Ex-Bayern-Trainer:Das traditionelle England fremdelt mit Pep

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Eckt an mit seiner Andersartigkeit: Pep Guardiola. (Foto: REUTERS)

Zwischen dem Ballbesitz-Lehrer Pep Guardiola und dem körperbetonten englischen Fußball tobt ein Kulturkampf - der frühere Bayern-Coach muss sich ständig verteidigen.

Von Sven Haist, London

Innerhalb von 20 Minuten kassierte Manchester City kürzlich beim 2:4 in Leicester drei Gegentore. Als Pep Guardiolas Team den ersten Zweikampf gewann, war bereits eine halbe Stunde gespielt. Die Frage bei der Pressekonferenz war: Benötigt das City-Team mehr Kampfkraft?

Solche Kritik ist inzwischen zum ständigen Begleiter des Katalanen Guardiola geworden, der seine bisherige Trainerkarriere ausschließlich in großen, erfolgreichen Vereinen (FC Barcelona, FC Bayern) verbracht hat, bei denen jede einzelne Niederlage schon ein gefühlte Krise auslöst. Auch in Manchester ist das jetzt so. Die Fans haben ein Loblied für ihren neuen Trainer entworfen - sie singen es aber nur, wenn ihr Verein gewinnt. Guardiola, 45, ist das bewusst, bei seiner Antrittsrede im Sommer sagte er: "Ich weiß, dass ihr mir nicht helfen werdet, wenn es nicht gut läuft."

Die indirekte Forderung nach besserer Zweikampfführung, die auf den ersten Blick harmlos erschien, suggerierte, dass die tief verwurzelten Fußball-Gepflogenheiten auf der Insel gerade über die Spielanschauung Guardiolas triumphieren - und der sich gefälligst anzupassen habe. Ein persönlicher Angriff also: auf den Fußballlehrer Pep Guardiola und dessen Credo der Spielkontrolle durch Ballbesitz.

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"Ich bin kein Trainer für Zweikämpfe"

Der hätte das Gespräch beleidigt abbrechen oder eine Floskel entgegen können. Stattdessen griff er ebenfalls an - und zwar die Würde des englischen Fußballs. Das hat sich vor Guardiola noch kaum einer getraut. Er schüttelte den Kopf und ächzte: "What's tackles?" Die Antwort darauf: "Tackles" gehören zum Inventar der Premier League. Für das Mutterland des Fußballs beginnt jede Aktion mit einem gelungenen Zweikampf - für Guardiola aber eben nicht. "Ich bin kein Trainer für Zweikämpfe. Ich trainiere sie nicht." Stattdessen lehrt er seine Profis, möglichst keinen davon bestreiten zu müssen, sondern die Bälle anderweitig klug zu erobern. In jedem unmittelbaren Zweikampf spiele ja der Zufall eine Rolle, weil sich nie ganz präzise prognostizieren lässt, wohin der Ball danach springt. Eine Ansicht, die bislang undenkbar war in einer Liga, in der ein intensives Tackling oft genauso laut beklatscht wird wie ein Tor.

Trotz der Verachtung von "tackles" stand Manchester City in dieser Saison in der Tabelle bisher nie schlechter als Rang fünf. Vor dem Topspiel beim FC Liverpool am Silvesterabend, bei dem sich die beiden ersten Verfolger von Tabellenführer FC Chlesea begegnen, ist selbst die Meisterschaft noch realistisch. Ein Gedanke, der die Times beunruhigt: "Guardiola glaubt, er könne den Mount Everest im T-Shirt besteigen", dichtete die Zeitung, die dem Trainer Ignoranz als Arroganz auslegte. Andere auf der Insel finden, dass der Neuankömmling Guardiola dazu neige, den Fußball zu verkomplizieren, auch durch seine perfektionistische Ruhelosigkeit.

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Die Anschuldigungen reichen tiefer als das übliche Gezanke in Premier-League-Analysen. Denn im Kern geht es weniger um Guardiola - sondern um das englische Selbstwertgefühl. Die Premier League adelt sich gerne selbst als die stärkste Liga des Planeten. Weil es dafür jedoch keinen offiziellen Beweis gibt, wird der sportliche Unterhaltungsbetrieb ständig von Selbstzweifeln geplagt. Die können nicht mal die Stars der Szene, die Leistungsdichte der englischen Klubs oder die erfolgreiche globale Vermarktung der Liga verringern. Im Gegenteil: Das internationale Abscheiden der Klubs hat die Zweifel verstärkt.

In beinahe jeder Medienrunde soll Guardiola nun seine Meinung dazu abgegeben. Doch der spielt das Spielchen - anders als sein größter Widersacher José Mourinho vom Stadtrivalen United - nicht mit. Die Antwort fällt immer genervt aus, mittlerweile klingt sie nur noch ironisch: "Ich weiß, was ihr von mir hören wollt: Die Premier League ist sooo schwierig."

Guardiola, der gerne Bescheidenheit zur Schau stellt, hat mehrfach betont, dass er nicht nach England gekommen sei, um die Mentalität und Kultur zu verändern. Aber er betont auch: "Ich habe den vergangenen sieben Jahren mit meinem Stil 21 Titel gewonnen. Ich werde mich nicht verändern. Tut mir leid!"

Das traditionelle England fremdelt mit Guardiola, das fängt schon bei der Kleidung an. Guardiola trägt statt förmlicher Anzüge mit Vorliebe schwarze Outfits, meistens Pullover und figurbetonte Jeans, dazu Sneakers. Die üblichen Werbeaufkleber der Sponsoren sind bei ihm nicht zu finden, was den Unterschied zum aktuellen Branchenliebling, seinem Liverpooler Silvester-Gegner Jürgen Klopp, noch größer erscheinen lässt. Der coacht im legeren Trainingsanzug, volksnah und zum Anfassen. Und so lässt er seine Profis bekanntlich auch spielen: schnell, intensiv, emotional. Die Menschen in Liverpool lieben es, wenn sich ihre Idole verausgaben.

Einige schmerzliche Resultate

Die Faszination macht bei Guardiola die Andersartigkeit aus. Es ist ja nicht nur das Outfit, das ihn abhebt, sondern sein Denken, sein Reden und der Spielstil seiner Teams. Ihn tangiert es wenig, dass sein Keeper Claudio Bravo weder besonders viele Schüsse abwehrt noch den Strafraum sonderlich souverän beherrscht. Hauptsache die Füße des Torhüters gehen gut mit dem Ball um: "Bis zu meinem letzten Tag als Trainer werde ich versuchen, das Spiel über den Torwart aufzubauen."

Ein paar schmerzliche Resultate, wie das 0:4 in der Champions League in Barcelona und das 1:3 gegen Liga-Primus Chelsea, haben Guardiola dazu gebracht, seine Vorstellungen vom Spiel mit maximalem Ballbesitz etwas aufzuweichen. Seine Defensive kann die komplexen technischen Anforderungen bisher nicht erfüllen. Dazu kommt die schwere Knieverletzung von Nationalspieler Ilkay Gündogan. Die Optionen im zentralen Mittelfeld gehen aus.

Zudem ist der Ball in der Premier League häufiger in der Luft als in anderen Ligen. Das Spiel an sich wird dadurch weniger vorhersehbar. Die meisten Vereine ziehen gepflegtem Spielaufbau den hohen Pass zum gegnerischen Strafraum vor. Da bringt es keinen Vorteil, früh zu pressen, wie Guardiola es bevorzugt, weil der angelaufene Gegner den Ball umgehend wegschlägt. "Was in Spanien und Deutschland funktioniert, funktioniert hier nicht immer", hat Guardiola erkannt. Die Frage der Zukunft wird sein, ob er der stolzen Liga beweisen kann, dass Erfolg auch ohne die ur-britischen Werte möglich ist.

© SZ vom 30.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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