Pirelli unter Druck:Vettels Reifenpanne verunsichert die Formel 1

Ferrari Formula One driver Sebastian Vettel of Germany steers his car to safety area after tyre failure during the Belgian F1 Grand Prix in Spa-Francorchamps

Aufgelöst: Sebastian Vettels rechter Hinterreifen eine Runde vor dem Ziel in Spa-Francorchamps.

(Foto: Michael Kooren/Reuters)
  • Nach seinem Reifenschaden auf der vorletzten Runde beim Großen Preis von Belgien übt Sebastian Vettel Kritik am Hersteller.
  • Weil an Nico Rosbergs Mercedes im Training am Freitag bei hoher Geschwindigkeit ebenfalls ein Reifenschaden aufgetreten war, gibt es viele Spekulationen über die Ursache.
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Von Elmar Brümmer, Spa-Francorchamps

Fragen an Sebastian Vettel zu seiner Schock- und Frust- reaktion nach seinem Reifenschaden auf der vorletzten Runde beim Großen Preis von Belgien konnten nicht mehr gestellt werden. Der Ferrari-Fahrer war nach der unerklärlichen Explosion bei Tempo 300 so in Rage, dass er die vorgeschriebene Wiegeprozedur des Automobilweltverbandes schwänzte und nur noch schnell vor den Fernsehkameras seinen Schreck verarbeitete: "Wenn das 200 Meter früher passiert, knalle ich mit 300 an die Wand. Es muss mal gesagt werden: Die Qualität der Reifen ist miserabel. So etwas darf nicht passieren", haderte der 28-Jährige.

Anschließend flüchtete Vettel mit dem Hubschrauber vor den aufziehenden dunklen Wolken aus den Ardennen. Zurück blieb ein durch eine riskante Einstopp-Taktik verlorener dritter Platz hinter dem Mercedes-Duo Lewis Hamilton und Nico Rosberg, vor allem aber eine Sicherheitsdebatte - in dem Sport am Limit immer ein empfindliches Thema.

Vettels Aussagen dürften Auswirkungen auf die ganze Formel 1 haben - kurz- und langfristige. Pirelli ist seit 2011 der einzige Reifenanbieter. Beim Einstieg wurde die Firma von Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone ausdrücklich darum gebeten, Reifen herzustellen, die über den Rennverlauf nachlassen. Das sollte mehr Spannung und Abwechslung bringen. Aktuell verhandelt die Firma, die unlängst von einem chinesischen Investor übernommen wurde, über eine Vertragsverlängerung für die Jahre 2017 bis 2019.

Vettels Ausbruch als Imageproblem für Pirelli

Als Mit- bieter wird immer wieder die französische Marke Michelin genannt, die sich 2006 zurückgezogen hatte. Zuvor hatte es in Indianapolis ein Rennen gegeben, bei dem nur sechs Autos an den Start gingen, die auf Bridgestone-Pneus rollten. Die Produkte aus dem Hause Michelin hatten sich als nicht stark genug erwiesen für eine überhöhte Kurve, die es in Indianapolis gibt.

Die Reifen entscheiden nicht nur darüber mit, welche Rundenzeit einem Fahrer glückt. Sie sind auch entscheidend, wie sicher alle unterwegs sind. Vettels Ausbruch ist für Pirelli deshalb ein Image- problem. Nicht nur Niki Lauda, Aufsichtsratschef des Mercedes-Teams, hält Vettels spontane Reaktion aber für überzogen: "Ich finde es absolut unfair, wenn Sebastian jetzt sagt, Pirelli ist schuld. Alle anderen haben zwei Stopps gemacht. Seine Rechnung ist nicht aufgegangen. Deswegen kann man nur sagen: Fehler gemacht."

Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene schwankt in seiner Beurteilung zwischen Prävention und Deeskalation. Die aggressive Strategie, mit nur einem Boxenstopp durchzufahren, sei immer der Plan A gewesen: "Wir sind nicht so dumm, unseren Fahrer in Gefahr zu bringen, sondern haben das vormittags beschlossen, und da war ein Pirelli-Verbindungsingenieur dabei. Wir haben also die richtige Entscheidung getroffen, nur jemand anderes nicht. Aber vielleicht war es auch nur Pech."

Viele Spekulationen über die Ursache

Weil an Nico Rosbergs Mercedes im Training am Freitag bei hoher Geschwindigkeit ebenfalls ein Reifenschaden aufgetreten war, gibt es viele Spekulationen: Waren die beiden Unfälle Zufall? Oder sind sie einer Materialschwäche in einer bestimmten Reifen-Charge geschuldet? Oder wurden die Pneus durch Fremdkörper angeschlitzt? Oder waren sie tatsächlich überlastet? Noch ist nichts auszuschließen.

Unter den Experten im Fahrerlager gibt es eine knappe Mehrheit für die These, dass eine Kombination von Gründen zu dem großen Knall führte: die aggressive Taktik, mit der Vettel unterwegs war, kombiniert mit der zusätzlichen Beanspruchung für den Reifen durch den direkten Zweikampf mit Romain Grosjean, in dem sich Vettel befand.

"Vettels Reifen waren schon am Ende"

Die Angabe, dass die Gummi-Mischung auf dem Kurs 40 Runden überstehen könnte, ist laut Firma lediglich eine maximale Annahme gewesen, die auf Hochrechnungen basierte. "Das ist nie eine Garantie und keine präzise Zahl. Und Vettels Reifen waren schon am Ende", verteidigte sich Pirelli-Sportchef Paul Hembery. Er sei "nicht besorgt, aber überrascht" gewesen, als er sah, dass Ferrari Vettel 29 Runden auf einem Reifensatz drehen lassen wollte. Bei der Bewältigung des Imageproblems hilft das jetzt aber kaum noch - ebenso wenig wie der Verweis darauf, dass die Teams vor zwei Jahren eine Begrenzung der Lauf- leistung auf eine bestimmte Rundenzahl abgelehnt hätten.

Nun steht Aufklärung an. Nur die gibt den Beteiligten nach jedem schweren Zwischenfall die Sicherheit, in ihrem Tun am Limit weiterzumachen. Das Ferrari- und Pirelli-Heimspiel in zwei Wochen findet in Monza statt, auf der schnellsten Strecke überhaupt. Dort sind die Autos im Schnitt mit mehr als 240 km/h unterwegs und erreichen Spitzengeschwindigkeiten von an die 350 km/h. Neue Reifen können bis dahin nicht mehr produziert werden.

Vor zwei Jahren, als Randsteine in Silverstone mehrere Pirelli-Pneus aufschlitzten, hatten der Reifenhersteller und die Teams schnell reagieren können - weil die Ursache bekannt war. Damals wurden Luftdruck- und Sturzwerte verbindlich vorgeschrieben und das Tauschen der Reifen zwischen den Seiten untersagt. Derlei ist nun nicht zu erwarten. Jetzt müssen erst einmal die Reste der zerfetzten Reifen seziert und Videosequenzen und Fotos mühevoll auf mögliche Verformungen analysiert werden - ohne Garantie auf Erfolg.

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