Pep Guardiola und Katar:Der Luxus, Werte zu haben

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Kein Blick über die Stadionschüssel hinaus: Pep Guardiola

(Foto: AFP)

Fußballprofi Zahir Belounis sitzt in Katar fest, die Unterstützung für ihn wird immer größer. Nur Bayerns sonst so auf Integrität bedachter Trainer Pep Guardiola kann sich nach dem offenen Brief von Belounis an ihn leider nicht äußern - er kenne die Fakten nicht.

Von Thomas Kistner

Arsène Wenger hat viel zu tun, der FC Arsenal führt die englische Premier League an und will die Champions League gewinnen. Trotzdem findet der Londoner Coach die Zeit, sich mit anderen wichtigen Dingen zu befassen. Wenger forderte jetzt den Fußball-Weltverband auf, die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter auf den WM-Baustellen für Katar 2022 zu verbessern. Die Fifa solle Druck machen, dass die Gesetze im WM-Gastgeberland geändert würden, sagte er im britischen Guardian.

Der Arsenal-Coach verstärkt so die Kritik von Politik, Menschenrechtlern und Gewerkschaften, auch an dem in Katar geltenden Kafala-System. Das legt die Geschicke ausländischer Arbeiter ganz in die Hände ihrer Arbeitgeber: Ohne deren Plazet dürfen sie das Land nicht mehr verlassen. Die Fußballbranche erreichte die Kafala, als das Schicksal einiger in Katar festsitzender Spieler und Trainer publik wurde. Der französische Profi Zahir Belounis richtete vor zwei Wochen einen verzweifelten Brief an Pep Guardiola und Zinedine Zidane.

"Seit Monaten durchlebe ich einen Albtraum wegen des Kafala-Systems. Es bringt mich langsam um, und viele andere könnten dasselbe erleben", schrieb er an die Ikonen des Weltfußballs. Nicht wegen ihrer Prominenz, sondern wegen ihrer profitablen Nähe zu Katar: Beide hatten als WM-Botschafter für Katar getrommelt; ihre Werbejobs für ein Turnier im Brutofen wurden angeblich mit Millionen vergoldet.

Belounis sitzt nach Vertragsstreitigkeiten mit seinem Ex-Klub Al-Jaish samt Frau und zwei kleinen Töchtern in einem leergeräumten Haus in Doha fest. Er bat Guardiola und Zidane explizit, ihren Einfluss als "WM-Botschafter für Katar" zu nutzen. Dass sich nun Wenger als wichtige Stimme der Branche zu Wort meldet, hilft auch, Spreu und Weizen zu trennen.

Der Fußball verfolgt ja höchste gesellschaftspolitische Ziele: Fairplay, Integration, Erziehung sind längst so wichtig wie Ecken und Elfer - wenn es um die Vermarktung geht. Also kreiert diese Vermarktung immer mehr Helden, die zu Überlebensgröße reifen. Solche wie Bayern-Trainer Pep, über den bereits halbreligiöse Werke sogenannter "Guardiologen" wie Miguel Angel Violán in Umlauf sind.

In seinem Werk findet sich unter den "zehn Punkten der Guardiola-Methode" das schöne Motto: "Man muss den Mut haben, Werte zu haben". Peps Werte-Spruch prangte 2011 sogar auf den Titel-Shirts der Barça-Kicker. Wie heißt es im Buch? "Die Werte von Peps Barça sind auf jede Art von Organisation übertragbar, schließlich kann es eine Organisation ohne Menschen nicht geben."

Heute zieren Barças Trikots Sponsoren aus Katar, der Verklärte ist nach München umgezogen. Wo von ihm, Adressat des Hilferufs aus Katar, keine Reaktion kam. Der FC Bayern teilte auf wiederholte Anfrage mit, dass Pep "die Fakten nicht kenne" und sich nicht äußern könne. So beschränkt sich in München offenbar ein Philosoph und Katar-Werber auf Viererkette und Sechser-Roulette, während in London Kollege Wenger bei gleicher Arbeitsbelastung über die Stadionschüssel hinausblickt. Was aber die Fakten angeht, die Pep fehlen: Belounis' Hilferuf steht auf diversen Webseiten, es wurde international berichtet; die Spielergewerkschaft Fifpro appellierte gar offen an Fifa-Chef Sepp Blatter.

Verschoben? Unmöglich!

Im Hintergrund bewegt sich einiges, Katar ist ja heftig unter Druck. Und insofern ist es zumindest bemerkenswert, dass auch diverse Journalisten nach Inspektionsreisen ins WM-Land zu Verfechtern des Emirats konvertierten. Sie werben um Verständnis, bezweifeln Missstände und relativieren die Lage von Belounis und anderen. Ein Webjournalist beschrieb für ESPN FC gar die Erleuchtung, die ihn beim Anblick des WM-Imagefilms in Katar überkam: "Plötzlich war ich umgeben von der raffiniertesten, sanftesten Präsentation. Aus deutscher Fertigung, war es in jeder Hinsicht einwandfrei und (. . .) ich von seiner Brillanz überwältigt."

Die WM-Vergabe? Verschoben? Unmöglich! "Warum Leute bestechen, wenn man weiß, das eigene Verkaufsangebot ist das beste? Das macht keinen Sinn." Sinn macht der Vorgang, wenn man weiß, dass die Erweckung den Autor auf einem von Katar bezahlten Vier-Tages-Trip traf. ESPN FC nahm den Text von der Website - und entschuldigte sich.

Es gibt noch mehr Ungereimtheiten. Katar gab nun eine "unabhängige Untersuchung" der Arbeitssituation bei einer internationalen Anwaltskanzlei in Auftrag, die Sache habe höchste Priorität. Nun fiel dem britischen Telegraph auf, dass die Großkanzlei auch einen Lobby-Auftrag für den US-Ableger des katarischen TV-Senders Al-Jazeera erhielt. Zudem ist besagte Kanzlei bei der EU in Brüssel unter den Spitzen-Lobbyisten gelistet. Gerade hat das EU-Parlament die Zustände in Katar kritisiert, im Frühjahr will es eine Delegation schicken.

So geraten auch stille Beteiligte am Katar-Hype in Zugzwang. Mancher sagt, er mühe sich nun hinter den Kulissen. Mag sein; auch wenn Hilfsorganisationen davon wenig mitkriegen. Das Martyrium von Belounis könnte tatsächlich bald vorbei sein, nur: Ein offenes Wort von Leuten wie Guardiola und Zidane hätte es wohl längst beenden können. Und das Martyrium anderer Ausländer, die sich in Katars Kafala-System verfangen, womöglich auch.

Den Münchner Coach aber treibt anderes um. Er jagt einen Maulwurf, der jüngst Vertrauliches aus seiner Teamsitzung an die Bild verriet (). "Es werden Köpfe rollen", wird Guardiola zitiert, der Übeltäter "wird nie wieder unter mir spielen." Er setze alles daran, ihn zu finden - das würde, falls es zutrifft, den Beleg für einen gewissen Kontrollwahn liefern. Der Rest ist Schweigen.

Der FC Bayern ist gerade umjubelt wie nie. Das überdeckt manches. Da gab es jüngst teure Uhren aus Katar für den Vorstandschef, deren Einfuhr Karl-Heinz Rummenigge eine Vorstrafe bescherte. Wobei die Frage bleibt, nach welcher Prämisse Doha solche Preziosen verteilt. Und da ist der Ehrenpräsident Franz Beckenbauer, der Monate, nachdem die Fifa die WM nach Russland (2018) und Katar (2022) schickte, Botschafter der russischen Gasindustrie wurde. Vorwürfe über deutsche Einflussnahme für Katar ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag dementieren. Aber: Sollte man nicht endlich erfahren, wen Beckenbauer seinerzeit wählte?

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