Pferdesport:Expansion der Turnierfabriken

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In jedem Gelände und in allen Sätteln erfolgreich unterwegs: Der viermalige Olympiasieger Ludger Beerbaum, hier 2019 auf Casello.

(Foto: Eberhard Thonfeld/imago)

Olympiasieger Ludger Beerbaum will 2021 auf seiner Reitanlage in Riesenbeck die EM der Springreiter ausrichten.

Von Gabriele Pochhammer, Riesenbeck

Der riesige Braune ist nicht besonders schön: knochig, der Kopf ein bisschen zu groß. In einem romantischen Pferdefilm für junge Mädchen würde er wohl nicht gecastet, aber das ist auch nicht sein Job. Im Sattel sitzt der viermalige Olympiasieger Ludger Beerbaum, er arbeitet mit dem Wallach ruhig und konzentriert auf dem Sandplatz seiner Reitanlage in Riesenbeck, mal auf engen Kreisen, mal ein paar Tritte seitwärts, mal ein fliegender Galoppwechsel oder kleiner Sprung.

Jedes Pferd wird schöner, wenn es gut geritten wird, heißt es unter Reitern. Und tatsächlich läuft da nach ein paar Minuten kein grober Klotz mehr herum, zwar auch noch kein Adonis, aber immerhin ein kräftiger Athlet mit elastisch spielenden Muskeln. Selber im Sattel zu sitzen, macht Beerbaum, 57, immer noch mehr Spaß als die Arbeit am Laptop, "obwohl ich mir klar darüber bin, dass die Zeiten im Büro länger und die im Sattel kürzer werden".

Als Ludger Beerbaum, die Mannschaftsbronzemedaille um den Hals, vor vier Jahren bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft verkündete, deutete sich bereits an, dass er dem Pferdesport erhalten bleiben wird. Mitte November wird er in Riesenbeck die deutschen Meisterschaften im Springreiten veranstalten, und erst vor wenigen Tagen erhielt er den Zuschlag für die Europameisterschaften vom 30. August bis 4. September 2021.

In den vergangenen sechs Jahren hat sich viel getan in und um Riesenbeck. Zwei Kilometer entfernt von Beerbaums eigener Reitanlage mit Springstall und Hengststation entstand auf seine Initiative zusammen mit dem Grundeigentümer Philipp Freiherr Heeremann das Turnierzentrum Riesenbeck International, mit zwei Hallen, mehreren Trainings- und Turnierplätzen und einem großen Rasenstadion. Fast jede Woche werden dort Turniere ausgetragen, im Winter sogar zwei - für junge und ältere Pferde, für Nachwuchsreiter, Amateure, vor allem aber für Profis. Dort können sie ihre verkaufsreifen Pferde in Szene setzen und per Video einem weltweiten Markt präsentieren. Dieses Geschäftsmodell funktioniert bereits in anderen Ländern. "Turnierfabriken" nennt der deutsche Reiterverband etwas säuerlich diese Veranstaltungen. Sie haben vielerorts die jährlichen Vereinsturniere ersetzt, bei denen die Reitermütter für Kaffee und Kuchen sorgen und alle zusammen die Hindernisse neu streichen. "Dafür findet man heute keine Ehrenamtlichen mehr", sagt Beerbaum, "vielleicht einmal im Jahr, aber nicht öfter."

Bei den Profi-Turnieren blüht der Handel, auf der Tribüne im Westfälischen sitzen die Scouts, die nach Pferdetalenten für ihre Kundschaft suchen. "Ganz klar ist der Handel unsere oberste Priorität", sagt Beerbaum. Der Verkauf von Springpferden trägt das Unternehmen, eingeschlossen ist die Betreuung der Kunden im Training und auf Turnieren. Manche beziehen für Wochen und Monate Quartier in Riesenbeck, um von den Tipps des viermaligen Olympiasiegers (1988, 1992, 1996 und 2000) und seiner ebenfalls international erfolgreichen Stalljockeys Philipp Weishaupt und Christian Kukuk zu profitieren. Bei diesen Turnieren trifft Beerbaum auch die Pferdezüchter, mit denen er über junge Talente verhandeln kann, bevor andere ihm zuvorkommen. "Man kann einfach ein bisschen netzwerken", sagt er.

Die der Pandemie geschuldeten Abstandsregeln sind leicht einzuhalten, es gibt viel Platz, aber kaum Zuschauer. Als corona-bedingt die deutschen Meisterschaften in Balve abgesagt werden mussten, sprang Riesenbeck International ein. Und jetzt legte das Board der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) nach und schickt 2021 die Springreiter. Die Dressur-EM startet wenig später (7. bis 12. September) quasi nebenan, in Hagen am Teutoburger Wald bei Ullrich Kasselmann, auch er ein versierter Veranstalter. "Wir haben unsere Bewerbung einfach in den Ring geworfen und sehen die Zusage als Bestätigung dafür, dass wir hier gute Arbeit geleistet haben", sagt Beerbaum.

Mancher hätte da Champagnerkorken knallen lassen, Beerbaum gönnte sich und seinem Team ein Extrabierchen. Wenn er abhebt, dann wohl nur im Sattel eines Springpferdes. Mehr Begeisterung ist indes dem Bundestrainer zu entlocken: "Hut ab, dass es solche Leute wie Ludger gibt", sagt Otto Becker, "wir sind alle heilfroh." Denn der Weltverband tat sich schwer, einer EM im Olympiajahr zuzustimmen, wie von den Reitern und vom europäischen Verband gefordert. Die FEI befürchtet eine Überlastung der Pferde durch zwei Championate. Es liegen nur drei Wochen zwischen den um ein Jahr nach hinten verlegten Spielen in Tokio, die am 8. August enden sollen, und den beiden Europameisterschaften im September. Beerbaum mag kein Problem erkennen: "Die Topreiter haben meist mehrere Pferde, und in Tokio starten nur drei Reiter pro Nation; viele Länder konnten sich gar nicht qualifizieren." So dürfte sich so mancher Reiter über die plötzliche EM-Chance freuen.

Drei Monate Bedenkzeit hat sich Beerbaum ausbedungen. Bis Ende Januar will er durchrechnen, ob das Unternehmen finanzierbar ist, ob er genügend Geldgeber findet, ob er das Fernsehen gewinnen kann. Es wird auch ohne Corona weniger Zuschauer geben als in den großen Stadien, auch weniger Preisgeld, alles fällt reduzierter aus. Die FEI hat signalisiert, dass sie auf einen Teil ihre Gebühren verzichtet. "Wir sind froh, dass wir überhaupt diese Möglichkeit haben", sagt Stephan Ellenbruch, Mitglied des FEI-Boards, "wir müssen uns wieder auf unser Kerngeschäft besinnen."

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