Paul Biedermann enttäuscht in London:Komische Geschichten im Wasser

Seit Jahren hat der Weltrekordhalter Paul Biedermann auf das Finale über 200 Meter Freistil hingelebt. Nun wird er Fünfter in einem Rennen, das der Franzose Yannick Agnel eindrucksvoll dominiert. Man kann das als Stagnation des Deutschen werten. Oder als Beharrungsvermögen. Biedermann selbst jedenfalls ist ausdrücklich "nicht zufrieden".

Claudio Catuogno, London

Jetzt hat er also doch noch sein Finale bekommen, ist doch noch Teil geworden dieses wohl spektakulärsten Endlaufs der Schwimm-Wettbewerbe. "Kampf der Giganten", das sagt sich so leicht daher. Aber was sonst sollen diese Männer sein, jedenfalls wenn man den olympischen Maßstab anlegt?

London 2012 - Schwimmen

Alles andere als euphorisch: Paul Biedermann nach dem 200-Meter-Finale in London.

(Foto: dpa)

Von links nach rechts: Olympiasieger und Weltmeister Ryan Lochte (Bahn 2), Olympiasieger und Weltmeister Park Taeh-wan (3), Olympiasieger und Weltmeister Sun Yang (4), Europameister Yannick Agnel (5), dazu Danila Isotow, Gewinner zweier olympischer Staffel-Medaillen (7). Und der Brite Robbie Renwick (1), was die Engländer in Ektase versetzte.

Michael Phelps hatte freiwillig auf die 200 Meter Freistil verzichtet angesichts dieses Teilnehmerfeldes. Aber er war mittendrin. Auf Bahn 6: Paul Biedermann, 25, Praktikant der Wasserwerke Halle/Saale, wie gelegentlich noch in offiziellen Nachschlagewerken vermerkt wird, obwohl das Praktikum Jahre her ist. Auf dem Papier ist Biedermann: der Ober-Gigant.

Vor jedem Vorlauf und vor jedem Halbfinale war sein Name zu lesen in den Übertragungen und in den Startlisten. Biedermann hält seit der WM 2009 den Weltrekord über die 200 Meter: 1:42,00 Sekunden. Er hat sich dieses Rennen tausendmal vorgestellt in den letzten zwei, drei Jahren. Und nun? Lief es an ihm vorbei.

Platz fünf. Wie schon vor vier Jahren in Peking. Man kann das jetzt als Stagnation werten. Oder als Beharrungsvermögen. Biedermann selbst jedenfalls ist ausdrücklich "nicht zufrieden - die Zeit war ein bisschen zu langsam. Aber es ist wie es ist. Damit muss ich jetzt umgehen." Man hat Paul Biedermann aber auch schon deutlich enttäuschter gesehen in den letzten Tagen. Zwischendurch schien es ja, als habe er jede Beziehung zum Wasser verloren. Diesmal, immerhin "hat es sich gut angefühlt". Es hätte halt bloß ein bisschen schneller sein können.

Wer dieses Rennen gewinnen, würde, das war bemerkenswert schnell klar. Im Grunde schon seit dem Abend vorher, als der Franzose Yannick Agnel im Endspurt der 4x100-Meter-Freistil-Staffel den Amerikaner Ryan Lochte abgehängt hatte. Agnel schwamm auch jetzt stramm vorneweg zum Start-Ziel-Sieg in 1:43,14 Sekunden.

Dahinter wälzten sich drei weitere Schwimmer durchs Wasser im Kampf um die entscheidenden Hundertstel: der Chinese Sun, der Südkoreaner Park und der Amerikaner Lochte. Kopf an Kopf, Schulter an Schulter - und tatsächlich schlugen die beiden Asiaten dann zeitgleich an (1:44,93). Sie teilen nun Silber - Bronze gibt es nicht. Auch nicht für Ryan Lochte (1:45,04).

Ein paar schlimme Tage

In dieser Gruppe hatte Biedermann (1:45,53) eigentlich dabei sein wollen. Um sich dann zu verbessern im Vergleich zu Peking 2008 - ohne Vierter zu werden. Das war der Plan. Nicht zu ambitioniert für den Weltrekordhalter, auch wenn diese Zeit noch aus der Phase der inzwischen verbotenen Hightech-Schwimmhäute stammt. Aber Biedermann hat ein paar schlimme Tage hinter sich in London.

Gleich am Samstagmorgen scheiterte er im Vorlauf über 400 Meter Freistil, auf denen er ebenfalls die globale Bestmarke hält. Sein Trainer Frank Embacher erklärte die schwache Zeit zwar mit einer falschen Vorgabe, die er Biedermann mit ins Rennen gegeben habe. Aber das war vermutlich nur ein Grund von vielen. Am Sonntag quälte sich Biedermann durch den Vorlauf über 200 Meter. Am Abend im Halbfinale wirkte er dann wie ausgetauscht. "Zwei Schritte weg von der Wand" seien das gewesen, sagte er.

Was war dazwischen geschehen? Jetzt kam die nächste erstaunliche Geschichte ins Spiel. Zuhause in Halle/Saale hatte nämlich der Schwimmer und Trainersohn Toni Embacher Unterwasseraufnahmen der Rennen gesehen, und er fand, dass da etwas an Biedermanns Beinschlag nicht stimmte. Er griff zum Telefon. Erst wollte ihm die Ferndiagnose niemand glauben. Dann legte sich Biedermann auf eine Liege, der Physiotherapeut zog, es knackte.

So hat das Embacher am Sonntagabend erzählt. Mehr Details wollte aber auch Biedermann jetzt nicht preisgeben. "Man wird halt schnell mal Fünfter in so einem Rennen, wenn man nicht hundert Prozent fit ist", sagte er nur. Alles in allem sind ihm jedenfalls ein paar komische Geschichte zu viel passiert in dieser Woche.

Seit den beiden WM-Bronzemedaillen 2011 in Shanghai experimentierte das Duo Biedermann/Embacher an der Frage herum: Wo können sie noch ein paar Zehntel herausholen? Und nun war es so: Mit der Zeit aus Shanghai (1:44,88) hätte Paul Biedermann in London Silber gewonnen.

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