Als genialer Trainer wird man nicht geboren, und es reicht auch nicht, Niederländer zu sein. Man muss ein Genie sein und ein Universum für sich. Wie zum Beispiel der verstorbene Johan Cruyff, der seinen Kollegen Leo Beenhakker einmal spüren ließ, wer er ist.
Es war der 30. November 1980. Beenhakker war Trainer bei Ajax Amsterdam, und Cruyff war gerade als Teamleiter zu Ajax zurückgekehrt. Ajax spielte gegen Twente und lag 1:3 zurück, als es Cruyff nicht mehr auf der Tribüne hielt. Er ging die Treppen hinab, öffnete das Tor zum Spielfeld, setzte sich neben den entgeisterten Beenhakker. Und organisierte das desolat spielende Ajax-Team völlig neu.
Ajax siegte, 5:3.
Und damit nun zu Borussia Dortmund.
Bosz wirkt wie ein Trainer auf Abruf
Man landet immer wieder bei Cruyff, und bei Ajax, wenn man über niederländische Trainer spricht, zum Beispiel über Peter Bosz, den aktuellen Trainer des BVB. Weltweit gibt es ja die unterschiedlichsten Arten von Trainer, es gibt junge und alte, offensive und defensive, es gibt Assistenz- und Interimstrainer. Und Bosz, 54, verkörpert im Moment wohl jene Art von Trainer, die man am wenigsten gern ist: Er wirkt wie ein Trainer auf Abruf.
"Nein", antwortete Bosz am Freitag auf die Frage, ob ihm die Vereinsführung vor dem Revierderby gegen Schalke 04 (Samstag, 15.30 Uhr) eine Art Ultimatum gestellt habe. "Mit dieser Frage laufen Sie bei mir ins Leere", antwortete auch Geschäftsführer Aki Watzke, als einer wissen wollte, ob der Job des Trainers gefährdet sei. Und Sportchef Michael Zorc überzeugte ebenfalls mit einem tadellosen Ausweichmanöver: "Natürlich wissen wir um unsere Situation, wir sind ja nicht von der Welt abgeschottet." Das Derby sei aber eine Chance, "die Stimmung wieder zu drehen".
Aus 54 Jahren Bundesliga weiß man allerdings: Genau so hört es sich an, ein Trainer auf Abruf zu sein. Von den vergangenen neun Spielen hat Bosz' BVB nur eines gewonnen, im Pokal beim Drittligisten Magdeburg, und die Ergebnisse waren nur das eine Problem. Das andere Problem war die Art und Weise, wie diese Ergebnisse hergestellt wurden. Bosz ließ seine Elf so fundamentalistisch vorwärts verteidigen, wie man das als Holländer womöglich tun muss; und als seine Elf ein ums andere Mal auf die immer gleiche Weise ausgekontert wurde, fing Bosz in der Not an, den Stil ein wenig zu variieren. Mit dem Ergebnis, dass der BVB zuletzt gar keinen Stil mehr spielte, aber weiterhin verlor.
Als Peter Bosz im Sommer in Dortmund vorgestellt wurde, war viel die Rede davon, dass er Anfang 2016, kurz vor Johan Cruyffs Tod, eine Woche lang mit ihm konferiert hatte, in Tel Aviv, wo Johans Sohn Jordi Manager war. "Ich habe eigentlich nur zugehört und dabei so viel gelernt, dass es für die nächsten zehn Jahre reicht", erzählte Bosz. Es ist kurios: Niemand bezweifelt, dass Bosz ein guter Trainer mit einer präzisen Vorstellung vom Spiel ist, und man ahnt, dass dieses Spiel im Idealfall das schönere, quasi moralisch überlegene ist. Und doch könnte sich Bosz, falls er das Derby nicht gewinnt, in eine lange Liste eintragen: in die Liste der niederländischen Trainer, die ihr Versprechen in der Bundesliga nicht eingelöst haben.
Insgesamt 17 niederländische Trainer hat es seit 1963 in der Bundesliga gegeben, die Niederländer stellen hinter den Deutschen die größte Gruppe an Übungsleitern, die deutsche Erstligisten trainiert haben. In keiner der großen Ligen Europas haben es so viele Niederländer probiert wie in Deutschland. In Spanien gab es neun, in England ebenso viele, in Italien durften sich gerade mal zwei versuchen. Die Titelbilanz liest sich, gemessen am Ruf und Selbstverständnis der niederländischen Schule, ausgesprochen karg. In Italien scheiterten Clarence Seedorf und Frank de Boer krachend; auch in England schafften Ruud Gullit, Guus Hiddink und Louis van Gaal keinen Meistertitel. In Deutschland wurde Huub Stevens immerhin mit Schalke Uefa-Cup-Sieger und für vier Minuten und 38 Sekunden Meister, allerdings gab Stevens stets das Gegenteil des klassischen Oranje-Fußballs in Auftrag. Er ließ radikal rückwärts verteidigen.
Ansonsten erlebte die Liga gemütliche Niederländer (van Marwijk, Jol), wilde Niederländer (Verbeek, Moniz), gepflegte Niederländer (Jonker, Rutten) sowie den stets seltsamen Dick Advocaat. Aber wirklich Spuren hat nur Louis van Gaal hinterlassen, und das weniger, weil er mit dem FC Bayern eine Meisterschaft errang, die länger als vier Minuten anhielt. Er hat in München einen - niederländisch geprägten - Spielstil hinterlassen, den Jupp Heynckes erst schärfen und Pep Guardiola dann in die Moderne übersetzen konnte.
Guardiola ist quasi der erfolgreichste niederländische Coach der Neuzeit: Er stammt aus jenem Land, in dem die niederländischen Trainer aufblühen. Von den neun Niederländern in der spanischen Liga holten fünf - mit Barcelona und Real Madrid - insgesamt zwölf Meistertitel: Rinus Michels, Louis van Gaal, Leo Beenhakker, Frank Rijkaard und eben Cruyff. Rijkaard und Cruyff gewannen außerdem die Champions League. Woran das liegt?
Gute Frage.
Natürlich landet man rasch bei behaupteten Seelenverwandtschaften, beim angeblichen Hedonismus der Niederländer, der in ein Land wie Spanien besser passe. Und ist da nicht auch ein Meer? Andererseits: Wäre die Seelenverwandtschaft nicht einfacher in Deutschland zu pflegen, allein der ähnlichen Sprache wegen?
Wer Cruyff sagt, sagt auch Rinus Michels, Michels gilt als Erfinder des legendären voetbal total. Rinus Michels hat (genau wie van Gaal) sowohl in Deutschland wie auch in Spanien in der ersten Liga trainierte, unter ähnlichen Voraussetzungen, aber mit unterschiedlichen Resultaten. Als ihn 1971 der Ruf des FC Barcelona ereilte, sollte er einen anarchisch geprägten Fußball um Elemente der Disziplin und Ordnung erweitern; in der katalanischen Hauptstadt nannten sie ihn nicht umsonst Míster Marmol, den Herrn aus Marmor.
Als er knapp zehn Jahre später beim 1. FC Köln landete, waren die Erwartungen ähnliche, die Kölner wollten nach dem beschaulichen Karl-Heinz Heddergott ein hartes Regiment. Michels lieferte, zum Leidwesen der Stars, die er, wie etwa Klaus Allofs, selbst geholt hatte. Ausgerechnet Michels legte Freigeistern wie Pierre Littbarski defensive Fesseln an.
Rinus Michels blieb drei Jahre in Köln
"Köln hatte damals extrem offensiv eingekauft, aber in den Zeitungen waren kaum Fotos von Spielszenen, sondern meistens von der Ersatzbank, weil da in wechselnder Besetzung Woodcock, Littbarski, Klaus Fischer oder eben ich saßen", erzählt Allofs mit großem Amüsement.
Michels blieb fast drei Jahre in Köln, führte den FC im DFB-Pokal zum bislang letzten Titel des Klubs, aber haften blieb kaum je, "was für ein großartiger Fußballfachmann er war" (Allofs). Michels befruchtete das Fußballverständnis in der Bundesliga nicht, anders als in Spanien, wo er in Cruyff einen Ideologen fand, der seine Grundtheoreme verfeinerte. Und Cruyff wiederum wurde von keinem besser verstanden und neubegründet als von seinem Spieler Guardiola. Ihre Barcelona-Versionen wurden zu choralen Werken - auch weil sie auf technisch gut ausgebildete Spieler oder Epochenbegabungen wie Lionel Messi zurückgreifen konnten, und weil sie offen waren für andere Impulse.
Der totale Fußball funktioniert immer noch in Barcelona, wo diese Art des Spiels von Generation zu Generation weitergegeben wird, und er funktioniert da, wo Guardiola mit seinen sündhaft teuren Spielern ist, also aktuell bei Manchester City. Wird dieser Fußball aber in der konterlastigen Bundesliga von nur normal guten Spielern aufgeführt, gerät er schnell in die Gefahr, auf fatale Weise weich, träumerisch und ein bisschen realitätsfremd zu wirken.
Nein, er werde den BVB nicht übernehmen, hat Ottmar Hitzfeld gerade ausrichten lassen, aber allein diese öffentlich Absage zeigt, dass für Bosz Gefahr im Verzug ist. Offenbar denken die BVB-Bosse an einer Heynckes-artigen Übergangslösung herum, mit der man halbwegs schadensbegrenzt den Sommer erreichen könnte. Inzwischen fallen auch Namen wie Matthias Sammer, Armin Veh oder Lucien Favre; Letzterer gilt, ebenso wie Julian Nagelsmann, auch als Kandidat für den Sommer.
Übrigens: Auf dem Markt wäre auch Thomas Tuchel, ein Seelenverwandter Guardiolas und damit indirekt vielleicht ein Nachkomme der niederländisch-katalanischen Schule. Aber Tuchel und der BVB, das ist dann doch eine andere Geschichte.