Süddeutsche Zeitung

Frankreich bei der EM 2021:Pavard braucht eine Pause für den Kopf

Lesezeit: 3 min

Zwei Spiele, zwei Erschütterungen: Bei der Frage, ob er Benjamin Pavard früher hätte auswechseln sollen, gibt sich Frankreichs Trainer Deschamps selbstkritisch. Ob der Bayern-Profi wenigstens gegen Portugal geschont wird?

Von Claudio Catuogno, Budapest

Der Gesundheitszustand des FC-Bayern-Verteidigers Benjamin Pavard war schon mehrmals Thema bei dieser EM, und er ist es jetzt wieder, am Tag vor dem letzten Gruppenspiel der Franzosen gegen Portugal in Budapest. In der ersten Partie, dem 1:0-Sieg gegen die deutsche Elf in München, war Pavard in einem heftigen Zweikampf mit Robin Gosens am Kopf getroffen worden und danach minutenlang auf dem Rasen gelegen.

Er sei da "für zehn, 15 Sekunden ein bisschen k.o." gewesen, bekannte Pavard hinterher - und die Frage, die in der Folge auch die EM-Organisatoren der Uefa umtrieb, lautete: War es vertretbar, dass Pavard trotzdem weiterspielte?

Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps verteidigt die Entscheidung seiner Teamärzte bis heute mit viel Verve, und mit vermeintlich guten Argumenten: Pavard sei zwar benommen, aber eben nicht k.o. im Sinne von bewusstlos gewesen, und das für solche Kopftreffer vorgesehene Protokoll, das verhindern soll, dass Fußballer mit übersehenen Gehirnerschütterung Folgeschäden riskieren, sei eingehalten worden.

Am Tag nach dem Spiel wurde dann extra ein auf die Gehirnanalyse spezialisierter Neurologe mit Folgeuntersuchungen beauftragt. Die offizielle Lesart lautete auch danach: keinerlei Veränderungen festzustellen, alles korrekt gelaufen.

Insofern musste man dann zweimal hinhören, als Deschamps Anfang dieser Woche in der Sendung Téléfoot des französischen Senders TF1 zugeschaltet war und mit Blick auf Pavard bekannte, er hätte ihn vielleicht besser auswechseln sollen. Verzögerte Einsicht? Späte Kehrtwende? Keineswegs.

Das Urteil bezog sich nämlich nicht auf den Münchner Zusammenstoß, sondern auf eine unglückliche Szene im zweiten Spiel, dem 1:1 gegen Ungarn in Budapest. Da war Pavard gleich am Anfang in ein Luftduell mit dem späteren Torschützen Attila Fiola verwickelt - der Franzose lag auf Schulterhöhe des Ungarn quer in der Luft und knallte aus dieser Position auf den Rasen.

Danach wirkte er in zahlreichen Szenen, als spiele er zeitverzögert. Er sah beim ungarischen Führungstreffer schlecht aus, gewann nur drei von sieben direkten Zweikampfduellen und hatte damit die schlechteste Quote von allen Franzosen, wie die Sporttageszeitung L'Équipe errechnete. Und trotzdem ließ ihn Deschamps in der prallen Sonne und bei Temperaturen weit über 30 Grad noch 90 Minuten lang die rechte Seite hoch und runter hecheln.

Wirkte der Kopftreffer von München nach? Die Frage beschäftigt Frankreichs Medien

"Er war am Anfang des Spiels sehr schwer gestürzt", sagte Deschamps, "das hatte einen Einfluss. Aber wenn die Spieler auf dem Platz sind, wollen sie dort bleiben, selbst wenn sie nur noch auf einem Bein laufen." Im Nachhinein sei man schlauer, aber die Szene habe sich weit entfernt von der französischen Bank abgespielt. Und "weil Benjamin mich über seinen Zustand nach dem Sturz nicht informiert hat, hatte ich keine Informationen". Mal abgesehen vom Augenschein vielleicht? Ja, gab Deschamps zu: "Ich hätte ihn rausnehmen können. Aber ich habe es nicht getan."

Eine in französischen Medien diskutierte Frage ist nun: Hatte das eine vielleicht doch mit dem anderen zu tun? Litt Pavard unter dem Sturz in Budapest noch ein bisschen mehr, weil der Kopftreffer von München doch noch nachwirkte? Die L'Équipe zitierte den renommierten Sportmediziner Bernard Dusfour, als Vorsitzender der Medizinischen Kommission der heimischen Rugby-Liga mit dem Thema mehr als vertraut, mit der Einschätzung: Auch ohne erkennbare Beeinträchtigungen des Gehirns könne die Folge eines Kopftreffers ein über Tage nachwirkender Leistungsabfall sein. Aber genau weiß man das natürlich nie.

Weshalb die in französischen Medien noch intensiver diskutierte Frage nun doch die ist, ob Pavard wenigstens am Mittwochabend gegen Portugal geschont wird.

Das dürfte wahrscheinlich sein, schon weil Deschamps sich kaum wird nachsagen lassen wollen, erst die unterbliebene Auswechselung gegen Ungarn zu bedauern - Pavard dann aber ohne Not gegen Portugal wieder ins Feuer zu schicken. Ohne Not, weil Les Bleus schon vor dem Spiel sicher als Gruppendritter fürs Achtelfinale qualifiziert sind. Bei einem Sieg blieben sie sicher Gruppenerster, und schon deshalb sei "das Spiel natürlich wichtig", sagte Deschamps.

Aber "ich schließe auch nicht aus, dass es bei den Spielern Rotation gibt; bei diesem EM-Rhythmus, mit einem Spiel alle vier Tage, ist Frische wichtig". Bei der WM 2018 in Russland hatte Deschamps im dritten Spiel gegen Dänemark die halbe Mannschaft ausgetauscht - selbstbewusst genug, dass dann im Achtelfinale die Automatismen der Stammbesetzung trotzdem wieder greifen. Heraus kam ein ernüchterndes 0:0 gegen Dänemark. Am Ende waren die Franzosen Weltmeister.

Ein möglicher Ersatz rechts hinten könnte Jules Koundé, 22, vom FC Sevilla sein, es wäre erst sein zweites Länderspiel. Aber Deschamps hält eben sehr viel vom Münchner Rechtsverteidiger (37 Länderspiele, zwei Tore), insofern wird Benjamin Pavard seinen Stammplatz spätestens im Achtelfinale wieder zurückbekommen, solange er nicht auf einem Bein auflaufen will.

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