Polen vor der EM 2012:Auf der Suche nach der polnischen Großmutter

Vor der Europameisterschaft 2012 im eigenen Land ist Polen von einer schlagkräftigen Nationalelf weit entfernt, nur der Kapitän scheint gesetzt. Um trotzdem bestehen zu können, versucht Polens Nationaltrainer Franciszek Smuda möglichst viele Spieler einbürgern zu lassen - auch wenn sie kein polnisch sprechen.

Thomas Urban

Die Deutschen sind der Angstgegner der Polen. Gegen alle Großen haben diese schon gewonnen. So haben die Polen bei der WM 1974 sensationell Italien, Argentinien und Brasilien besiegt. Wenig später konnten die WM-Zweiten aus den Niederlanden um Johan Cruyff den weiß-roten Sturm mit Grzegorz Lato, Andrzej Szarmach und Kazimierz Deyna nicht bändigen und gingen 1:4 unter.

Polish national soccer team during a training

Überall auf der Suche nach neuen Spielern: Polens Nationaltrainer Franciszek Smuda.

(Foto: dpa)

Die Franzosen mit Michel Platini unterlagen ihnen bei der WM 1982 im Spiel um den dritten Platz. Gegen die Deutschen dagegen gelang ihnen seit der allerersten Partie im Dezember 1933, als Joseph Goebbels auf der Tribüne des Berliner Poststadions saß, kein einziger Sieg. Vier Unentschieden und zwölf Niederlagen sind die Bilanz; das polnische Fußballtrauma ist bis heute die "Wasserschlacht von Frankfurt" 1974.

Diese schwarze Serie müsse endlich abreißen, verkündet Lato, der Torjäger von 1974, nun, füllig und glatzköpfig geworden, in seiner Rolle als Präsident des Fußballverbandes PZPN. Nationaltrainer Franciszek (Franz) Smuda, der einst als Spätaussiedler aus Oberschlesien nach Bayern kam, sagt, seine Spieler würden alles geben.

Mehr sagt er nicht, Smuda und Lato halten sich und ihre Spieler seit Wochen fast völlig von den Medien fern, die nach ihren Worten durch ihre Hysterie nur den Aufbau einer schlagkräftigen Mannschaft hintertreiben.

Davon aber sind die "weißen Adler", wie die Mannschaft nach dem nationalen Wappentier genannt wird, weit entfernt. Am Freitag gab es ein mageres 1:1 gegen Mexiko, davor ein knappes 1:0 gegen die schwachen Georgier und ein 0:1 gegen die französische Reserve. Smuda experimentiert bei jedem Spiel, ein Stammkader ist noch nicht zu erkennen, nur Kapitän Jakub (Kuba) Blaszczykowski (Borussia Dortmund) scheint gesetzt zu sein.

Nun soll auch sein Klubkamerad Robert Lewandowski wieder zum Zuge kommen, während der dritte Pole beim BVB, Lukasz Piszczek, wegen seiner Beteiligung an einer Spielmanipulation vor sechs Jahren in der polnischen Liga für Länderspiele gesperrt ist.

Das Tor soll wieder Wojciech Szeczesny hüten. Er muss sich nun besonders beweisen, denn erst vor einer Woche wurde er zu einem der Sündenböcke beim 2:8 seines FC Arsenal bei Manchester United gemacht. Die Warschauer Sportpresse hielt bei der Gelegenheit wieder einmal Smuda vor, dass er die langjährige Nummer eins, Artur Boruc (AC Florenz), aus dem Kader geworfen hat, nur weil dieser bei einem Flug nach einem Spiel der Nationalelf ein Glas Wein getrunken habe.

Smudas umstrittenes Konzept

Boruc hatte in Stressspielen immer gute Nerven bewiesen; bei der WM 2006 hatte er mit seinen Paraden den deutschen Sturm zur Verzweiflung gebracht, bis ihn dann in der letzten Minute der Nachspielzeit doch noch Oliver Neuville überwinden konnte.

Umstritten ist auch Smudas Konzept, bei den westlichen Nachbarn nach Spielern suchen zu lassen, die in Polen geboren wurden oder zumindest polnische Vorfahren haben. Auf diese Weise kamen der Bremer Sebastian Boenisch, der Kölner Adam Matuszczyk und der Mainzer Eugen Polanski zu den Weiß-Roten. Wie Lukas Podolski und Miroslav Klose sind sie als Kinder von deutschstämmigen Spätaussiedlern aus Oberschlesien in die Bundesrepublik gekommen.

Zum Kader stieß auch der in Frankreich geborene Mittelfeldspieler Ludovic Obraniak (OSC Lille), dessen Eltern aus Polen ausgewandert waren. Gegen die Deutschen läuft nun erstmals in Weiß-Rot Damien Perquis (FC Sochaux) auf, dessen Großmutter aus Polen stammt. Dies war für Staatspräsident Bronislaw Komorowski ein ausreichender Grund, ihm im Eilverfahren die polnische Staatsbürgerschaft zu verleihen.

Perquis spricht allerdings kein Polnisch, für ihn übersetzt der PZPN-Dolmetscher die Anweisungen Smudas ins Englische. Die Kritik an Smudas Einbürgerungspolitik gipfelt in der Aussage von Jan Tomaszewski, WM-Torwart von 1974, der heute bei jeder Gelegenheit die PZPN-Spitze unter seinem einstigen Teamkameraden Lato angreift: Es sei eine Schande, wenn Spieler mit dem weißen Adler herumliefen, die kein Polnisch sprächen.

Die Erwartungen der polnischen Sportpresse sind nicht hoch. Nur das Warschauer Krawallblatt Fakt, herausgegeben vom Axel-Springer-Verlag, beschwert sich, dass die Deutschen "nur mit ihrer Reserve" anträten, nachdem Torwart Neuer, Schweinsteiger und Özil nach dem 6:2 am vergangenen Freitag gegen Österreich von Bundestrainer Löw spielfrei bekamen.

Das sehe so aus, "als nehmen sie uns nicht richtig ernst", befand das Blatt. Der PZPN hätte sich vertraglich zusichern sollen, dass "in bester Besetzung" anzutreten sei. Wie solle sonst die polnische Elf vor der EM im eigenen Land testen, wo sie steht? Zumindest in der Fifa-Weltrangliste ist es klar: Polen liegt auf dem 65. Platz, zwischen Libyen und Ecuador.

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