Süddeutsche Zeitung

Pizarro beim FC Bayern:Monaco Franze aus den Anden

Lesezeit: 3 min

Claudio Pizarro schoss so viele Bundesliga-Tore wie kein Ausländer vor ihm - jetzt soll der Peruaner mit 36 Jahren den FC Bayern verlassen. Über einen Fußballer, dem ein ganzer Wasserfall an Tränen nachgeweint werden wird.

Von Jonas Beckenkamp, München

Jetzt, da Claudio Pizarro auf die Zielgerade einbiegt, darf die Öffentlichkeit auch die Geschichten erfahren, die sonst unter Verschluss bleiben. Zum Beispiel jene aus der "Robinson Bar" am Münchner Gärtnerplatz, die viel über den Menschen Pizarro und seine Lebensart aussagt: Dort hatte es sich der Stürmer des FC Bayern an einem dienstfreien Abend mit seinen Amigos gemütlich gemacht, als plötzlich ein berühmter Fußball-Kollege des Peruaners auftauchte.

Der Legende nach fühlte Pizarro sich ertappt, es fiel - unterlegt von einem ansteckenden Grinsen - der Satz: "Scheiiißeee, de Cheeefe kommt!" Dieser Chef, das war Bastian Schweinsteiger, der zum Mineralwasser trinken auch gerne mal in der "Robinson Bar" vorbeischaut. Es gehört zu den Annehmlichkeiten des Münchner Nachtlebens, dass solche Episoden erst jetzt in der Zeitung stehen, da Pizarro nichts mehr zu befürchten hat.

Um die Häuser hat ihn irgendwie jeder schon ziehen sehen, aber entlarvende Handyfotos sind nie aufgetaucht. Für einen wie Pizarro ist das ein Segen. Gewusst haben's die Vereinsbosse eh, dass ihr Claudio ein Strizi ist, und es ist ja nicht verboten, als Fußballprofi seine Freizeit abseits der Playstation zu gestalten. Das Leben als Sportler hat Pizarro immer leicht genommen, so wie er auch alles andere leicht nahm. Und es ist davon auszugehen, dass er auch seinen Abschied vom FC Bayern zum Saisonende mit einem Lächeln und ein paar Tanzflächen-Dribblings meistert.

Die Arbeitspapiere des 36-Jährigen trudeln wohl ihrem Ablaufdatum entgegen. Am 30. Juni dürfte sich der bajuwarisierte Latino aus dem Münchner Unterhaltungsbetrieb verabschieden. Mit Pizarro geht nicht nur ein Typ, der in der Kategorie "Lebemänner der Liga" stets weit vorne zu finden war, sondern auch ein Fußballer, dem ein ganzer Wasserfall an Tränen nachgeweint werden wird. Den "geilsten Don der Liga", wie ihn die 11 Freunde einst nannten, finden sie in der Branche ja alle super: Die Münchner, die Bremer und wohl auch alle dazwischen. Ihm beim Umgang mit seinem Lieblingsfreund, dem Ball, in den 15 Jahren seines Wirkens in Deutschland zuzuschauen, war stets ein solcher Genuss, dass der Rest zur Nebensache geriet. "Pizza" streichelte die Kugel, anstatt sie zu treten. Er liebkoste den Ball und kreierte Tore wie Kunst- werke. Das Beweismaterial auf Youtube ist erdrückend. Saisonrückblicke ohne Pizarro-Tore?

Undenkbar. Er mag ein Schlawiner gewesen sein, vielleicht war er sogar eine Art Monaco Franze aus den Anden. Er mag hinter Gerald Asamoah der zweitbestgelaunte Profi Deutschlands sein - und er hat sein Talent im matthiassammerschen Sinn sicher nicht vollends ausgeschöpft. Aber für manche war er eben auch: "Der beste Fußballer, mit dem ich je gespielt habe." So erzählt es Mehmet Scholl, der ja durchaus einige Prominenz zum Vergleich kennenlernte. Lothar Matthäus zum Beispiel. Oder Franck Ribéry. Und sogar den "Wüsten-Maradona" Ali Karimi.

Aber bei keinem verschmolz die Lust am Leben so sehr mit der Lust aufs Toreschießen wie bei Pizarro, dem lebenden Torjäger-Fossil. Als er 2010 in Bremen mit seinem 134. Treffer Giovane Elber als besten ausländischen Torschützen der Liga-Historie überholte, konnte keiner ahnen, was noch folgen sollte. Sein ertragreiches Frühwerk als Stürmer krönte er mit einem ebenso ertragreichen Spätwerk. Der Mann aus der Stadt Callao war damals schon 31, heutzutage ein biblisches Fußballeralter.

Es folgten 42 weitere Treffer - vier (!) davon beim 9:2 gegen den HSV im März 2013, dem "besten Spiel meiner Karriere", wie Pizarro selbst sagte. Nach der Saison 2013/2014 fanden sich im Jahreszeugnis des Technikers immer noch zehn Saison- tore - und das, obwohl er meist nur noch zur Kurzarbeit ran durfte. Seine zweite Phase bei den Münchnern (nach erfolgreichen Zeiten Mitte der Nullerjahre) verbrachte Pizarro als Stürmer im Vorruhestand. Ohne sich allzu sehr zu verausgaben, freute er sich über ein stattliches Gehalt, ein paar Titel (darunter das Triple 2013) und seinen Status als Lila-Laune-Onkel auf der Bank.

Und wenn Tore gefragt waren, schoss er halt welche - wie an den letzten vier Spieltagen der vergangenen Saison. Qualvolle Phasen, in denen sein Ehrgeiz ihn brodeln ließ, hatte es bei ihm ohnehin nie gegeben - Pizarro war immer ein Genießer, kein Getriebener. Unter Pep Guardiola mutierte er zum "Sozialhygieniker" ( Die Zeit) und Botschafter bayerisch-südamerikanisch-katalanischer Völkerverständigung. Und als in den vergangenen eineinhalb Jahren dezente Wölbungen unter seinem Trikot hervortraten, trug er auch das mit Fassung: ein Bäuchlein, aber eines der souveränen Sorte.

So würdevoll ist noch keiner gealtert auf dem Fußballplatz, wenn man mal von Naturphänomenen wie Bixente Lizarazu oder Luis Figo absieht. Wie geht es nun weiter mit diesem betagten Genie, das aus unerklärlichen Gründen nie die Torjägerkanone gewann? Natürlich könnte Pizarro im Vorbeigehen noch zwölf Saisontore für diverse Hoffenheims oder Leipzigs beisteuern. Er könnte locker ein paar Ingolstädter Audi-Millionen einsacken - da wären auch die Münchner Kneipen nicht weit. Aber danach sieht es nicht aus, seine Zeit in Deutschland scheint vorbei zu sein.

"Es ist schwierig, bei einem anderen deutschen Verein zu spielen, nachdem man bei Bayern war. In den USA oder in der Wüste zu spielen, ist auch eine Möglichkeit", sagte er kürzlich der Zeitung El Comercio. Dort bliebe es ihm wenigstens erspart, als Gegenstand unsäglicher Gewinnspielfragen herhalten zu müssen. Bei einem Quali-Spiel zur Champions League gegen Sampdoria wandte sich der Fernsehsender Sat.1 vor vier Jahren mit folgender Frage ans Publikum: Wie heißt der Stürmer von Bremen? A: Pizarro? Oder B: Lasagno? Pizarro gab die Antwort auf seine Art: Er schoss sein Team eine Runde weiter.

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Quelle:
SZ vom 21.05.2015
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