Der Bericht spricht von Pferden an der Grenze ihrer physischen Belastbarkeit, von Gefahren wie frühzeitiger Ermüdung, Stürzen, Verletzungen und hitzebedingten Erkrankungen. Vor zweieinhalb Monaten fand auf dem Olympiakurs von Tokio ein Proberitt für die Sommerspiele 2020 statt. Nun hat eine Forschungsgruppe der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) unter Federführung des in Cambridge lehrenden Wissenschaftlers David Marlin die Erkenntnisse vorgelegt, die sie durch Messungen und Analysen beim dem Testevent im August, einem kurzen Dreisterne-Vielseitigkeitswettbewerb, gewonnen hat. Demnach müssen vor allem die Bedingungen des Geländekurses auf der Insel Seaforest Park deutlich angepasst werden. Angelpunkt der Messungen war der WBGT-Index: ein Wert, der sich aus Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Wind, Sonneneinstrahlung und Radioaktivität zusammensetzt und der zur Beschreibung klimatischer Bedingungen dient.
Ein Index unter 28 gilt als unbedenklich. Aber schon für Pferde, die bei WBGT- Werten von mehr als 30 Höchstleistungen erbringen müssen, bestehen die oben genannten Risiken. Bei einem WBGT-Wert von 33 sind laut Verband FEI "die Umweltbedingungen nicht mehr mit einem sicheren Wettbewerb vereinbar". Dieser Wert wurde im Messzeitraum vom 10. bis 15. August in Tokio täglich überschritten, jedenfalls bei den Analysen der FEI. Messungen, welche die Japaner im selben Zeitraum vorgenommen haben, fielen günstiger aus, was ja wiederum Fragen aufwirft.
Im Stall konnte dank der Klimaanlagen der Index bei 20 und 24 stabil gehalten werden. In der großen Trainingsreithalle pendelte er um 25 bis 29. In der Hauptarena, wo nach Erkenntnissen des Berichts die klimatisch "denkbar schlechtesten Bedingungen" herrschten, stieg er mittags auf bis zu 37. Auch auf den Trainingsplätzen ist es um diese Zeit nur unwesentlich kühler. Der schlimmsten Hitze soll bei Olympia durch die Prüfungszeiten ausgewichen werden: Alle Spring- und Dressurprüfungen werden ab 17 Uhr, manchmal erst ab 19 Uhr, teils unter Flutlicht ausgetragen, dann sinkt der WBGT-Wert unter 30.
Die vierbeinigen Testteilnehmer wurden akribisch überwacht
Die größte Sorge der Veterinäre gilt der Geländeprüfung. Denn man kann ja schlecht mitten in der Nacht querbeet reiten. Am Testwettkampf nahmen 16 Pferde teil, darunter drei deutsche. Der Cross ging über 3000 Meter, etwa die Hälfte der Strecke, die für das Olympiajahr vorgesehen ist. Die vierbeinigen Testteilnehmer wurden akribisch überwacht, die meisten trugen während des Rittes ein Messgerät für Pulsfrequenz und Laktatwerte an der Satteldecke oder am Gurt.
Nach Ankunft im Ziel wurde im Zehnminuten-Rhythmus Körpertemperatur, Atmung und Puls gemessen. Die Pferde seien an die Grenze ihrer körperlichen Belastbarkeit gekommen, konstatiert der Bericht. Die gute Nachricht lautete: Sie hätten sich durchweg besser als erwartet wieder erholt.
Die Strapazen, so heißt es, seien im übrigen nicht nur durch das Klima zustande gekommen. Sondern auch durch die Strecke selbst, die mit einem recht steilen Anstieg begann und mehrere enge Kurven enthielt. Jetzt fordern die Tierärzte, die auf 5700 Meter angelegte Distanz zu verkürzen und die Reitzeit von zehn auf acht Minuten zu senken. Außerdem plädieren sie für weniger Kurven und Bergaufstrecken. Das allerdings dürfte nicht so einfach sein: Der auf einer ehemaligen Müllhalde entstandene hügelige Seaforest Park gibt nicht mehr Platz her. Es wird ohnehin kein Kurs für großräumige Galoppierer, sondern für fixe Pferde, die sich schnell drehen und wenden lassen. Außerdem soll die Startzeit auf 8 Uhr vorverlegt werden, damit die Prüfung schon um 11 Uhr, vor der Mittagshitze, beendet ist. So hofft man, die Gefahren zu minimieren.
Das letzte Wort hat am Ende nicht die FEI und auch nicht das Organisationskomitee in Tokio (Tocog), sondern das Internationale Olympische Komitee (IOC). Eine angepasste Startzeit dürfte eine Kleinigkeit sein, verglichen mit anderen Maßnahmen, die das IOC auf einmal für nötig hält, etwa die Hals-über-Kopf-Verlegung der olympischen Geher- und Marathonwettbewerbe ins 800 Kilometer entfernte Sapporo, für geschätzte Mehrkosten 280 Millionen Euro. Für diese Entscheidung, die zunächst ohne Zustimmung der Regierung der Stadt Tokiogetroffen wurde, bedurfte es erst der desaströsen Eindrücke der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Doha. Solche Bilder darf es im olympisch ohnehin gefährdeten Pferdesport nicht geben.
Dressur-Moppelchen haben schlechte Karten
Und das zu verhindern, spielt auch die Auswahl der Olympiapferde eine Rolle. Nach Tokio dürfen im kommenden Sommer nur die fittesten Pferde reisen, die vorher an Anstrengungen bei hohen Temperaturen gewöhnt wurden, die kein Gramm zu viel auf den Rippen haben. Dressur-Moppelchen haben schlechte Karten.
Auch eine akribische Nachsorge der Pferde kann helfen. Beim Testevent stand ein fünfköpfiges "Cooling-Team" bereit, das die erhitzten Vierbeiner möglichst schnell wieder auf Normalwerte bringen sollte. Große nebelsprühende Fächer sind vorgesehen, vor allem aber kaltes Wasser von 10 bis 15 Grad, das eimerweise über den Pferdekörper gegossen wird, immer wieder. Und das klingt dann wieder verblüffend einfach.