Süddeutsche Zeitung

Pferdesport:Wetten auf die Geisterreiter

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Für 2019 hatte der deutsche Galopp-Verband erstmals seit langer Zeit wieder bessere Zahlen gemeldet. Doch nun erleidet der Pferderennsport einen neuen Rückschlag.

Von Ulrich Hartmann, Köln/München

Den Protagonisten der Galopp-Branche macht das Coronavirus keine Angst. Dem Derbysieger Laccario in seiner Box in Gütersloh nicht und auch nicht dem neuen Galopper des Jahres, Rubaiyat, in seinem Stall in Köln-Weidenpesch. Den Pferden kann das Virus nichts anhaben - den Trainern, Jockeys und Pferdepflegern hingegen schon und mit seinen Folge-Erscheinungen erst recht dem deutschen Galopprennsport. Der hatte zuletzt nach tristen Jahren den anhaltenden Niedergang gestoppt und erstmals wieder Statistiken der Hoffnung präsentieren können. "Nach der positiven Entwicklung im vergangenen Jahr, dieser Trendumkehr, ist der momentane Rückschlag natürlich traurig", sagt Michael Vesper, der Präsident des nationalen Verbandes "Deutscher Galopp". Frühestens am 1. Mai kann die Rennsaison weitergehen, bis voraussichtlich Mitte Juni aber wohl ohne Publikum. Damit in der ohnehin gebeutelten Branche keine weiteren Rennvereine pleite gehen, kündigt Vesper ein finanzielles Hilfsprogramm "in sechsstelliger Höhe" an.

Die Achtzigerjahre waren die Blütezeit des deutschen Galoppsports. Im Vorabend-Programm lief die Fernsehserie "Rivalen der Rennbahn", in der ARD-Sportschau war der "Galopper des Jahres" bisweilen persönlich im Studio zu Gast, weil der Moderator Addi Furler ein Pferdenarr war. Die Wettumsätze auf den Rennbahnen florierten, und das Internet, das große Teile der Umsätze später ins Ausland verlagern sollte, gab es noch nicht. Bis zum vergangenen Jahr kämpfte der Verband darum, dass die auf Wettumsätze im Ausland erhobenen Steuern an die hiesigen Vereine ausbezahlt werden. Auch dafür hat der Galoppverband Vesper, ganz früher Politiker und dann Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), akquiriert: als politischen Türöffner.

Der Coup gelang. Vesper erwirkte in Berlin, dass Steuern auf Buchmacherwetten zurück in den Galoppsport fließen und den in angespannter Lage agierenden Rennvereinen das Leben erleichtern. Der im Marketing versierte neue Geschäftsführer Jan Pommer kümmerte sich zudem um eine bessere Vermarktung der hiesigen Rennen, auch durch bessere Übertragungsbilder. Doch als der Verband, der Anfang des Jahres den Zungenbrechertitel "Direktorium für Vollblutzucht und Rennen" ablegte und sich nun ganz knackig einfach "Deutscher Galopp" nennt, für 2019 erstmals seit Langem wieder ermunternde Zahlen errechnete, begann auch schon die Corona-Krise. "Nach so vielen guten Nachrichten ist das ein Rückschlag", sagt Vesper. 1144 Rennen gab es im vergangenen Jahr an 146 Veranstaltungstagen. Die Prämien stiegen im Schnitt um mehr als 200 Euro auf 11 868 Euro pro Rennen. Der Gesamtwettumsatz von 26,7 Millionen Euro bedeutete erstmals seit Jahren ein signifikantes Plus.

Am Dienstag saßen Vesper und Pommer im Konferenzzimmer des Verbandes in Köln und gaben eine virtuelle Pressekonferenz. "Die Corona-Krise ist ein harter Schlag", sagte Vesper, "wir befinden uns in einem tiefgreifenden Einschnitt." Seit dem 8. März finden in Deutschland keine Rennen mehr statt, und ohne Rennen gibt es keinen Umsatz. "Die Einbußen können wir nicht abschätzen", sagte Vesper, "aber was wir sagen können, ist, dass wir den Shutdown so schnell wie möglich durch Rennen ohne Publikum aufheben müssen." Am 1. Mai könnte in Hannover wieder ein Renntag stattfinden, dann aber ohne Publikum, mit nur 70 bis 80 Menschen auf der Rennbahn: Jockeys, Trainer, Pferdepfleger, Ärzte, Sanitäter, Übertragungstechniker. Beim Fußball sind Geisterspiele ohne Publikum wichtig, damit die Fernsehgelder fließen - beim Galopp sind Übertragungen selbst ohne Wettumsätze auf der Bahn wichtig: So könnte wenigstens online und im Ausland auf die Rennen gewettet werden. "Der schwedische Trab wird momentan vermutlich so stark bewettet wie nie zuvor", witzelte Pommer.

Ansonsten wird im Galopp momentan nicht so viel gelacht. Das Baden-Badener Frühjahrsmeeting im Mai findet allenfalls verkürzt und ohne Publikum statt - ein Schlag nicht nur für die Schönen und Reichen im Südwesten. Das Deutsche Derby am 1. Juli in Hamburg und der Diana-Preis am 2. August in Düsseldorf hingegen können vielleicht wieder mit Zuschauern ausgetragen werden. Das wäre nicht nur aus gesellschaftlichen Gründen wichtig, sondern auch, weil wegfallender Wettumsatz auf der Bahn durch vermehrte Außenwetten allein nicht aufgefangen werden kann.

20 bis 23 Renntage will der Verband von Mai bis Mitte Juni in ganz Deutschland noch austragen lassen, mit deutlich mehr Rennen pro Tag. Dann wäre man zuversichtlich, die Galoppsaison 2020 noch halbwegs retten zu können. "Ich habe keine Befürchtung, dass Rennvereine wegen der Corona-Krise in die Insolvenz müssen", sagte Vesper am Dienstag - und klang bei seinem Schlusswort ein bisschen wie die Bundeskanzlerin: "Wir werden das zusammen meistern."

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Quelle:
SZ vom 01.04.2020
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