Polens Aus bei der EM:Hoffnungsvolle Katastrophe

In der polnischen Politik herrscht ein Ton, der nicht auf Konsens, sondern Konfrontation ausgerichtet ist. Im polnischen Fußball besteht zumindest die Chance, dass das Scheitern der eigenen Elf auch zu einer Katharsis führt: dass mit neuen Leuten auf wichtigen Posten transparente Strukturen entstehen sowie sportlich tragbare Konzepte für die Zukunft.

Thomas Urban

Es ist nur ein kleiner Trost für die polnischen Fans, dass auch die Rus-sen ihre Koffer packen müssen. Vielmehr haben sie wieder einmal eine "schöne Katastrophe" erlebt. So nennen Politologen an der Weichsel seit langem Fehlschläge in der Politik und Niederlagen im Sport, vor denen sich gewaltige nationale Emotionen aufgetürmt haben. Das klingt spöttisch und ist auch so gemeint. Es ist eine Anspielung darauf, dass das hingebungsvolle Leiden einen zentralen Platz in der nationalen Überlieferung ausmacht, es auch das Hauptthema der Literatur und der Bühnenwerke ist - was natürlich seinen Ursprung durchaus in den Tragödien der wahren Geschichte hat.

Alte Seilschaften um Lato

Zwar haben die Polen im Fußball in den letzten 25 Jahren nur "schöne Katastrophen" erlebt, der Umgang mit Niederlagen müsste also Routine sein. Doch vor jedem neuen Turnier werden die Erwartungen durch Medien und Politiker so hoch geschraubt, dass der Fall tief und schmerzlich ausfällt. Es ist somit offensichtlich, dass der Druck der Öffentlichkeit, der auf den Spielern lastet, sie in wichtigen Partien hemmt, sie lähmt, so dass sie weit unter ihren Möglichkeiten bleiben. Auch der gewaltige Demokratisierungs- und Modernisierungsschub des Landes seit dem Wendejahr 1989 hat diesen nationalen Aufwallungen nichts von ihrer Dynamik genommen, sie können nach wie vor jederzeit auch auf die Politik durchschlagen.

Doch der psychologische Aspekt ist nur einer der Gründe für all die "schönen Katastrophen". Mindestens ebenso wichtig sind die sportlichen und strukturellen Probleme des polnischen Fußballs. Die Vereine und Verbände haben im zurückliegenden Vierteljahrhundert die Nachwuchsförderung sträflich vernachlässigt. Entsprechend niedrig ist das Niveau der Ekstraklasa, der ersten Liga. Den nationalen Verband PZPN kontrollieren alte Seilschaften, für sie steht Präsident Grzegorz Lato, einst Torjäger jener "goldenen Generation", die bei den Weltmeisterschaften 1974 und 1982 mit elegantem Offensivspiel nicht nur zwei dritte Plätze eroberte, sondern dem Land viele Sympathien brachte.

Ruppig zurückgekeilt

Lato wird nun vor allem von Jan Tomaszewski, dem Torwart der damaligen Elf, der heute Abgeordneter der national-konservativen Oppositionspartei PiS unter Jaroslaw Kaczynski ist, laut vorgehalten, vor der Korruption im PZPN die Augen zu verschließen. Dummerweise bringt Tomaszewski seine im Kern zutreffende Kritik in so aggressiver und auch grotesker Form vor, dass er ihre Aussage selbst entwertet. Doch Lato hat nichts Besseres zu tun, als ebenso ruppig zurück zu keilen. Auch hier stehen die Streithähne stellvertretend für die Gesellschaft, denn auch in der polnischen Politik herrscht ein Ton, der nicht auf Konsens, sondern Konfrontation ausgerichtet ist.

Doch zumindest die Hoffnung besteht, dass der aktuelle Tiefschlag auch zu einer Katharsis führt: dass mit neuen Leuten auf wichtigen Posten transparente Strukturen entstehen sowie Konzepte, die das Potenzial, das durchaus im polnischen Fußball steckt, zur Entfaltung bringen. Auch im eigenen Land und nicht nur bei Borussia Dortmund.

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