Polen nach dem Eröffnungsspiel der EM 2012:Riesiger Freude folgt große Müdigkeit

Fünf Jahre lang warteten die Polen auf den Start der Fußball-EM, jetzt endlich schaut die Welt auf ihr Land. Warschau erlebt beim Auftaktspiel zwischen den Gastgebern und Griechenland einen Tag voller Vorfreude und ein umjubeltes Tor im Dortmund-Stil. Doch dann geht im schwülheißen Nationalstadion noch so einiges schief.

Thomas Hummel

Um 15 Uhr sauste in Warschau ein heftiger Platzregen herunter. Nicht einmal die allerbesten katholischen Verbindungen Polens zum Himmelreich konnten das verhindern, dabei wusste den Schauer an diesem Freitag wirklich niemand zu gebrauchen. Die Menschen in ihren rot-weißen Trikots, rot-weißen Gesichtern und Hüten versuchten sich irgendwo unterzustellen. Unter den Plexiglas-Dächern der Bushaltestellen wurde es eng. Und ins nagelneue Nationalstadion regnete es hinein.

Polen gegen Griechenland, EM-Auftakt

Dortmunder Hilfe: Polens Kapitän Jakub Blaszczykowski hievt seinen Vereinskollegen Robert Lewandowski (li.) auf die Beine. 

(Foto: dpa)

Für die Polen erfüllte sich an diesem Freitag eine Sehnsucht. Fünf Jahre sind seit der Vergabe der Europameisterschaft vergangen, fünf Jahre hat das Land auf diesen Freitag hingearbeitet. Endlich standen sie einmal im Mittelpunkt, endlich schaute die Welt auf ihre Hauptstadt. Sogar die Kleinkinder lagen in einem rot-weißen Hemdchen in ihren Wagen.

Es war der Tag der nationalen Einheit. Und dass am Abend die eigene Fußballmannschaft gewinnen und damit eine lange Feiernacht folgen würde, verstand sich von selbst. Der Gegner hieß schließlich nur Griechenland. Und wir haben die drei Dortmunder Double-Gewinner - was soll da schiefgehen? So dachten die Polen.

Es ging dann eine ganze Menge schief, und hätte nicht ein gewisser Przemyslav Tyton in seiner ersten EM-Aktion den Elfmeter des zuvor bärenstarken griechischen Kapitäns Giorgios Karagounis gehalten, es wäre eine Nacht der Trauer geworden. Nach dem 1:1 blieb immerhin das Gefühl, dass Polen noch nicht ganz verloren ist. Auf die Frage, ob er nun enttäuscht oder froh sei, antwortete der Dortmunder Lukasz Piszczek: "Beides." Damit traf er die Stimmung seiner Landsleute. Zunächst. "Jetzt müssen wir eben beide Spiele gewinnen", sagte Nationaltrainer Franciszek Smuda in der Pressekonferenz trotzig.

Noch später am Abend sahen die Gastgeber aber ihren nächsten Gegner, den ungeliebten großen Nachbarn Russland. Der besiegte Tschechien mit einer teilweise beeindruckenden Darbietung 4:1. Am Dienstag in Warschau könnte es für den Gastgeber schon um alles gehen. Mal sehen, ob die Veranstalter dann wieder das Dach im Nationalstadion schließen.

Zum Auftakt bot die EM ein Hallenfußball-Spiel, wohl um wechselnde Lichtverhältnisse zu verhindern. TV-Kameras mögen wechselnde Lichtverhältnisse nicht und im Zweifel haben Fernsehsender heute mehr Einfluss auf ein Stadiondach als eine Fußballmannschaft oder 58.000 Zuschauer. Denn trotz des kurzen Regenschauers lag eine schwülwarme Luft über Warschau, die sich unter dem Dach in eine schwülheiße verwandelte. Und diese stellte sich als echter Nachteil für die Gastgeber heraus. In der ersten Halbzeit noch kombinierten und rannten die Polen ihre Gegner im Dortmund-Stil nieder.

Rot für den Torhüter

Nach 17 Minuten passte Jakub Blaszczykowski auf Lukasz Piszczek, dessen Flanke köpfte Robert Lewandowski ein. Jürgen Klopp, der Vereinstrainder der drei in Dortmund, ist vermutlich mit geballter Faust vor dem Fernseher gehüpft, so borussig spielten die Polen. Als dann auch noch der Bremer Grieche Sokratis Papastathopoulos umstritten mit Gelb-Rot vom Platz musste (44.), schien die Partie entschieden. Doch die Griechen wechselten die Taktik, schlugen nun hohe Bälle nach vorne.

Und Polens Torwart Wojcech Szczesny erwischte einen schlimmen Tag. Beim 1:1 flog er an einer Flanke vorbei, kurz darauf foulte er im Strafraum und sah Rot. "Ich bin glücklich, dass Tyton den Ball gehalten hat. Weil ich fühlte, falls der Elfmeter reinginge, wäre das Spiel erledigt gewesen", sagte Szczesny später. Dabei waren da erst 71 Minuten gespielt - doch die polnischen Profis waren zu diesem Zeitpunkt schon platt.

Und die Zuschauer auch. Das Tempo, die Begeisterung, vielleicht auch die riesige Freude über das erste Lewandowski-Tor hatte die polnischen Zuschauer und die elf Spieler zu viel Kraft gekostet: Sie hatten überhaupt nichts mehr zu bieten auf dem Platz.

Selbst das Publikum wirkte Mitte der zweiten Halbzeit müde. "Diese Luft war ein bisschen drückend", sagte Piszczek, "das Stadion war zu, 60.000 Leute im Stadion, es war schwer zu atmen." Jeder Anwesende konnte das nachvollziehen, sogar manche Ordnerinnen auf der Tribüne hatten nasse Hemden von der Gewächshaus-Hitze. Als der polnischen Mannschaft die Kraft ausging, offenbarte sie auch ihre Schwächen.

In der Abwehr irrlichterte Marcin Wasilewski umher, links ließ Sebastian Boenisch immer mal wieder einen vorbei. Und im zentralen Mittelfeld verloren Eugen Polanski und Rafal Murawski völlig die Kontrolle über das Spiel. Überraschend war dabei, dass sich auch die drei Dortmunder in das müde Gekicke fügten. Jürgen Klopp saß inzwischen wohl auch nachdenklich in seinem Sessel. Draußen in Warschau schauten alleine vor dem Kulturpalast 100.000 Menschen auf den acht Großbildleinwänden zu.

Dass es schließlich doch nicht die große, laute Feiernacht wurde, störte bald nur noch wenige. Die meisten feierten einfach so weiter, Wodka und Bier flossen in dieser Nacht in großen Mengen. So manch einer wusste schon um Mitternacht nicht mehr, wie das Spiel überhaupt endete.

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