Pferdesport:Die drei Faktoren

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Die Besten: Thore Hammer-Hansen fliegt auf Palladium ins Ziel – und zum Derbysieg. (Foto: Katja Gerhardt/Galoppfoto/Imago)

In Palladium gewinnt zum zweiten Mal nacheinander ein Pferd der Besitzergemeinschaft „Liberty Racing“ das wichtigste Galopprennen Deutschlands, das Derby in Hamburg. Was macht die Gruppe so erfolgreich?

Von Ferdinand Schwarz

In der Schlusskurve schert Palladium als Viertplatzierter aus, Thore Hammer-Hansen lenkt ihn ganz an den Rand der Rennbahn, wo er mit großen Galoppschritten an allen Konkurrenten vorbei prescht – und das 155. Deutsche Galopp-Derby in Hamburg gewinnt, mit einer Winzigkeit Vorsprung. Es ist der zweite Titel nacheinander für Liberty Racing, eine Besitzergemeinschaft aus etwa 30 Personen, die jährlich Pferde kauft und für die großen Rennen des Galopprennsports fit macht. Einer der Investoren ist Christian Sundermann, Mitglied des Münchener Rennvereins und im Pferdefieber seit seiner Jugend, als er eine Wette ohne das Wissen seiner Eltern platzierte und 220 D-Mark gewann.

Ähnlich glücklich dürften sich auch die Eigentümer von Liberty Racing fühlen: Dass eine Besitzergemeinschaft mit zweien ihrer Pferde zweimal hintereinander das wichtigste Galopprennen Deutschlands gewinnt, ist höchst unwahrscheinlich – das gab es in der 155-jährigen Geschichte des Rennens erst neun Mal. Unternehmensberater Christian Sundermann öffnet mit einem Augenzwinkern eine einfache Rechnung: Pro Jahr werden rund 750 Vollblüter geboren, die drei Jahre später beim Derby antreten dürfen. „Die Wahrscheinlichkeit, aus den geborenen Pferden den neuen Derbysieger auszuwählen, liegt also bei eins zu 750. Und bei zwei Siegen in Folge potenziert sich die Wahrscheinlichkeit auf eins zu 562 000.“ Ganz so gering dürfte die Chance bei Liberty Racing aber nicht sein, denn: Bestimmte Faktoren erhöhen natürlich auch im Galopprennsport die Siegchancen. Und Liberty Racing nutzt sie derzeit offenbar besser als andere.

Ein sechsköpfiges Scoutingteam analysiert die Stammbäume

„Der Anteil des Pferdes am Erfolg eines Rennstalls ist ungefähr 70 Prozent“, schätzt Lars-Wilhelm Baumgarten, Gründer von Liberty Racing und ehemaliger Berater im Profifußball. Dort orientierte sich Baumgarten auch an den Scoutingmethoden – Liberty Racing arbeitet viel mit Daten und Statistiken, um „den nächsten großen Star unter den Pferden zu finden“, wie Baumgarten sagt. Dafür analysiert ein sechsköpfiges Scoutingteam die Stammbäume der auf großen Auktionen angebotenen Vollblüter. Diese Ahnentafeln sind mittlerweile alle digitalisiert, theoretisch könnte man so weit zurückgehen, dass man bei den drei Hengsten landet, die vor 200 Jahren die Vorfahren aller heutigen deutschen Rennpferde waren. Das Team um Baumgarten beobachtet außerdem das Verhalten der Tiere in ihren Gestüten, beim Fressen oder beim Spielen auf der Koppel. Und Ärzte überprüfen die Tiere wortwörtlich auf Herz und Nieren und schätzen so die Leistungsfähigkeit der Tiere ein. „Das machen nicht alle und erklärt zum Teil unseren Erfolg“, sagt Baumgarten.

Pferde benötigen eine enge Betreuung: Die Tiere sind empfindsam, reagieren stark auf ihre Umwelt und sind mitunter stur.

Ein weiterer Erfolgsfaktor im Galoppsport, dessen Anteil Baumgarten auf 20 Prozent schätzt, sind die Trainer. Palladium, der diesjährige Gewinner, wird von Henk Grewe in Köln trainiert, der als bester deutscher Galopptrainer gilt. Die weiteren Pferde von Liberty Racing sind auf drei andere Rennställe verteilt. Einer davon ist in Riem, am Stadtrand Münchens. Dort liegt das 99 Hektar große Gelände des Münchener Rennvereins: zwei Rennbahnen, Koppeln, Ställe, Wohnhäuser für das Personal. Sarah Steinberg, eine der wenigen Trainerinnen im Rennsport, hat hier ihren Rennstall, in dem Fantastic Moon trainiert, der letztjährige Gewinner des Hamburger Derbys. Steinberg ist mit rund 30 betreuten Pferden eher eine Art Boutique unter den Rennställen – was ein Erfolgsfaktor sein kann: „Jeder Trainer hat nur begrenzt Zeit, Sarah kann sich so persönlich intensiver um die Pferde kümmern“, sagt Sundermann. Die Trainerin reitet viele der Pferde auch selbst, bekommt so ein besseres Gefühl für die Tiere. Diese Intensität hat aber ihren Preis: Steinberg ist gewissermaßen rund um die Uhr im Stall. Um drei Uhr früh klingelt der Wecker, um 20 Uhr, wenn die Pferde langsam müde werden, geht’s nach Hause. Mittag? „Nein, gleich kommt der Hufschmied.“

Diese enge Betreuung und Pflege ist nötig, um einen talentierten Vollblüter innerhalb von zwei Jahren zu einem Derby-Gewinner zu entwickeln. Die Tiere sind empfindsam, reagieren stark auf ihre Umwelt, sind mitunter stur. Sie müssen sich mit der Ausnahmesituation Rennen anfreunden, an unterschiedliche Reiter gewöhnen. Bei Rennen kommt es nicht selten vor, dass Pferd und Jockey sich zum ersten Mal sehen. Für den Erfolg eines Rennstalls ist die Verbindung zwischen beiden aber mitentscheidend: Jeder kleine Fehler kostet entscheidende Millisekunden, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Liberty Racing arbeitet deshalb mit den Besten: Thore Hammer-Hansen, derzeit der erfolgreichste deutsche Jockey, ritt mit Palladium zum Derby-Sieg. „Das beste Pferd kann mit einem schlechten Jockey nichts gewinnen – und umgekehrt“, sagt Hammer-Hansen. So müssen die nur fünfzig bis sechzig Kilogramm schweren Reiter schnell ein Gefühl für das Pferd entwickeln, dem Tier an der richtigen Stelle im Rennen Verschnaufpausen geben, außerdem die richtige Renntaktik wählen.

Küsschen vom Sieger für den Sieger: Thore Hammer-Hansen (li.) drückt Palladium ein Bussi auf. (Foto: Frank Sorge/Galoppfoto/Imago)

Die drei Erfolgsfaktoren der Besitzergemeinschaft – Pferd, Trainer und Reiter – sind teuer, dazu kommen noch Kosten für Stallpersonal, Ärzte oder den Hufschmied, für Futter und Medizin. Trotz zwei Derbysiegen mit Preisgeldern im siebenstelligen Bereich kommen auch die Investoren des Rennstalls Liberty Racing ungefähr auf null heraus: „100 Millionen werden jährlich von den Besitzern in Deutschland in den Rennsport investiert, nur zwölf fließen an die Investoren zurück“, sagt Baumgarten. „Das ist eigentlich ein reines Hobby, eine Liebhaberei aus Passion zu den Pferden.“ So akribisch wie Liberty Racing diese Liebhaberei angeht, ist der dritte Derby-Sieg im nächsten Jahr vielleicht trotzdem möglich – obwohl die Wahrscheinlichkeit nach Sundermanns Rechnung im Bereich eines Lotto-Jackpots läge.

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