Fußball:Schiedsrichter, die aus Angst hinschmeißen

Stuttgarter Kickers - Borussia Dortmund

Wie Schiedsrichter Piet Fentross drein blickte, als ihm seine Pfeife geklaut wurde, ist bildlich nicht belegt – inzwischen hat er sie jedenfalls wieder.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)
  • In Bayern wird der Einstieg für Schiedsrichterneulinge erleichtert.
  • Ein erfahrener Unparteiischer begleitete die Debütanten während des ersten Spiels.
  • Der Nachwuchs soll dadurch gestärkt werden.

Von Nino Duit

Die Ausbildung eines Fußball-Schiedsrichters weist Parallelen zu der eines Autofahrers auf. In Theoriestunden wird dem Interessierten das nötige Wissen vermittelt, aber das wirkliche Lernen beginnt erst, wenn er das erste Mal hinter dem Lenkrad sitzt - oder zwei Mannschaften aufs Feld führt und ein Spiel pfeift. Dann muss die Theorie in die Praxis umgesetzt werden. Und das ist oft schwieriger und nervenaufreibender als vorher gedacht.

Was bei den ersten Versuchen im Fahrschulauto der Fahrlehrer mit der Notfallbremse auf dem Beifahrersitz ist, kann für den angehenden Unparteiischen seit einigen Monaten der sogenannte Tandem-Schiedsrichter sein. Das Pilotprojekt der Schiedsrichtergruppe Bad Tölz hat sich bewährt und darf künftig in ganz Bayern angewendet werden.

Die Idee hinter diesem Projekt ist so einleuchtend wie simpel. Viele junge Schiedsrichter erleiden offenbar bei ihrem ersten alleinigen Auftritt einen Praxisschock. Sie sind nervös, auf sich alleine gestellt und machen vielleicht Fehler, was dazu führt, dass Spieler reklamieren und Zuschauer oder Eltern am Spielfeldrand schimpfen.

Ein zur Seite gestellter Tandem-Schiedsrichter verringert diese äußeren Einflussfaktoren: Bei seinem Premieren-Auftritt gibt der junge Unparteiische in der ersten Spielhälfte den Beobachter; ein erfahrener Kollege, der sogenannte Tandem-Schiedsrichter, leitet das Spiel, der Neuling läuft neben ihm her, beobachtet, analysiert. "Vormachen und erklären", nennt es Thomas Sonnleitner, Schiedsrichter-Lehrwart aus Bad Tölz und Initiator des Projekts.

"Viele hatten Angst vor dem zweiten Spiel"

Der junge Schiedsrichter kann sich so die Laufwege und das Stellungsspiel seines Kollegen abschauen und dessen Verhalten bei Standardsituationen, die richtige Zweikampfbeurteilung oder den Umgang mit den Spielern beobachten - mögliche Fehlerquellen erlebt er unmittelbar und kann sie so künftig vermeiden.

In der Pause bespricht der unparteiische Routinier das Spiel mit dem Neuling, erklärt, warum er bestimmte Entscheidungen getroffen hat. Im zweiten Durchgang werden dann die Rollen getauscht. "Nachmachen und umsetzen", sagt Sonnleitner. Der junge Schiedsrichter wird jetzt selbst zum Entscheidungsträger, der erfahrene begleitet ihn weiter auf dem Platz und unterstützt bei Bedarf als Ansprechpartner und Helfer. Was dann oft gar nicht mehr nötig ist.

Viel Verantwortung für junge Menschen

Das theoretische Wissen ist aus den vorher absolvierten Unterrichtsstunden ohnehin vorhanden. Die große Herausforderung ist vielmehr die Praxissituation. "Da ist oft ein 14-Jähriger, der das erste Mal im Mittelpunkt steht und Entscheidungen treffen muss", sagt Sonnleitner, "und was noch dazu kommt: Die Entscheidungen müssen richtig sein."

Durch die Begleitung und Hilfe eines erfahrenen Kollegen, der gewöhnlich in der Bezirks- oder Landesliga aktiv ist, wird diese Extremsituation entschärft. Die Gefahr eines Autoritätsverlusts für den Neuling hat Sonnleitner bei Entscheidungs-Korrekturen durch den Tandem-Schiedsrichter nicht ausgemacht. Bei einem Unparteiischen-Gespann auf Profi-Niveau ist das nicht anders, sagt Sonnleitner, "wenn der Schiedsrichter etwas nicht sieht, dann winkt ja auch der Linienrichter".

Für den jungen Unparteiischen hat das Projekt also nur gute Seiten. Mit seiner souveränen Spielleitung und Präsenz sorgt der Tandem-Schiedsrichter bei der Premiere für eine ruhige Partie. So hat der Nachwuchs-Unparteiische eine positive erste Praxiserfahrung. "Bisher waren alle Neulinge nach dem Spiel mit dem Tandem-Schiedsrichter scharf darauf, die nächste Partie alleine zu pfeifen", sagt Sonnleitner.

Viele Unparteiische beendeten Karriere nach erstem Spiel

Das war nach einem Premieren-Auftritt früher nicht immer so. Etliche junge Unparteiische beendeten bereits nach dem ersten Spiel ihre Karriere, die noch gar nicht wirklich begonnen hatte. "Viele hatten nach einem ersten negativen Erlebnis Angst vor dem zweiten Spiel", erinnert sich Sonnleitner. Mit ähnlichen Situationen waren naturgemäß auch die heute erfahrenen Tandem-Schiedsrichter bei ihren Anfängen konfrontiert. "Die wären froh gewesen, wenn sie auch so einen Einstieg gehabt hätten", sagt Sonnleitner.

Bis jetzt wurde dieser besondere Einstieg ins Schiedsrichterwesen aber nur von der Schiedsrichtergruppe Bad Tölz praktiziert. Mehrere Monate lief dort das Pilotprojekt und überzeugte alle Beteiligten. Von den Vereinen, den Spielern und den Schiedsrichtern selbst gab es nur positive Rückmeldungen. Anfang September erteilte nun der Bayerische Fußball-Verband die Freigabe für den gesamten Freistaat.

"Bayern ist hier Vorreiter", sagt Sonnleitner stolz. Es ist durchaus möglich, dass der Tandem-Schiedsrichter in den kommenden Monaten auch in den übrigen Fußball-Landesverbänden Deutschlands eingeführt wird. Damit es auch dort in Zukunft nicht gleich beim ersten Härtetest zum Totalschaden kommt, sondern der junge Schiedsrichter einen Partner hat, der notfalls auf die Bremse steigt.

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