Pferderennsport:Feier der Normalität

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Volles Haus: Aufgalopp im Mai 2018 auf der Rennbahn in Riem. (Foto: Claus Schunk)

Im 125. Jahr ihres Bestehens zieht die Galopprennbahn in Riem wieder großes Publikum an - und arbeitet gleichzeitig an einem finanziellen "Befreiungsschlag" für die Zukunft.

Von Andreas Liebmann

Man darf jetzt nicht ganz von vorne beginnen, sonst würde man glatt das falsche Jubiläum erwischen. Auf keinen Fall also am 9. Mai 1865 auf der Milbertshofener Heide, wo "auf Anregung des späteren Reichskanzlers Hohenlohe-Schillingsfürst, des Grafen Gustav zu Castell und Heinrich zu Pappenheim ein Flach- und ein Jagdrennen" stattfand, wie man in der Chronik des Münchener Rennvereins (MRV) nachlesen kann. Denn damit hat zwar tatsächlich mal alles angefangen, was den Galopprennsport in München betrifft, weil das überraschend gut besuchte Rennen damals zur Vereinsgründung führte - doch diese ist eben schon deutlich mehr als 150 Jahre her.

Das Jubiläum, das der MRV dagegen in diesem Sommer feierte, betrifft sein heutiges Domizil, jenes idyllische Rennbahngelände im Münchner Osten, das er vor 125 Jahren bezogen hat. "Zwischen den verträumten und noch unberührten Dörfern Riem und Dornach", wie ebenfalls in der Chronik steht.

Der stolze Festtag selbst ist fast ein wenig untergegangen Mitte August, weil zur gleichen Zeit die European Championships durch München zogen. Trotzdem ist das nun mal eine ganz besondere Saison, die an diesem Sonntag mit dem zweiten der beiden obligatorischen Höhepunkte, dem Gruppe-1-Rennen um den Großen Preis von Bayern, fast schon wieder zu Ende geht. Ein kleiner Blick in die Historie kann da also nicht schaden. Und natürlich ist in dieser langen Zeit nicht nur Positives geschehen. Gleich am Anfang zum Beispiel, gerade einmal zwei Jahre nach der Eröffnung, da nahm Herzog Siegfried in Bayern hier an zwei Reit- und Springturnieren teil. Das erste gewann der Wittelsbacher Prinz, der als ausgezeichneter Reiter galt. Beim zweiten stürzte er kopfüber vom Pferd, wovon der 22-Jährige für den Rest seines Lebens geistige Schäden davontrug.

Und ganz am Ende - aber das gehört ja schon zu dieser noch laufenden Saison -, da stand in der Nacht zum 25. Februar 2022 der Dachstuhl des verglasten Tribünenhauses in Flammen. Es entstand ein Millionenschaden. Das Rennprogramm mit seinen acht Terminen konnte aber trotzdem stattfinden. Darunter war auch der obligatorische erste Saisonhöhepunkt, der Große Dallmayr-Preis, der andere Renntag der europäischen Top-Kategorie Gruppe 1 in Riem. Beim Erfolg des Derbysiegers Sammarco mit Jockey Rene Piechulek säumten Ende Juli 13 000 Besucher die Strecke, was Generalsekretär Sascha Multerer nach all den pandemischen Einschränkungen seit 2020 als "sehr emotionale Rückkehr" zur Normalität empfand.

Ein kleines, aber starkes Feld geht am Sonntag ins Rennen um den Großen Preis von Bayern

So soll es an diesem Sonntag, am siebten der acht Riemer Renntage, natürlich weitergehen. Mit fünf Pferden ist das mit 155 000 Euro dotierte Hauptrennen (Start 14.50 Uhr) etwas knapp besetzt, "ein kleines, aber sehr starkes, ausgeglichenes und internationales Feld", wie Multerer sagt, mit zwei Pferden aus England und drei deutschen, darunter dem hoch eingeschätzten Tünnes, der wie Sammarco von Peter Schiergen in Köln trainiert wird.

Zu ihren Blütezeiten waren die Galopp- und ebenso die benachbarte Trabrennbahn in Daglfing fest verankert im gesellschaftlichen Leben der Stadt. Irgendwo zwischen dem Sturz des Adligen und dem Tribünenbrand wurde auch Riem zu einem der Schauplätze der Olympischen Spiele. Die Galoppanlage selbst erlebte Jahre mit mehr als 30 Renntagen, sie erlebte Renntage mit mehr als 30 000 Besuchern, und sie erlebte auch mehr Streitigkeiten, als hier Erwähnung finden können. Im Hier und Jetzt stellt Geschäftsführer Multerer beinahe erstaunt, aber zufrieden fest: "Es ist so friedlich wie lange nicht."

Das mag auch mit dem neuen Präsidenten Michael Motschmann zusammenhängen. Auch insofern war ja die laufende Saison eine außergewöhnliche, nicht nur wegen des Jubiläums: Der langjährige Präsident Dietrich von Boetticher hatte im Februar seinen Rückzug verkündet, Fondsmanager Motschmann löste ihn ab, dazu kam die neue Stellvertreterin Stephanie Gräfin von Pfuel. Das hat nicht nur Auswirkungen auf zwei lange verfeindete Lager im Verein, denen allmählich die Protagonisten fehlen, sondern auch auf die strategische Ausrichtung der Rennbahn. Motschmann lege großen Wert auf betriebswirtschaftliche Solidität, berichtet Multerer, wohingegen der Verleger und Rechtsanwalt Boetticher neben seinem Amt doch immer auch ein bisschen ein Mäzen geblieben war.

Besuch aus Köln: Tünnes mit Jockey Bauyrzhan Murzabayev. (Foto: Stephanie Gruttmann/Galoppfoto/Imago)

"Die Latte liegt hoch", sagt Multerer dazu. Er weiß, dass es positive Geschäftsabschlüsse in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich immer nur dann gab, wenn sich der Verein gerade mal wieder von etwas Grundbesitz getrennt hatte. Trotzdem ist er zuversichtlich. Der Pferdebestand sei stabil bei etwa 130 Tieren, die in Riem trainieren, man habe gute Partner für die jeweiligen Renntage, und dann gibt es da noch den vergleichsweise neuen Plan, eine Photovoltaik-Anlage auf vier bis sechs Hektar des Trainingsgeländes zu errichten. Inzwischen habe man das Vorhaben geprüft, erzählt er, Gespräche mit Partnern liefen, es sehe gut aus. Sofern die Stadt dem Vorhaben die Genehmigung erteile, könne man die Anlage vielleicht schon Ende 2023 in Betrieb nehmen. Damit könnte der Verein, der seinem Defizit aus dem Rennbetrieb bislang nur Miet- und Pachteinnahmen entgegenstellen kann, eine neue, dauerhafte Einnahmequelle erschließen. "Das kann für den Münchener Rennverein tatsächlich eine Art Befreiungsschlag sein", sagt Multerer. Und das ist doch ein großes Wort, nach dann 126 Jahren Pferderennen zwischen den einstigen Dörfern Dornach und Riem, die inzwischen nicht mehr ganz so verträumt und unberührt sind.

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