Philipp Lahm:Spätes Opfer der Hyänen

Jahrelang hieß es: Philipp Lahm macht keine Fehler. Dann unterläuft ihm in seinem letzten großen Spiel ein Lapsus, über den er so unglücklich ist wie niemand sonst.

Von Klaus Hoeltzenbein

Gut, dass dies nicht die letzten Bilder sind. Gut, dass es noch andere geben wird. Die Frage ist allerdings, ob die Bilder, die morgen noch kommen werden, die Bilder von gestern überlagern können. Ob die Bilder mit der Meisterschale, die - wenn sich nicht alle renitenten Fußball-Götter zu einer weiteren Verschwörung gegen den FC Bayern zusammenrotten -, nach dem Saisonfinale am 20. Mai gegen den SC Freiburg geschossen werden, stärker sein können als jene aus der dunklen Nacht zum Donnerstag. In der Philipp Lahm, 33, der auf Abschiedstournee reisende Kapitän des FC Bayern, sein letztes große Spiel verlor. Aus diesem Duell mit dem BVB gibt es einfach kaum schöne Münchner Bilder, auch nicht von ihm. Stattdessen hinterließ Lahm ein Geständnis, wie man es nie zuvor von ihm gehört hatte, nicht auf dieser großen Bühne: "Sehr, sehr bitter" sei das alles, "wir hatten viele Möglichkeiten, höher in Führung zu gehen. Dann bekommen wir das 2:2, und dann mach ich den Fehler zum 3:2. Und so scheidet man aus."

Fussball, FC Bayern Muenchen (M) - Borussia Dortmund (DO)

Der Abend beginnt unglücklich für Philipp Lahm: Vor dem 0:1 schafft er es nicht, den Ball zu klären.

(Foto: Oryk Haist/Sven Simon)

Dabei war doch gerade das der Satz, der seiner Laufbahn als Schlagzeile diente: Philipp Lahm macht keine Fehler! Lahm sei der Unfehlbare auf dem Rasen, bei dem die Kollegen jeden Ball problemlos parken können, wenn sie sich unter Druck fühlen oder einfach nicht mehr weiter wissen. Der Lahm hat immer eine Lösung.

Diese 74. Minute des Halbfinales im DFB-Pokal ist nun jene, von der zu hoffen ist, dass sie nicht als letzter Eindruck von Lahms Laufbahn bleibt. Sondern doch erst ein Konfettiregen demnächst im Mai. Arturo Vidal hatte einen Ball parken wollen, und Lahm hat dies später als Ausrede nicht im Ansatz erwähnt. Denn dieser Ball geriet leicht verschlampt, wie so vieles, was Vidal auf dem Rasen anpackt, seit er gegen Real Madrid mit der Urkraft seiner Oberschenkel einen Elfmeter verschoss, der im Hinspiel das 2:0 bedeutet hätte. Alles Weitere ist ja jetzt Chronik: Bayern verlor 1:2 und 2:4, scheiterte in der Champions League im Viertelfinale. Vidals Elfmeterball ist immer noch unterwegs gen Südamerika, und der Chilene changiert seither zwischen Melancholie und Hyperaktivität. So schob Vidal auch den Ball rüber, der Lahm in Verlegenheit brachte: unentschlossen, unpräzise. Lahm strauchelte, der Ball lag nicht sofort ruhig wie gewohnt, sondern rotierte zwischen rechtem und linken Fuß - von hinten stürzten die schwarz-gelben Hyänen heran. Marco Reus und Raphael Guerreiro gelang die Eroberung und die Überleitung in den Blitzkonter. Am Ende der Dortmunder Verwertungskette drosch Ousmane Dembélé den Ball erbarmungslos unter den Querbalken und zum entscheidenden Tor ins Netz. Die Bildregie des Fernsehens, nicht weniger erbarmungslos, schnitt um ins Profil von Philipp Lahm. Der Hauch des späten Winters kam über seine Lippen, der Blick ging ins Leere, er war nicht mehr mit zurück gesprintet, es wirkte eher so, als zähle er noch einmal in Gedanken durch. Denn abzüglich des Berliner Pokalfinales, das ihm entgehen wird, ist so einiges zusammengekommen: Gelingt der Gewinn der Meisterschaft, wäre es seine achte, den DFB-Pokal hielt er auch schon sechs Mal in den Händen, die Champions-League-Trophäe im Mai 2013; in 113 Länderspielen war er dabei, seit 2010 als Kapitän, mit dem WM-Gewinn von Rio 2014.

FUSSBALL  DFB Pokal Bayern Muenchen - Borussia Dortmund 2:3

Achtung, Überfall: Marco Reus (links) und Raphael Guerreiro entwenden Philipp Lahm den Ball und starten den Konter, der zum 2:3 führt.

(Foto: Lorenz Baader)

Nicht wenige hatten ihn zuletzt gefragt, warum er überhaupt schon aufhört. Nicht wenige waren ja immer noch der Meinung, er gehe zu früh. Besonders in den Duellen des Achtelfinales in der Champions League, bei einem Doppel-5:1 gegen den FC Arsenal, hatte die Flügelzange auf rechts mit Arjen Robben noch einmal gegriffen, dieser Klassiker aus dem Repertoire der Münchner, der an den schärfsten Tagen nicht zu verteidigen war. Aber Lahm wusste es längst besser, anders als andere kennt er seinen Körper, er hatte genau hineingehorcht, bevor er den Entschluss verkündete, ein Jahr früher als fixiert aus seinem Profi-Kontrakt auszusteigen. Irgendwann ist selbst einer wie er leer gelaufen in den Weiten des Weltfußballs.

FUSSBALL  DFB Pokal Bayern Muenchen - Borussia Dortmund 2:3

Der Abend geht denkbar ungünstig für Philipp Lahm aus: Seine Pokalkarriere endet in München, nicht in Berlin.

(Foto: Lorenz Baader)

So wie Lahm mit seiner Ruhe am Ball dem Spiel seinen Willen aufzuzwingen versuchte, so sollte es auch über die Dauer seiner Karriere sein. In der Nationalelf war sein Plan vollendet, als er am Morgen nach dem WM-Gewinn dem Bundestrainer Löw beim Frühstück offenbarte, dieser müsse fortan ohne ihn auskommen. Im Klub läuft es zwei Jahre später auf der Zielgeraden nicht gar so rund, auch der Wechsel von der kurzen in die lange Hose gerät nun anders als gedacht. FCB-Sportchef hatte Lahm werden sollen, betraut mit der Herkules-Aufgabe, die eigenen Nachfolger auszusuchen. Doch lagen er und Präsident Uli Hoeneß in ihren Idee von der Gestaltung der Planstelle himmelweit auseinander.

Vier Spiele noch, Wolfsburg, Darmstadt, Leipzig, Freiburg, dann ist es vorbei. "Das sind meine letzten Wochen als Fußballprofi, die will ich genießen. Das fällt mir heute sehr, sehr schwer", sagte Lahm: "So will ich den Fußball nicht in Erinnerung behalten." Mit einer Szene, wie sie ihm in all den Jahren nicht, nun aber zur besten Sendezeit missraten ist.

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