Polnische Nationalmannschaft:Dieser Mann führt Polens Fußball in die Moderne

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Akribisch führt Adam Nawalka seine Mannschaft, und er hat damit erstaunlichen Erfolg: Selbst Weltmeister Deutschland hat er schon geschlagen.

(Foto: dpa)

Das Land hat Trainer Adam Nawalka anfangs wenig zugetraut. Jetzt staunen die Polen über ihre unterhaltsame Nationalmannschaft. Selbst Robert Lewandowski schwärmt.

Von Thomas Hummel, Lens

Adam Nawalka hatte vor ein paar Tagen ein Problem. Offenbar entwickelt sich die Flora in diesem feuchtwarmen Frühling an der französischen Atlantikküste schneller als im heimischen Polen. Jedenfalls stellte er eines Abends fest, dass die Grashalme auf seinen Trainingsplätzen in La Baule 24 Millimeter hoch waren. Nawalka zitierte sogleich seinen Platzwart herbei, um ihn darauf hinzuweisen, dass die Grashalme in den EM-Stadien exakt einen Millimeter kürzer seien und seine Fußballer sich deshalb hier keineswegs akkurat vorbereiten könnten. Noch in derselben Nacht musste dieser auf seinen Rasenmäher steigen und den Missstand beheben.

Die Polen staunen ein wenig über ihren Nationaltrainer. Nawalka ist so akribisch, so pflichtbewusst. Und so erfolgreich dazu. Dabei wollten sie doch eigentlich einen Ausländer als Trainer. Sie dachten: Einer der ihren würde es ja doch nie auf die Reihe bringen.

Vor der EM 2012 suchte Trainer Smuda Fußballer mit polnischen Wurzeln

Das Verhältnis der Polen zu ihrer Nationalmannschaft war lange kompliziert. Seit 1986, als das Land noch kommunistisch reagiert war, schaffte es kein Team über die Gruppenphase eines großen Turniers hinaus. Dem Verband wurde stets Korruption nachgesagt, Talente gab es kaum, Länderspiele dienten vor allem dazu, ein paar Tage von den Vereinen wegzukommen und ordentlich einen drauf zu machen. Bei der Heim-EM 2012 suchte der damalige Trainer Franciszek Smuda in ganz Europa nach Spielern mit polnischen Wurzeln, was eine Kulturdebatte im Land provozierte. Ausgeschieden sind sie trotzdem, ohne Sieg.

Von damals will heute in La Baule niemand mehr etwas wissen. "Wir sind eine ganz andere Mannschaft, mit einem neuen Trainer und einer neuen Spielweise. Wir sind eine neue Generation", sagt Stürmer Arkadiusz Milik. Diese neue Generation nimmt mehr Hoffnungen mit in das Turnier als all ihre Vorgänger in den 30 Jahren zuvor. Vor dem ersten Spiel in der EM-Gruppe C am Sonntag in Nizza gegen Nordirland (18 Uhr/ARD) herrscht in Polen vergleichsweise euphorische Stimmung.

Die Geburtsstunde der guten Laune war im Oktober 2014. Im ersten Heimspiel der Qualifikation zur EM erwartete Polen die Deutschen, den Weltmeister. Den Nachbarn, den es noch nie zuvor besiegt hatte. Das 2:0 in Warschau schuf eine Verbindung zwischen Fans und Spielern, die gemeinsame Freude, der Überschwang an diesem Abend ist unvergessen und trug die Mannschaft bis nach Frankreich. Denn sie gewann damals ja nicht glücklich, sondern mit einem klaren Plan, der verblüffend gut aufging.

Verbindung zwischen Fans und Spielern

Es war auch der Abend, an dem die Polen ihren Frieden mit Adam Nawalka machten. Er veränderte mithilfe einiger Spieler wie Robert Lewandowski vom FC Bayern, Kamil Glik vom FC Turin oder Grzegorz Krychowiak vom FC Sevilla die Mentalität. Es ging plötzlich um Disziplin, um Sorgfalt, ums Gewinnen. Dazu stellte er die Spielweise komplett um. In Warschau überraschten die Polen die Deutschen mit aggressivem Pressing und mit blitzgescheitem Konterfußball. Dabei nutzt Nawalka das Glück, dass plötzlich einige fähige, junge Spieler nachwachsen.

Arkadiusz Milik etwa, genannt Arek. Der Mann aus Schlesien war bereits vor ein paar Jahren für nicht unerheblichen Wirbel verantwortlich. Kurz vor seinem 19. Geburtstag hatte ihn Bayer Leverkusen als Transfer-Coup vorgestellt, als "Investition für die Zukunft" wie Sportdirektor Rudi Völler sagte. Doch es reichte nur zu sechs Partien in Leverkusen, der Klub verlieh Milik an den FC Augsburg, wo er zwei Tore schoss, sich aber auch nicht durchsetzte. 2014 zog er weiter zu Ajax Amsterdam. Und fand sein Glück.

Hinter Arkadiusz Milik sind jetzt die europäischen Topklubs her

Mit 21 Treffern war Milik zuletzt drittbester Torschütze der Eredivisie. Angeblich sind von Leicester über Sevilla bis Rom wieder eine Menge Klubs hinter ihm her. Für die polnische Nationalmannschaft ist der heute 22-Jährige vor allem wichtig, weil er den Fokus von Robert Lewandowski abzieht. Dank ihm müssen sich die Gegner nun auf mehr als einen Stürmer konzentrieren. Lewandowski kann seine alte Dortmunder Stärke des Bälle-Behauptens und Weiterleitens ideal einbringen, weil um ihn herum immer Milik wuselt und Freiräume schafft. Im Verbund mit dem schnellen Kamil Grosicki über links, Jakub Blaszczykowski über rechts sowie sehr offensiven Außenverteidigern gelangen der Mannschaft 33 Treffer in der Qualifikation, mehr als jedem anderen Team.

Und auch wenn allein 15 Tore davon gegen Gibraltar fielen, hält das Staunen in Polen über diese unterhaltsame Nationalmannschaft an. Torwart Wojciech Szczesny und Grzegorz Krychowiak bringen mit Video-Einlagen die Nation auch noch zum Lachen. Zuletzt machten sie einen öffentlichen Kochkurs mit allerlei lustigen Sprüchen und servierten das Dinner in Schürze und kurzer Hose. Die Spieler wirken locker, und sie haben einen Trainer, der sich um alles kümmert. Robert Lewandowski sagt: "Das ist das beste polnische Team, in dem ich je gespielt habe."

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