Eine gute halbe Stunde vor Spielbeginn konnte man dem erfolgreichsten Fußballspieler der polnischen Geschichte dabei zusehen, wie er Sehnsucht verspürte. Seine Mitspieler passten ihm immer wieder den Ball zu, manchmal nahm er ihn kurz an, lupfte ihn hoch, jonglierte ihn ein paarmal und passte ihn zurück. Die meiste Zeit aber blickte Robert Lewandowski nur auf das Tor unterhalb der Nordtribüne im Volksparkstadion, wo sich die Mannschaftskameraden für ihr Auftaktspiel gegen die Niederlande warm schossen.
Lewandowski wagte keinen Torschuss, er wirkte auch im Spiel nicht mit, obwohl er offiziell auf der Bank Platz nahm. Eine Muskelfaser war vor einigen Tagen im Oberschenkel der Nation gerissen, nun war ihm der Schmerz über die Zuschauerrolle sogar von der Tribüne aus anzusehen. Es sollte nicht der letzte schmerzhafte Moment an diesem Nachmittag in Hamburg bleiben, an dem Polen seinen Auftakt in die EM 1:2 gegen die Niederlande verlor.
Italiens 2:1 gegen Albanien:Kollaps, Spritze – und zurück ins Leben
Die Italiener kassieren gegen Albanien das schnellste Gegentor der EM-Geschichte, erholen sich davon aber erstaunlich schnell – und wecken in der Heimat bereits erste Erinnerungen an den WM-Titel 2006.
Eine gute Stunde später – die Partie war eine halbe Stunde alt – wünschte man den Polen dringend Verstärkung, allerdings eher in der Verteidigung als im Sturm. 1:1 stand es zu diesem Zeitpunkt, eher wundersamerweise, denn: Fußball spielte nur eine Mannschaft. Mit beeindruckender Wucht und Flexibilität kombinierten sich die Niederländer von Trainer Ronald Koeman ab der ersten Minute durch die polnische Hälfte. Cody Gakpo, Tijjani Reijnders, Memphis Depay und Xavi Simons hatten allesamt beste Chancen zur Führung, bevor das erste Tor auf der anderen Seite fiel.
Ein Eckball von Polens Kapitän Piotr Zielinski flog in der 16. Minute in den niederländischen Strafraum, wo der Spieler mit der Nummer 16 wartete: Adam Buksa hatte vor dem Spiel die wahrlich undankbare Aufgabe aufgetragen bekommen, als Stürmer nicht nur Lewandowski, sondern auch den am Knie verletzten Arkadiusz Milik von Juventus Turin zu ersetzen. Ein wenig wirkte das so, als würde man die Comichelden Asterix und Obelix auswechseln und den kleinen Hund Idefix die ganze Arbeit gegen die übermächtigen Römer machen lassen. Buksa jedenfalls tat sein Bestes: Mit einem wunderbaren Kopfball brachte er Polen zu einer Führung, die mit dem Spielverlauf keineswegs zu erklären war.
Verbruggen verhindert die erneute polnische Führung
Ein paar Minuten hielt der Schock für die Niederlande, dann fanden Koemans Spieler wieder ihren Rhythmus. Zwei Drittel des Ballbesitzes entfiel in der ersten Halbzeit auf die Niederlande; vor allem über Simons und Depay, der erneut mit seinem zuhause viel diskutierten Stirnband auflief, kam Polens Abwehrkette immer wieder unter Druck. Das 1:1 allerdings fiel letztlich nach 29 Minuten durch die Initiative eines Verteidigers: Nathan Aké von Manchester City drang in die polnische Hälfte ein, um eine Klärung offensiv zu verteidigen und setzte direkt Gakpo in Szene, dessen wuchtiger Abschluss von Bartosz Salomon abgefälscht wurde – und so den Weg ins Tor fand.
Dass die Überlegenheit der Niederlande sich nicht im Ergebnis widerspiegelte, war einer äußerst mangelhaften Chancenverwertung zuzuschreiben. Noch vor der Pause hätte Depay die Führung erzielen müssen, sein Schuss verfehlte allerdings knapp den linken Pfosten, und nur eine knappe Minute nach Wiederanpfiff klärte Torwart Wojciech Szczesny in großer Not gegen Denzel Dumfries. Es dauerte wie schon in der ersten Halbzeit eine Viertelstunde, bis die Polen offensiv mitspielten: In der 59. Minute testete Außenverteidiger Jakub Kiwior die Fähigkeiten des 21 Jahre alten Stammtorwarts der Niederländer, Bart Verbruggen, der den Schuss genauso parierte wie kurz darauf einen Abschluss von Zielinski.
Weghorst trifft mit dem ersten Ballkontakt
Es war die beste Phase der Polen, die andeuteten, dass sie durchaus zu mehr fähig sind als zu einer beinharten, oftmals heldenhaften Verteidigung: Immer dann, wenn den Niederländern etwas Tempo fehlte, folgte auf eine Balleroberung umgehend ein polnischer Konter, dazu flogen immer wieder gut getretene Ecken in den Strafraum.
Bis zur 82. Minute lief das Spiel ausgeglichener als in der ersten Halbzeit. Dann kam ein Spieler mit der Nummer neun auf dem Trikot an den Ball. Es war nicht die schönste Hereingabe, die sich auf den Weg zu ihm machte, Wout Weghorst verwertete sie jedenfalls im eiskalten Stil eines Strafraumstürmers, wie er den Polen an diesem Tag fehlte. Die Niederlande hingegen hatten sich sogar den Luxus geleistet, ihren Stoßstürmer erst spät ins Spiel zu bringen. Erst eine Minute zuvor war der Hoffenheimer Weghorst eingewechselt worden. Er brauchte nur einen Ballkontakt, um diese Partie mit dem 2:1 zu entscheiden.