Polizeigewalt gegen Fußballfans:Verbissener Kampf um die Deutungshoheit

Polizeieinsatz im Schalke-Fanblock

Polizeibeamte in den Fankurven, hier beim berüchtigen Champions-League-Playoffspiel in der Schalker Arena im vergangenen August

(Foto: dpa)

Die deutsche Polizei wird in den Stadien zusehends zum Feindbild jugendlicher Fußballfans - und unternimmt wenig, um dem Trend entgegenzuwirken. Insbesondere der oberste Polizeigewerkschaftler feilt an seinem Feindbild in den Kurven.

Von Boris Herrmann

Der 1. FC Union hat sich einer Forderung der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) widersetzt. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn die Forderung lautete: "Der Fanbeauftragte des 1. FC Union Berlin sollte schnell in die Wüste geschickt werden." Lars Schnell - so heißt der Mann, der bei den Unionern für die treuesten Anhänger zuständig ist - war zum Wochenbeginn jedenfalls auf gewohntem Terrain anzutreffen, in der Geschäftsstelle in Köpenick. Sein Auge tränt noch immer, er muss es regelmäßig behandeln lassen. Immerhin, sagen sie bei Union, Schnell kann wieder arbeiten.

Vor gut einer Woche waren Fans des Berliner Zweitligisten nach dem Auswärtsspiel ihres Teams in Kaiserslautern mit der Polizei aneinandergeraten. Darüber, was genau passiert ist, gibt es ganz unterschiedliche Darstellungen, je nachdem, wer der Darsteller ist. Von der Bundespolizei ist zu hören, sie habe auf dem Hauptbahnhof von Kaiserslautern ihre Pflicht getan, um die Personalien von einigen Randalierern festzustellen.

Von Vereinsseite ist dagegen zu hören, es seien Hunderte friedliche Unioner grundlos über den Bahnhof gejagt worden, darunter auch Frauen und Kinder. Auch der Begriff der "Hetzjagd" steht im Raum. Der Fanbeauftragte Schnell war nach eigener Auskunft von einem Polizisten mit Pfefferspray angegriffen worden, als er versucht habe, zu schlichten. Ärztliche Hilfe sei ihm danach verweigert worden. Schnell erstattete Anzeige wegen Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung.

Das Beziehungsgeflecht zwischen Fußballvereinen, ihren Fans und der Polizei ist traditionell nicht ganz unkompliziert. In jüngster Zeit hat es sich aber noch einmal deutlich abgekühlt. Vor allem das Verhältnis zwischen jungen Fußballfans und der Polizei sei besorgniserregend, meint Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS). Viele tausende Jugendliche bringen inzwischen ein vorgefertigtes Feindbild von der Staatsmacht mit, wenn sie ins Stadion kommen.

Die Einsatzkräfte scheinen ihrerseits kaum eine Gelegenheit auszulassen, dieses Bild zu bestätigen. Das war im Spätsommer so, als ein Großaufgebot der Polizei beim Spiel gegen Saloniki den Fanblock des FC Schalke stürmte. Und das scheint sich auch im Fall des 1. FC Union zu bestätigen. In Köpenick haben sie keinen Zweifel daran, dass die "unverhältnismäßige Brutalität gegen Fußballfans" Methode hat. Der Vereinssprecher Christian Arbeit will nicht ausschließen, dass sich einzelne Unioner danebenbenommen haben in Kaiserslautern. "Aber wenn es auf dem Weihnachtsmarkt eine Schlägerei gibt, wird auch nicht der ganze Weihnachtsmarkt gestürmt", argumentiert er.

"Ich bin kein Fanfresser", sagt Wendt

Am Dienstagabend (19 Uhr) spielt der 1. FC Union schon wieder gegen Kaiserslautern. Diesmal im DFB-Pokal und vor eigener Kulisse. Nach Vereinsangaben sind dafür keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen geplant. Beim jüngsten Ligaspiel auf dem Betzenberg seien schließlich nicht die beiden Fanlager aneinandergeraten, sondern die Gästefans mit der Gastgeberpolizei. Aber gerade deshalb steht diese Partie unter besonderer Beobachtung. Der Ärger ist seither keineswegs verraucht. Im Gegenteil. Der Randale vom Bahnhof folgte ein verbissener Kampf um die Deutungshoheit.

Unions Vereinspräsident Dirk Zingler machte in einem ungewöhnlich harschen Statement den Anfang, in dem er der Polizei vorwarf, Gewalt geschürt und die öffentliche Ordnung gefährdet zu haben. Es war dann nur noch eine Frage der Zeit, bis die Polizeigewerkschaft mit ihrem berüchtigten Bundesvorsitzenden Rainer Wendt nach Kräften zurückschoss. Wendt bezeichnete Zinglers Äußerungen als "unverantwortliches Gerede auf Kreisklassenniveau", was wiederum die Frage aufwarf, ob die Forderung, Unions verletzten Fanbeauftragten in die Wüste zu schicken, überhaupt Kreisklassenniveau erreichte.

Mit der Meinung, dass diese Art der Auseinandersetzung alles andere als deeskalierend wirkt, steht der KOS-Leiter Michael Gabriel jedenfalls nicht alleine da. Zahlreiche externe Beobachter sehen mit großer Sorge, dass vor allem der Polizeigewerkschaftler Wendt immer wieder Öl ins Feuer gießt. Wendt hat den fragwürdigen Polizeieinsatz auf Schalke vehement verteidigt. Er feilte an seinem Feindbild, als er forderte, die Stehplätze abzuschaffen oder die Vereine bei Polizeieinsätzen in und am Stadion zur Kasse zu bitten. Wendts Gesinnung offenbarte sich auch, als er nach den Wasserwerfer-Attacken auf die Demonstranten von Stuttgart 21 wissen ließ: "Polizeiliche Einsatzmittel müssen Waffen sein, die weh tun, nur dann wirken sie."

Wenn man diesem Mann in seinem Büro gegenübersitzt, wirkt er erstaunlich sanftmütig. "Ich bin kein Fanfresser", sagt Wendt, "sondern ein Polizist, der ein Interesse hat, dass Straftaten nach den Vorgaben des Gesetzes verfolgt werden." Das Problem, das viele mit Wendt haben, besteht aber nicht zuletzt darin, dass er regelmäßig als Sprecher der Polizei wahrgenommen wird, obwohl er eigentlich nur für die Polizeigewerkschaft sprechen kann, im Grunde also eher Lobbyist als Polizist ist.

Wendt selbst hat damit kein Problem. Er will gehört werden, und er hat gelernt: Wenn er populistisch wird, hört man ihm zu. Es geht bei der DPolG auch immer um die Konkurrenz zur GdP, der anderen deutschen Polizeigewerkschaft. Beide Lobbyverbände buhlen um Mitglieder. "Fußballfans, Rocker, Salafisten sind meine größten Sorgenkinder", das ist so ein typischer Wendt-Satz. Dass er sich damit in den Kurven keine Freunde macht, ist ihm herzlich egal. Er erzählt schließlich auch mit einem Lächeln, dass ihm die Union-Fans einmal eine persönliche Grußbotschaft gewidmet hätten: "Reiner W. - selbst deine fünf Kinder schämen sich für dich."

Wo soll das noch hinführen? "Niemand hat ein größeres Interesse an einem vernünftigen Dialog als wir", sagt Wendt. Jeder dritte deutsche Bereitschaftspolizist mache inzwischen nichts anderes mehr als Fußball. Im Interesse der eigenen Leute müsse der Kleinkrieg zwischen der Polizei und den Fans deshalb unbedingt befriedet werden. Wendt räumt aber ein: "Die Situation ist im Moment ein bisschen festgefahren."

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