Philipp Lahm:Ratschläge vom Tegernsee

Joachim Löw und Philipp Lahm

Ein Bild aus gemeinsamen Tagen: Bundestrainer Joachim Löw (links) mit seinem Kapitän Philipp Lahm.

(Foto: dpa)
  • Nach dem deutschen WM-Aus und der Diskussion um Bundestrainer Löw meldet sich auch Philipp Lahm zu Wort.
  • Er kritisiert in einem Beitrag den Führungsstil des Bundestrainers.
  • Die Analyse des früheren DFB-Kapitäns wirkt selbstgefällig, aber es lohnt, sich mit ihr zu befassen.

Von Martin Schneider, Moskau

Philipp Lahm hat sich zu Wort gemeldet und wenn sich Philipp Lahm meldet, sollte man prinzipiell hinhören. Lahm war ja Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, die bei der letzten WM den Titel holte, er hat also unbestreitbare Kompetenzen, wie man sowas macht, ein Team zum WM-Pokal zu führen. Und weil die angekündigte Analyse von Joachim Löw noch aussteht und Oliver Bierhoff und Reinhard Grindel sich lieber auf Mesut Özil konzentrieren, bleibt das einzig Greifbare in Sachen Analyse nun die Wortmeldung von Lahm.

Philipp Lahm hat sie auf dem Portal "Linkedin" veröffentlicht , wo er sich selbst als "Unternehmer und ehemaliger Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft" bezeichnet und wahrscheinlich kommt seine Äußerung nun auch mit dem Motiv daher, sein Profil ein bisschen zu bewerben. Während der WM war er Experte in der ARD, reiste dafür aber nicht nach Russland, sondern gesellte sich in eine interessante Outdoor-Sofalandschaft zu Moderatorin Jessy Wellmer am Tegernsee. Auch jetzt schickt er Ratschläge vom heimischen Gewässer.

Lahms Analyse lautete nun: Die heutige Spielergeneration unterscheide sich grundsätzlich von der Generation, mit der er zusammengespielt habe. Er und andere wichtige Spieler seien in ihren Familien aufgewachsen, hätten daher einen Blick fürs Miteinander und fürs große Ganze gehabt. Die heutige Generation sei aber in Nachwuchsleistungszentren ausgebildet, denke hauptsächlich an sich und brauche daher eine straffe Führung. Als Beleg dafür, dass diese Führung unterblieben sei, nennt Lahm die Erdoğan-Affäre, wo eine Ansage von der DFB-Führung ausgeblieben sei - und sich deshalb auch zunächst weder Gündogan noch Özil zu einem Statement bemüßigt fühlten. Joachim Löw - so seine Conclusio - müsse daher seinen "kollegialen Führungsstil" ändern und die Individualisten auf Kurs bringen.

"Lahm kritisiert Löw" war dann fast überall die Schlagzeile, was natürlich stimmte, aber eigentlich war es vielmehr eine ziemlich saftige Breitseite an die Mannschaft. Lahm wirft seinen Nachfolgern ja schlicht Egoismus vor und begründet es mit einer Art kulturellen Theorie (Familie vs. Leistungszentrum) und sagt, es sei die Aufgabe von Löw, diesen Egoismus zu zähmen. Wenn man sich nochmal an Löws Aussagen nach dem Ausscheiden erinnert ("Selbstherrlichkeit"), dann könnte Lahm mit dieser Analyse gar nicht so unrecht haben.

Einst lobte er Löws flache Hierarchien

Verwunderlich ist es dennoch, dass ausgerechnet der Spieler, der zu seiner Zeit als Kapitän der Nationalmannschaft und des FC Bayern den ballackschen Führungsspieler-Stil quasi abschaffte, nun mehr Ansagen fordert. Es lohnt sich, Philipp Lahms Buch ("Der feine Unterschied") wieder aufzuschlagen und zu schauen, was er eigentlich früher so dachte.

Unter anderem steht da: "Aber die Zeit der Trainer, die mit ihren Spielern nur reden, um Befehle zu erteilen, ist vorbei. (...) Die Autorität des Trainers kann nur im Dialog mit den Spielern entstehen, die seine Ideen auf dem Spielfeld Wirklichkeit werden lassen."

Zu Joachim Löw schreibt er: "Er trifft keine einsamen Entscheidungen. Immer wieder erwägt er in seinem schwäbischen Singsang Möglichkeiten, fragt, hört zu, fragt nach, wägt ab. Wenn eine Entscheidung dann reif ist, sitzt sie." Und: "Jede Mannschaft braucht einen Kern von Spielern, die sich genauso verantwortlich für das Ganze fühlen wie der Kapitän. Das ist meine Theorie der flachen Hierarchien."

Lahm beerdigt seinen eigenen Ansatz

Wenn Lahm nun schreibt, dass das Trainerteam sich darauf verlassen hätte, dass die "praktizierte Führungskultur der vergangenen, erfolgreichen Jahre ausreicht, um einmal mehr erfolgreich zu sein", dann beerdigt er quasi seinen eigenen Ansatz. Lahm plädiert für steilere Hierarchien.

Dabei schwingt immer auch Selbstlob mit, wenn er sinngemäß sagt, wir (er nennt explizit noch Miroslav Klose, der aus dem Amateurfußball in Homburg und Kaiserslautern zum WM-Rekordtorschützen wurde) waren reif für diese Art der Eigenverantwortung. Die junge Generation sei es jedoch nicht. Stattdessen müsse man ihnen erklären, dass sie bitte nicht nur an sich denken sollen. Wenn Lahm schreibt, Löw muss "Individualisten klar machen, dass sie Verantwortung für die gesamte Mannschaft tragen", dann wirkt das erst dann so hart, wie es wohl gemeint ist, wenn man das Wort "Individualisten" durch einen beliebigen Nationalspieler-Namen ersetzt.

Das wirkt selbstgefällig und nach Besserwisserei auf dem Sofa - zumal Lahm ja gerade keine Aufgabe in der Welt des Fußballs hat und es ein etabliertes Mittel ist, sich mit steilen Thesen ins Gespräch zu bringen. Allerdings hat Philipp Lahm eine eigene Geschichte, was steile Thesen angeht. Einst gab er eigenmächtig der SZ ein Interview an der Führung des FC Bayern vorbei, in der er die Klubführung hart attackierte. Damals riskierte er viel mehr, kassierte eine Rekord-Geldstrafe und hätte auch beim FC Bayern isoliert werden können. Doch inhaltlich hatte er nicht so unrecht mit dem, was er sagte, Jahre später gewann der FC Bayern die Champions League.

Es lohnt sich also zumindest, sich mit seinen Gedanken wenigstens zu befassen. Vielleicht äußert sich ja auch noch einer der "Individualisten", ob Lahm diesmal auch recht hat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: