Süddeutsche Zeitung

Pferdesport:Thronstreit in La La Land

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Die dominierende Dressurreiterin Isabell Werth und ihr Spitzenpferd Bella Rose bekommen Konkurrenz: Bei den deutschen Meisterschaften brillieren Jessica von Bredow-Werndl und ihre Stute Dalera in allen Prüfungen.

Von Gabriele Pochhamer, Balve

Der einen vergeht das Lächeln nie, selbst wenn das Pferd unter ihr mal nicht tut, was es soll. Die andere schiebt in solchen Fällen unwillig die Zunge von einer Wange in die andere und scheint nach dem Motto "Jetzt erst recht" aus jedem Fehler neue Energie zu schöpfen. Beide wollen gewinnen, und beide mussten lernen, mit Niederlagen umzugehen. Jessica von Bredow-Werndl, 35, und Isabell Werth, 51, sind sich in vielem ähnlich und doch ganz verschieden - zwei Frauen, die um den Dressurthron in Deutschland und in der Welt kämpfen. Auf dem sitzt Isabell Werth spätestens seit den Olympischen Spielen von Rio 2016, seit dem Abdanken des dreimaligen Olympiasiegers Valegro unter der britischen Reiterin Charlotte Dujardin. Werth ist mit sechs olympischen Goldmedaillen und so vielen Championatstiteln, dass das Mitzählen allmählich mühsam wird, die ungekrönte Königin des Dressursports, die erfolgreichste Reiterin der Geschichte.

Doch bei den deutschen Meisterschaften in Balve im Sauerland zeigte sich, dass auch standfeste Throne wackeln können, was ja nicht heißt, dass sie gleich umfallen. In allen drei zur Meisterschaft gehörenden Prüfungen, dem Grand Prix als Qualifikation, dem Grand Prix Special und der Musikkür, musste die aus dem rheinischen Rheinberg stammende Werth auf der 17-jährigen Bella Rose ihrer Konkurrentin Bredow-Werndl aus dem bayerischen Aubenhausen mit der 14-jährigen Dalera den Vortritt lassen, und zwar mit deutlichem Abstand. Das ist Bella Rose in den vergangenen sieben Jahren nicht mehr passiert. Die bis dahin letzte Niederlage brachte ihr Valegro 2014 bei den Weltmeisterschaften in Caen in Frankreich bei. Seit 2018, seit ihrer Rückkehr nach fast vier Jahren Verletzungspause, war die westfälische Fuchsstute immer vorne.

Doppelte Galopp-Pirouetten, Passagen, Piaffen: Dalera tanzt mit Eleganz und Geschmeidigkeit

In Balve endete der Triumphzug. Mit neuen persönlichen Bestleistungen brillierten Jessica von Bredow-Werndl und Dalera in allen drei Prüfungen. Dalera ist keine Schönheit, wenn die Trakehnerstute den Abreiteplatz betritt, dreht sich noch keiner nach ihr um. Aber wenn ihre Reiterin die Zügel aufnimmt, ist sie mit einem Schlag ein anderes Pferd. Sie fängt an zu tanzen, mit einer Geschmeidigkeit und Eleganz, die die Herzen des Publikums höher schlagen lässt - jener Zuschauer, die sich einfach an einem brillanten Pferd erfreuen, genauso wie jener, die jeden Schritt und Tritt auf die Kriterien der klassischen Reitkunst überprüfen.

In der Kür reihte sich eine Schwierigkeit an die nächste, doppelte Galopp-Pirouetten, spielerisch aneinandergereihte fliegende Wechsel, Piaffen, die trabähnlichen Bewegungen auf der Stelle, und die erhabenen Passagen, bei der die Beine einen Moment in der Luft verharren wie in einer Zeitlupenaufnahme - alles gelang mühelos und auf den Punkt abgestimmt mit der Musik des Hollywood-Musicals La La Land. Auf der Schlusslinie nahm die Reiterin die Zügel in eine Hand, das gab noch einmal Extrapunkte. 93,025 Prozent für Dalera und Bredow-Werndl, nur der große Valero wurde jemals höher bewertet.

"Dalera und ich sind einfach in einer richtig richtig guten Form", sagte die deutsche Meisterin im Grand Prix Special und der Kür: "Trotzdem werde ich mir zu Hause die Ritte noch mal anschauen und suchen, was man noch verbessern kann." So spricht der Profi, der nichts dem Zufall überlässt.

Werth bleibt zuversichtlich: Bella Rose brauche noch ein paar Prüfungen, um in Form zu kommen

Doch jetzt bekommt Dalera erst einmal eine Pause, nicht zu lange. "Sie sagt mir, wenn es genug ist", erzählt Bredow-Werndl, "dann buckelt sie beim Spazierenreiten einfach los." Probleme, Daleras gute Form bis Tokio zu bewahren, sieht Bundestrainerin Monica Theodorescu nicht: "Es gehört zu Daleras Qualitäten, dass man sie herunterfahren kann." Und ebenso schnell wieder hochfahren, wenn es drauf ankommt.

Das richtige Timing mag am Ende den Ausschlag geben, weswegen Isabell Werth ihre Chancen auch noch nicht schwinden sieht. Bella Rose, die Werth nicht ohne Grund besonders dosiert einsetzt, ging erst das zweite Turnier in diesem Jahr. "Sie braucht noch ein paar Prüfungen", sagt Werth, die sich in der Kür ebenfalls über Bella Roses neues persönliches Bestergebnis freuen konnte, 90,975 Prozent. "Es war erfreulich, wie sich Bella Rose über die Tage entwickelt hat. Sie hat sich gesteigert, das war der Wunsch und das Ziel, deswegen bin ich super zufrieden", resümierte Werth. Heißt: Da ist noch Luft nach oben. Aber der Abstand zur Siegerin, rund zwei Prozent, war deutlich.

Bella Rose tanzte zu klassischen Beethoven-Klängen durch ihr Programm, das mit Schwierigkeiten nur so gespickt war. Strahlend mit ihrem goldenen Haarkleid, nimmt sie den Betrachter an guten Tagen schon mit den ersten Tritten gefangen. In der Kür von Balve gab es ein paar kleine Unsicherheiten. Oft hatte sie dennoch gewonnen, aber diesmal reichte es nicht gegen die perfekte Dalera.

Im Schatten der beiden Diven segelte der 15-jährige Hengst Showtime unter Dorothee Schneider ungefährdet zu zwei Bronzemedaillen. In Tokio sollen die drei Reiterinnen Gold holen im Teamwettbewerb. Da gilt: Nach dem Special ist mit der Gemeinsamkeit Schluss. Dann kämpft wieder jede für sich allein.

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