Süddeutsche Zeitung

Poolbillard:Der Kaiser weicht dem Kindergarten

Nach erfolgreichen Jahren tritt der BSV Dachau in der aktuellen Saison vorerst ohne seine Weltklasse-Spieler an - die Profis haben schlicht keine Zeit mehr für den Klub.

Von David Hopper, Dachau

Die Kreisstadt Dachau war im deutschen Poolbillard über einige Jahre das Maß aller Dinge. Zwischen 2016 und 2018 etwa residierte dort die dominierende Mannschaft der Republik, der BSV war quasi nicht zu besiegen - dreimal in Serie wurde das Team deutscher Meister. Den spektakulären Erfolg feierte man dann auch standesgemäß auf dem Dachauer Rathausbalkon, immer begleitet von den lautstarken "Pooligans", dem ersten deutschen Fanklub seiner Art.

Dass der BSV Dachau als FC Bayern München des Billard galt, lag auch an seiner hochkarätig besetzten Mannschaft: In Dachau spielten internationale Topleute wie David Alcaide aus Spanien oder die österreichischen Ausnahmespieler Albin Ouschan und Mario He. Und natürlich Ralf Souquet, der selbst in dieser Startruppe alle anderen noch überragte. Als erster Deutscher wurde er 2011 in die "Hall of Fame" des amerikanischen Billards aufgenommen, in der Szene wird der mehrmalige Welt- und Europameister respektvoll "Der Kaiser" genannt. Die Dachauer Spieler belegten jahrelang die ersten Plätze der Weltrangliste, der Klub stellte die herausragenden Könner der Sportart. Der BSV war damals auf seinem Höhepunkt, ein Ende der Titelserie nicht abzusehen.

"Von dem Weg, den wir bestritten haben, waren wir immer überzeugt", erzählt Andreas Huber heute. Er ist als Trainer und Präsident in Personalunion das Aushängeschild des Vereins. Huber sitzt in einer hellerleuchteten Sportsbar mitten im grauen Dachauer Gewerbegebiet. Sie ist geräumig eingerichtet, alles sieht neu und unverbraucht aus. Aus den Lautsprechern dröhnt laute Popmusik, an mehreren Fernsehern sind Sportübertragungen zu sehen. "Skyline Billard" steht in großen Lettern in den bunten Fenstern. Das schicke Lokal ist seit einigen Monaten die neue Spielstätte des BSV Dachau. "Es ist genauso geworden, wie wir uns das vorgestellt haben", erklärt Huber stolz. Als er beginnt, über die aktuelle sportliche Situation zu sprechen, wird er nachdenklicher. Denn die Profis, die seinen Verein jahrelang geprägt haben, kommen in der aktuellen Saison nicht mehr zum Einsatz. Der Grund dafür hört sich zunächst profan an, ist es aber keineswegs: Sie haben keine Zeit.

Nach drei Titeln belegte Dachau zuletzt Rang vier und drei in der Billard-Bundesliga

Seit Jahren kollidieren die Ligaspieltage im Poolbillard in großer Regelmäßigkeit mit prestigeträchtigen internationalen Wettbewerben, an denen die Dachauer Leistungsträger aus finanziellen Gründen teilnehmen müssen. Dort verdienen sie weitaus mehr Geld als im Ligabetrieb, dort sind sie für Sponsoren und Medien sichtbarer. Besserung ist im ewigen Zwist mit der Deutschen Billard Union, die für die Ansetzung der Spieltage verantwortlich zeichnet, nicht abzusehen. Dass seit 2017 nur noch zwei Ausländer pro Spieltag eingesetzt werden dürfen, verkomplizierte die Dachauer Situation in den letzten Jahren zusätzlich. Die Gesamtkonstellation führte laut Huber dazu, dass der BSV die vergangenen beiden Spielzeiten auf Rang vier und drei abschloss - und das trotz eines Kaders, der den aller anderen Konkurrenten nominell in den Schatten stellte. "Die Mannschaft, die uns so weit gebracht hat, hat uns am Ende quasi zwei Bundesligatitel gekostet", erklärt er nicht ohne eine gewisse Verbitterung.

Wie für viele andere Vereine brachte die Corona-Pandemie auch für den BSV Dachau finanzielle Einbußen mit sich. Im vergangenen Sommer entschieden Huber und Jugendtrainer Andreas Pühra sich daher für einen radikalen Umbruch: die kostspieligen Profis traten vorerst in den Hintergrund. "Es hat in der Konstellation einfach keinen Sinn mehr gemacht", sagt Huber. "Momentan ist der Stand: Wenn wir sie brauchen und sie Zeit haben, dann spielen sie. Aber wir setzen erstmal auf die anderen." Die anderen, das sind aktuell der 20-jährige Sanjin Pehlivanovic aus Bosnien-Herzegowina, der 21-jährige Serbe Aleksa Pecelj und das 17-jährige kroatische Nachwuchstalent Mario Gulic. Stefan Kasper ist mit 33 Jahren der mit Abstand älteste Spieler der aktuellen Stammformation. "Kindergarten" nennt Huber seine junge Mannschaft daher scherzhaft. Sie seien dafür bissig - und hungrig auf Erfolg.

Am ersten der sieben Doppelspieltage, aus denen die Bundesliga im Poolbillard besteht, holte das neue Team einen Sieg und eine Niederlage. Anfang Dezember erwartet der BSV im "Skyline Billard" den 1.PBC Sank Augustin - und damit ausgerechnet die Mannschaft, die in den letzten beiden Jahren die Dachauer Titelserie unterbrach. Auch wenn sein Team wegen mangelnder Erfahrung nicht zu den Meisterschaftsfavoriten zählt, hält Huber große Stücke auf die neuen Spieler. "Wir werden sehr unterschätzt", findet er und fügt mit einem Grinsen an: "Den Dachauer Kindergarten muss man erstmal schlagen."

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