Pferdesport:Überall fehlt noch etwas

Pferdesport/Vielseitigkeit: Deutsche Meisterschaft

Julia Krajewski reitet auf Samourai du Thot durch den sogenannten Longines Wassergraben.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Die deutschen Vielseitigkeitsreiter bringen sich mit Bundestrainer Hans Melzer bei den nationalen Titelkämpfen für die Heim-EM in Luhmühlen in Position.

Von Gabriele Pochhammer, Luhmühlen

"Man muss nehmen, was man hat", sagt Hans Melzer, der Bundestrainer der deutschen Vielseitigkeitsreiter. Das klingt nicht umwerfend optimistisch, aber auch nicht verzweifelt. Melzer steht nach einer Dekade voller Erfolg und Euphorie vor der Herausforderung, Ende August bei der Europameisterschaft in Luhmühlen die deutschen Vielseitigkeitsreiter wieder dahin zu führen, wo sie 2016 standen - aufs Siegerpodest, zu einer Medaille, möglichst aus Gold. Bei Olympia in Rio gewann das Team Silber und Michael Jung auf Sam sein zweites Einzelgold. Die deutsche Meisterschaft am vergangenen Wochenende war so etwas wie eine Generalprobe oder eine letzte Chance, sich ins Blickfeld zu reiten. Zwölf Reiter dürfen die Deutschen an den Start bringen, doppelt so viele wie die Gäste. Melzers Problem: Es gibt zwar viele Namen, aber keinen ohne wenn und aber.

Da ist als erstes Michael Jung, dreimaliger Olympiasieger, Weltmeister, Europameister, Grand-Slam-Gewinner. Aber Sam, das Pferd seines Lebens, ist in Rente, und auch ein Olympiasieger ist nur so gut wie sein bestes Pferd. Den drei Pferden, die Jung in Luhmühlen an den Start brachte, fehlt Routine und Kondition. Wenn überhaupt, sind sie frühestens im nächsten Jahr ein Thema. Zu Hause steht noch Chipmunk, von Julia Krajewski 2018 bei der WM in Tryon/USA geritten und jetzt von einem Besitzerkonsortium für Jung gekauft. Im Grunde sollte dieses Jahr nur zum Kennenlernen genutzt werden, doch davon ist jetzt keine Rede mehr: Jung und Chipmunk sind für die EM fest eingeplant.

Hale Bob nimmt die bunten Stangen beim Springen nicht immer so ernst, wie er soll

Auch wenn ein Pferd von einem guten Reiter zum nächsten kommt, ist das komplizierter, als wenn in der Formel 1 nur ein anderer Mensch am Steuer sitzt. Da ist der Vierbeiner vielleicht gewohnt, umhätschelt zu werden und findet sich in einer Art Internat wieder, wo er nur einer von vielen ist. Auch Pferde sind sensible Geschöpfe. Hinzu kommt, dass Jung viel Zeit aufwendet, um sich auch im Springsport zu etablieren. Dort wäre er dem Bundestrainer Otto Becker hoch willkommen. Aber noch immer gilt, was der langjährige Honorartrainer der deutschen Vielseitigkeitsreiter, Chris Bartle, sagt: "Michi wird immer gefürchtet, egal auf welchem Pferd er sitzt." Bartle betreut jetzt die Briten.

Auch bei Chipmunks früherer Reiterin Julia Krajewski spielt sich vieles im Kopf ab. Das ganze Jahr oft siegreich, gerieten ihre bisherigen Championatsauftritte enttäuschend: Flop in Rio 2016, Verweigerung bei der EM 2017 samt einem bis heute nicht geklärte Fall von verbotener Medikation, Enttäuschung bei der WM 2018. Soll man so jemanden noch mal ins Team nehmen? Ja, sagt Bundestrainer Melzer: "Samourai du Thot liebt Luhmühlen, hier war er immer gut." So flog er auch in diesem Jahr pfeilschnell über die Strecke, die der Brite Mike Etherington-Smith sich ausgedacht hatte. Viele schmale Buschhecken, manche über Eck, in versetzten Linien, im Wasser und auf festem Grund. "Ich will die Reiter prüfen, und nicht die Pferde für die Fehler ihrer Reiter bestrafen", sagt Etherington-Smith, der auch die EM bauen wird. Das Ergebnis gibt ihm recht. Die sieben Stürze bei 83 Reitern verliefen harmlos, meist fiel der Reiter vom Pferd, alle konnten das Gelände auf eigenen Beinen verlassen. Mit einer makellosen Nullrunde sicherte sich Julia Krajewski auf Samourai ihren zweiten deutschen Meistertitel, mit 24,70 Minuspunkten nur eine Hauch vor Ingrid Klimke auf Asha (24,8); Dritter wurde Dirk Schrade auf Unteam de la Cense (31,10).

Ingrid Klimke, beteiligt an drei Olympiamedaillen, zeigte in Luhmühlen mit der achtjährigen Asha ein begabtes Pferd, schnell, souverän über den Sprüngen, verbessert in der Dressur. Aber für Höheres fehlt der Stute die Erfahrung. Davon hat Klimkes 15-jähriger Hale Bob zwar genug, aber im Springen nimmt er die bunten Stangen nicht immer so ernst, wie er soll. Sandra Auffahrt, die Weltmeisterin von 2018, versucht mit dem Franzosen Viamant de Matz an frühere Erfolge anzuknüpfen. Wer den Fuchs in der Dressur sieht, vergleicht ihn unwillkürlich mit Weltmeister Opgun Luovo, doch da kann er nicht mithalten. Im Gelände aber verrät er große Klasse, und dass Sandra Auffahrt eine geniale Reiterin ist, hat sie auf einem anderen Pferd mit ihrem dritten Platz beim Hamburger Springderby bewiesen. Auch in Luhmühlen blieb sie ohne Abwurf. Hinter diesen großen Namen reißt sich ein Dutzend Reiter darum, im August in der Heide anzutreten - und sich für Tokio 2020 zu positionieren.

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