Süddeutsche Zeitung

Pikante Affäre bei Hertha BSC:Rückfall in die Groschenroman-Zeit

Lesezeit: 3 min

Jos Luhukay will aus Hertha BSC einen seriösen Klub machen und hat sportlich großen Erfolg. Nach dem Sieg gegen den HSV ist der Berliner Verein so gut in eine Bundesligasaion gestartet wie noch nie. Doch freuen kann sich Luhukay derzeit kaum - eine pikante Affäre bringt den Trainer in Rage.

Von Boris Herrmann, Berlin

Sieh' an, die Hertha tanzt schon wieder! Vor der Ostkurve des Olympiastadions haben sich die Spieler aufgebaut, und genau wie nach dem ersten Heimsieg gegen Frankfurt wird auch nach diesem Heimsieg gegen Hamburg gemeinsam im Rudel gezappelt. Sicherlich, diesmal sieht alles ein klein wenig gedämpfter aus - könnte zum Beispiel daran liegen, dass es beim ersten Mal 6:1 ausging. Und diesmal nur 1:0.

Aber was heißt hier: nur? Die Berliner, darauf hat zum Beispiel Verteidiger Sebastian Langkamp hingewiesen, sind ja gerade erst aufgestiegen. Und jetzt haben sie in drei Spielen schon sieben Punkte eingesammelt. So gut ist Hertha BSC überhaupt noch nie in eine Bundesligasaison gestartet. Rein rechnerisch, jedenfalls.

Wenn man das Gesicht betiteln wollte, mit dem Jos Luhukay zur Pressekonferenz erschien, müsste man sagen: Ein Mann versteht die Welt nicht mehr. Luhukay, 50, der seit seinem Dienstantritt in Berlin im Sommer 2012 noch kein Spiel im Olympiastadion verloren hat, wirkte nicht wie ein Erfolgstrainer, sondern wie ein verzweifelter Vater. Die Augen leer und glasig, die Wangen zerfurcht. Irgendwo dazwischen hing ein trauriger Schnurrbart. "Ich kann mich innerlich nicht über den Sieg freuen", sagte Luhukay. Und: "Aus Trainer-Sicht habe ich die letzten Tage nicht viel geschlafen, das sage ich ganz offen und ehrlich."

Diese Sätze sind keine Auszüge aus einer Spielanalyse, sondern aus einer Brandrede. Luhukay sprach nicht nur als Angestellter von Hertha BSC, sondern auch als "Vater von zwei Kindern". Ein paar Minuten ging das so. Er ereiferte sich über den allgemeinen Verfall von Normen und Werten in der Gesellschaft. Und darüber, "was wir alle gemeinsam in der Öffentlichkeit darstellen". Sein Urteil: "Das ist peinlich, sehr, sehr peinlich für alle Beteiligten."

Es kommt selten, sehr, sehr selten vor, dass der Fußballgeschäftsbetrieb so aus den Fugen gerät. Dass jemand die vorgestanzten Sprachmuster verlässt und einfach sagt, was er denkt. Jos Luhukay hat es getan. Und danach herrschte erst einmal andächtiges Schweigen.

Das Wort "Lolita" ist bei dieser Gelegenheit am Samstagabend nicht gefallen. Es wusste auch so jeder, worum es ging. Die Boulevardzeitung BZ berichtet seit einigen Tagen großflächig von einem angeblich "schmutzigen Geheimnis" bei Hertha BSC. Und die Bild-Zeitung, die wie die BZ zum Springer-Konzern gehört, berichtet fast genau so ausführlich über den vermeintlichen Coup des Schwesterblattes. Es geht um eine 16-jährige Schülerin, von der BZ "Hertha-Lolita" getauft, die behauptet haben soll, in diesem Sommer eine Affäre mit drei aktuellen sowie zwei ehemaligen Hertha-Profis gehabt zu haben. Die Rede war auch von "Sex im Kinderzimmer".

Hertha BSC geht gegen diese Geschichte juristisch vor. Laut der demnächst aus dem Springer-Konzern ausscheidenden Berliner Morgenpost hat die Schülerin inzwischen eine Selbstanzeige wegen Urkundenfälschung eingereicht (Aktenzeichen 130822/1300/022550). Demnach versicherte sie schriftlich, die BZ belogen zu haben. Für eine Einverständniserklärung zur Berichterstattung samt Fotoshooting habe sie die Unterschrift ihrer Eltern gefälscht. Sie habe außerdem nie Geschlechtsverkehr mit einem Lizenzspieler von Hertha BSC gehabt, sie sei Jungfrau.

Die BZ erklärte ihren Lesern daraufhin den Unterschied zwischen Sex und Geschlechtsverkehr und räumte gleichzeitig ein, dem minderjährigen Mädchen "eine angemessene und marktübliche Vergütung für das zur Verfügung gestellte Wissen" bezahlt zu haben. Um welche angeblich marktüblichen journalistischen Kriterien es da gehen soll, war nicht zu erfahren. Auf diesem Niveau bewegt sich diese Story nun schon seit Tagen.

Aus Luhukays Brandrede ging nicht eindeutig hervor, ob er den Verfall von Normen und Werten ausschließlich auf die Berichterstattung der Boulevardpresse bezog. Oder ob er mit dem Satz "sehr, sehr peinlich für uns alle" auch die beschuldigten Spieler rügte. Beim Versuch, eine entsprechende Nachfrage zu stellen, grätschte am Samstag ein Mitarbeiter der Medienabteilung von Hertha BSC dazwischen.

Dem Vernehmen nach herrscht vereinsintern helle Aufregung. Es soll zu einer Aussprache im Mannschaftskreis gekommen sein, bei der Türen klatschten. Ein offizielles Statement, dass der Fall intern aufgeklärt werden soll, gibt es bislang nicht. Da heißt es nur: "Das ist ein Versuch, Hertha BSC zu schaden."

Wenn man Luhukay richtig versteht, ist das in jedem Fall gelungen. Es sei in den vergangenen Tagen nicht möglich gewesen, sich zu hundert Prozent auf den Fußball zu konzentrieren: "Nicht für die Mannschaft, nicht für die Spieler und auch nicht für das Trainerteam." Damit erklärte sich Luhukay auch, weshalb seine Hertha ungewohnt verwirrt in das Spiel gegen den HSV ging.

Nico Schulz, der später den Siegtreffer von Adrian Ramos (74.) glänzend vorbereitete, hatte sich in der ersten Halbzeit einen unheilvollen Rückpass geleistet, der die Partie beinahe in eine andere Richtung gelenkt hätte. Auch Torwart Thomas Kraft, der am Ende den Sieg festhielt, fiel zunächst durch seltsame Aussetzer auf. Und Änis Ben-Hatira und Alexander Baumjohann stritten sich einmal sogar um die Ausführung eines Freistoßes.

Es hat dann ja trotzdem gereicht für den Sieg. Aber Luhukay hatte wirklich keinen Spaß an diesen drei Punkten. Er war in Berlin angetreten, um aus der Hertha nach all ihren Groschenroman-Geschichten der jüngeren Vergangenheit, wieder einen seriösen Verein zu machen. Er schien bislang auf einem guten Weg zu sein.

Die Erkenntnis, dass dieses Bild nun Risse bekommt, hat ihn zuletzt offenbar um den Schlaf gebracht. Er sagte: "Das ist für mich persönlich viel schwieriger, als ein Spiel zu gewinnen."

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Quelle:
SZ vom 26.08.2013
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