Polen qualifiziert sich für die WM:Lewandowski schnappt sich das Stadionmikro

Polen qualifiziert sich für die WM: Robert Lewandowski, Kapitän der polnischen Nationalmannschaft, traf gegen Schweden per Elfmeter zum 1:0 für sein Land.

Robert Lewandowski, Kapitän der polnischen Nationalmannschaft, traf gegen Schweden per Elfmeter zum 1:0 für sein Land.

(Foto: Kacper Pempel/Reuters)

Polen gewinnt 2:0 gegen Schweden und fährt zur Weltmeisterschaft in Katar, auch dank eines Treffers von Robert Lewandowski. Die Euphorie ist groß - und doch ist im Stadion zu spüren, dass hinter der Landesgrenze Krieg herrscht.

Von Thomas Hürner, Chorzów

Rot und Weiß, überall. Bis tief in die Nacht zogen polnische Fans durch die Straßen von Chorzów, mit wehenden Fahnen in den Händen, enormen Plüschhüten auf den Köpfen und Trompeten in den Mündern, jedes Utensil in den Nationalfarben ihres Landes. Und sie sangen und brüllten es heraus: Polska, Polska, Polska! Mit jeder Silbe wurden sie ein bisschen stolzer und lauter, so, wie das schon den gesamten Dienstagabend über gewesen war im Stadion Śląski, von dem es in Polen heißt, es sei der Spielort für große Triumphe und gewaltige Festlichkeiten.

In Schlesien hatte sich das polnische Nationalteam schon drei Mal für eine Weltmeisterschaft qualifiziert, weshalb die Sterne ohnehin gut standen vor dem entscheidenden Playoff-Duell mit Schweden - doch "vom Himmel geholt", wie die Zeitung Przeglad Sportowy schrieb, haben die Sterne dann schon die Spieler selbst: Polen siegte 2:0, in einer Partie, die aus Sicht der Gastgeber bisweilen wirkte wie ein kollektiver Akt der Selbstbehauptung, während Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine tobt und die Sorgen auch in den Nachbarstaaten um sich greifen. So ließ sich auch ein Tweet lesen, den der Präsident Andrzej Duda direkt nach dem Abpfiff in die Welt sendete, in Versalien und mit einer Extra-Portion Pathos: "Bravo, Weiß-Rot! Polen fährt erhobenen Hauptes nach Katar!"

Volksheld Lewandowski schießt den erlösenden Führungstreffer

Es passte daher, dass es Anfang der zweiten Halbzeit Robert Lewandowski war, der einem zittrigen und umkämpften Spiel mit seinem Führungstreffer die Wendung gab. Denn für die Polen ist der Stürmer des FC Bayern nicht einfach nur ein Star und Weltfußballer, er ist auch ein Volksheld und globaler Botschafter des Landes. In Deutschland weiß man davon, theoretisch zumindest, vor 55 000 elektrisierten Zuschauern im Śląski klingt dieser exponierte Status aber noch mal gleich ganz anders.

Was immer gleich bleibt, ganz egal, wo gespielt wird: Lewandowskis weltbekannte Art, einen Strafstoß zu schießen. Nach einem Foul am eingewechselten Grzegorz Krychowiak nahm Polens Kapitän Anlauf am Elfmeterpunkt, er trippelte auf den Zehenspitzen, verzögerte, lief einen Bogen, trippelte - und schob den Ball lässig ins rechte Eck, als er sah, dass der schwedische Torwart Robin Olsen bereits in die andere Richtung abgesprungen war. 1:0.

Das Tor war ein Brustlöser für das polnische Team, das jetzt mutiger und griffiger wurde, ohne dabei seine defensive Grundausrichtung zu verlieren. Für diesen Pragmatismus steht auch der Nationaltrainer Czesław Michniewicz, der sein Amt erst vor zwei Monaten angetreten war, weil der unbeliebte und nur mäßig erfolgreiche Portugiese Paulo Sousa die Arbeit niedergelegt hatte und nach Südamerika umgesiedelt war. Michniewicz, 52, hat eine Kurzzeitmission angetreten, denn sein Vertrag beim polnischen Fußballerverband läuft nur bis Ende des Jahres. Jetzt gilt eine vorzeitige Verlängerung als möglich.

Die Polen sehnen sich nach anmutigem Offensivfußball

Der neue Coach war mit Skepsis beäugt worden, weil das Toreschießen auf seiner Prioritätenliste erst nach dem Verteidigen kommt. Dabei, glauben die polnischen Fans, sei die aktuelle Mannschaft doch prädestiniert für jenen anmutigen Offensivfußball, wie ihn die goldene Generation um den Spielmacher Zbigniew Boniek in den 70er- und 80er-Jahren spielte. Dessen Erbe antreten sollte eigentlich mal Piotr Zieliński, ein hochbegabter Linksfuß des SSC Neapel, dem im Nationalteam aber stets das Image des Unvollendeten anhaftet.

Auch am Dienstag streute der Mittelfeldmann wieder ein paar Ungenauigkeiten in sein Spiel, doch das Timing für seinen großen Auftritt hätte nicht besser sein können: Zieliński, 27, schnappte sich an der Mittellinie einen Fehlpass der Schweden, die zunächst ohne den angeschlagenen Zlatan Ibrahimovic auskommen mussten, und stürmte im Alleingang bis hinter die Strafraumkante, von wo er mit einem akkuraten Schuss zum 2:0-Endstand traf.

Das sei ein "großer Sieg" gewesen, jubilierte Lewandowski, der sich im Stadion das Mikrophon schnappte und eine Dankesrede ans Publikum richtete. Etwas später, bei der obligatorischen Interviewschleife im Fernsehen, wurde der 33-Jährige präziser: "Es ist keine einfache Zeit, wenn man sich anschaut, was andernorts passiert", sagte Lewandowski. "Deswegen war das für uns heute eine große Herausforderung, nicht nur sportlich, sondern auch mental."

Dieses Fußballspiel hatte noch eine zweite Dimension, sie war zu spüren und zu hören, im Stadion wie auch zu später Stunde in der nahegelegenen Industriestadt Kattowitz: Der Krieg in der Ukraine, nur unweit der Landesgrenzen zu Polen. Schon die Wahl des Austragungsorts Chorzów lag nicht allein am Aberglauben, sondern auch daran, dass das Nationalstadion in Warschau derzeit als Anlaufstelle für ukrainische Geflüchtete umfunktioniert wird.

Das Spiel war bereits im Vorfeld politisch aufgeladen

Fußball ist in Polen häufig politisch aufgeladen, in diesen Zeiten umso mehr. Das gereicht einerseits zu demonstrativer Solidarität, als Ergänzung zu der sehr realen Hilfe, die für die mehr als zwei Millionen Flüchtlinge im Land geleistet wird. Von den Zuschauerrängen gab es zum Beispiel lauten Applaus statt Pfiffen, während die schwedische und polnische Hymnen eingespielt wurden.

Ein kleiner Schulterschluss nur, aber auch ein Signal an den Aggressor Putin, den beide Länder als Bedrohung empfinden. Pikant war die Sache überdies, weil das russische Nationalteam ursprünglich im selben Playoff-Turnierbaum gesteckt war. Kurz nach Kriegsbeginn hatten die Fußballverbände aus Polen und Schweden angekündigt, dass sie ein Spiel gegen Russland boykottieren würden - und kamen damit dem offiziellen Ausschluss durch die Fifa zuvor.

Als das Spiel losging, da offenbarte sich die Haltung später auch in Sprechchören, in teils wüstem Beleidigungen gegen Putin und gegen Russland, herausgepresst aus zehntausenden Kehlen. Jedoch, auch das kann der Fußball: Mit dem Schlusspfiff war der Krieg vergessen, für einen Augenblick zumindest. Und so oblag es dem polnischen Coach Michniewicz, die passenden Abschlussworte für diesen Abend zu finden. Er sagte: "Wir sind dabei. Wie schön."

Zur SZ-Startseite

SZ PlusJamal Musiala im DFB-Team
:Der muss spielen! Nur wo?

Beim 1:1 in Amsterdam testet Hansi Flick die Wehrhaftigkeit seines Lieblingsspielers Jamal Musiala. Vorläufiges Endergebnis: Prüfung bestanden. Somit beschert er dem Bundestrainer ein willkommenes Luxusproblem.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: