Tadej Pogacar bei der Tour de France:Der Fahrer, der jetzt schon alles beherrscht

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Scheinbar mühelos: Tadej Pogacar passiert Jonas Vingegaard (rechts) und kurz davor Lennard Kämna (nicht im Bild). (Foto: Marco Bertorello/AFP)

100 Meter vor dem Ziel entreißt Tadej Pogacar dem deutschen Lennard Kämna noch den Sieg bei der ersten schweren Bergankunft - und krönt seine erstaunliche erste Woche. Wer soll ihn vom dritten Tour-Triumph noch abhalten?

Von Johannes Aumüller, La Planche des Belles Filles/München

100 Meter waren es noch, 100 Meter von insgesamt 176,3 Kilometern, die an diesem Tag zu bezwingen waren. Den ganzen Tag über war der deutsche Bora-Profi Lennard Kämna auf dieser schweren Vogesen-Etappe in einer Fluchtgruppe gewesen, am letzten Anstieg auf die Planche des Belles Filles war er den anderen davongefahren und steuerte nun seinem zweiten Etappensieg bei der Tour de France entgegen. Aber diese 100 Meter, das waren die vielleicht fiesesten 100 Meter, die die Frankreich-Schleife in diesem Jahr zu bieten hat: ein Untergrund aus Schotter, Steigungswerte von bis zu 24 Prozent, da haben die Fahrer das Gefühl, nicht mehr von der Stelle zu kommen. Zumindest alle Fahrer, die nicht Tadej Pogacar heißen.

Im allerletzten Moment des Rennens kam der Slowene von hinten herangespurtet, begleitet einzig vom Dänen Jonas Vingegaard - und entriss Kämna noch den Tagessieg. Es war Pogacars zweiter Etappenerfolg nacheinander, und weil es dafür noch einen kleinen Zeitbonus gab, hat er seinen Vorsprung in der Gesamtwertung noch einmal ausgebaut. 35 Sekunden liegt er schon vor Vingegaard (Team Jumbo) und 70 vor Geraint Thomas (Ineos). Und selbst wenn das noch nicht nach allzu viel klingt, so legt sich nach dieser neuerlichen Demonstration bereits die Frage übers Peloton, was Pogacar vom dritten Tour-Sieg nacheinander abhalten kann - außer einem Vorfall aus der Pech-Kategorie Sturz/Defekt/Corona?

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Ein Drittel der Rundfahrt ist erst absolviert, aber der Slowene hat es nicht für nötig befunden, irgendwie behutsam in die Tour einzusteigen. Stattdessen wirkte er von Beginn an so ungemein stark, als könne er nebenbei auch noch Wimbledon gewinnen, wenn man ihn zwischendurch schnell rüber nach London kutschieren würde. Beim Einzelzeitfahren in Kopenhagen war er der schnellste Klassementfahrer. Als es am Mittwoch über fiese Kopfsteinpflaster ging, bewältigte er die so lässig, als habe er in seinem ganzen Leben nichts anderes gemacht, als den Pavé-Klassiker Paris - Roubaix zu bestreiten - dabei war er bis dahin noch nie in seinem Profileben über die Pflastersteine gefahren. Dann der Donnerstag, eine hügelige Etappe mit einem zwar kurzen, aber steilen Stich im Finale - und Pogacar sprintete all den Spezialisten für solche Ankünfte einfach davon.

Und nun folgte als vorläufige Krönung also dieser Tag durch die Vogesen. Zwar prägte die Etappe eine zunächst elfköpfige, später immer kleiner werdende Ausreißergruppe, zu der neben Kämna noch zwei weitere Deutsche gehören: sein Bora-Kollege Maximilian Schachmann sowie Simon Geschke (Cofidis). Aber mehr als drei Minuten ließ Pogacars Team diese Gruppe nicht weg. Das war das Signal, dass der Slowene die Etappe auch gewinnen wollte. Ganz so, als wolle er zeigen, wer hier der Chef im Peloton ist; und durchaus vergleichbar mit der Situation im Vorjahr, als er die erste Alpen-Etappe für ein 35-Kilometer-Solo nutzte, das die Konkurrenz zermürbte.

Bora-Fahrer Lennard Kämna bei der Tour 2022. (Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Und in den letzten steilen Rampen zog er dann so an, dass dieser Plan aufging. "Das war echt hart, gerade das letzte Stück", sagte Pogacar im Ziel: "Aber meine Mannschaft hat den ganzen Tag so hart gearbeitet. Und meine Freundin stand im Ziel, die konnte ich nicht enttäuschen. Deswegen wollte ich unbedingt gewinnen. Diesen Sieg habe ich mir schon vor langer Zeit vorgenommen."

Seit zwei Jahren staunt die Radszene nun über diesen Tadej Pogacar, seit jenem Tag, als er in einem Bergzeitfahren just auf der Planche des Belles Filles seinem Landsmann Primoz Roglic noch den Tour-Gesamtsieg entriss. Manches hat sich gewandelt seitdem, seine Außendarstellung vor allem. Aus dem schüchternen Talent ist ein souveräner Patron geworden. Anderes aber hat sich nicht geändert: Das sind die Zweifel, die zwangsläufig aufkommen, wenn ein Fahrer ein Peloton voller vorzüglicher Pedaleure so dominiert - und wenn man sich zugleich sein engstes Umfeld ansieht.

Chef des UAE-Teams ist immer noch der Schweizer Mauro Gianetti, der früher das Skandalteam Saunier Duval leitete und der von der Tour schon mal zur persona non grata erklärt worden war. Zu den Sportlichen Leitern gehört Pogacars Förderer Andrej Hauptman, einst wegen erhöhter Blutwerte gesperrt. Im Vorjahr versuchte das Team nach seinem Gala-Auftritt in den Alpen noch, das Thema wegzuschieben. Später hat es die Strategie gewechselt. "Es ist doch klar, dass unangenehme Themen aufkommen, weil es eine dunkle Vergangenheit gibt in diesem Sport", solche Sätze sagt Pogacar jetzt.

Er wird sich die nächsten zwei Wochen darauf einstellen müssen. Vor allem dann, wenn er an so markanten Stellen weiter so vernichtend auftritt wie am Freitag auf dem Weg zur Planches des Belles Filles.

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