legte einen Report vor, der sexuelles Fehlverhalten als immanentes Problem der Liga beschreibt. (Foto: Steven Senne/AP)

Sie haben aber auch sehr viel falsch gemacht in Portland, wie dieser Report zeigt. Zwei Fragen stehen deshalb im Zentrum: Haben sich die Leute blenden lassen vom Erfolg, und wird Merritt Paulson zu einer von viel zu vielen Figuren im Profisport, die glauben, dass einer, der auf dem Platz gewinnt, sich abseits davon für unverwundbar halten darf? Die zweite Frage entsteht aus der ersten: Müsste man Paulson nicht zum Verkauf beider Vereine zwingen? Er ist zwar als Geschäftsführer zurückgetreten, schreibt aber in einem Statement: "Ich liebe diese Organisation wie meine Familie; für mich ist es nun das Wichtigste, das alles zu berichtigen." Heißt übersetzt: Ich regle das selbst.

2021 wegen sexuellen Fehlverhaltens in North Carolina entlassen: Erfolgstrainer Paul Riley, der zuvor unter anderem Trainer in Portland war. (Foto: Randy L. Rasmussen/AP)

Es heißt nun, dass sich Paulson ein klein wenig zu sehr in der Rolle des Fußball-Förderers gefallen und den Jubel der Leute in Portland nach Titeln (Thorns 2013 und 2017, Timbers 2015) zu sehr genossen habe. Dass er von den Missständen in seinem Verein gewusst haben müsse. Dass er sie nicht nur ignoriert, sondern bewusst vertuscht habe. Dass er Spuren verwischt habe, indem er den Erfolgstrainer Paul Riley derart offensiv bei anderen Vereinen und sogar als Nationaltrainer ins Spiel brachte, dass niemand auf die Idee kam mal nachzufragen, ob gegen Riley etwas vorliegt.

Riley wurde 2021 von North Carolina Courage entlassen, der US-Fußballverband entzog ihm die Trainerlizenz. In Portland war Riley zuvor beurlaubt worden, nachdem mehrere Spielerinnen ihm sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen hatten. Yates schreibt in ihrem Report, dass die Thorns ihre Ermittlungen aktiv behindert hätten.

Es gab deshalb ein Dilemma vor diesem Halbfinale - der ersten Thorns-Partie seit Bekanntwerden des Skandals. "Ich würde verstehen, wenn die Leute daheim blieben", sagte Rachel Greenough, die Vorsitzende des Fanklubs Rose City Riveters. Torfrau Bella Bixby verfasste einen offenen Brief an die Fans mit der Bitte: "Wir brauchen euch mehr denn je!" Und die Leute kamen, mehr als je zuvor zu einer Playoff-Partie in Portland. Gewiss, was können die Akteurinnen dafür, wenn das Management versagt und Missbrauch nicht nur duldet, sondern vertuscht? Auf der anderen Seite: Die Einnahmen kriegt Paulson, und falls die Thorns am kommenden Samstag das Finale gegen Kansas City Current (2:0 gegen OL Reign) gewinnen sollten und Paulson als Eigentümer die Trophäe bekäme, dann hätte das weit mehr als nur ein Geschmäckle.

Merrit Paulson, Zweiter von rechts, Besitzer der Portland Thorns, neben seinem Vater, dem ehemaligen US-Finanzminister Henry Paulson. (Foto: ZUMA Wire/Imago)

Es gibt deshalb viele, die sagen: Die einzige Möglichkeit für Paulson, das alles zu berichtigen, sei die Zustimmung zum Verkauf noch vor dem Endspiel. Es gibt in Portland die Graswurzelbewegung Onward Rose City, die den Verein als Fan-Gruppe übernehmen will, so wie das Football-Franchise Packers den Einwohnern der Stadt Green Bay gehört. Für 107 Dollar pro Aktie kann man Anteilseigner werden, bis zum Wochenende kamen bereits mehr als vier Millionen Dollar zusammen. Das genügt freilich nicht. Der Konzern, unter dem Timbers und Thorns geführt werden, wird mit 685 Millionen Dollar bewertet.

Experten schätzen, dass Paulson nur für die Thorns einen Preis von bis zu 100 Millionen ausrufen dürfte. Wenn er sie denn verkauft, die Portland Thorns, die er vor zehn Jahren selbst gegründet und bei denen er offensichtlich viel richtig und sehr viel falsch gemacht hat.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungMissbrauch im Sport
:Ein krankes System muss sich ändern

Eine Studie und eine SZ-Recherche zeigen, wie verbreitet sexualisierte Gewalt im Sport ist. Ein grundlegender Wandel in den Vereinen ist nötig - und auch zu schaffen.

Kommentar von Nina Bovensiepen

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: