Party in Darmstadt:Das letzte Loblied

Nach einer unbedeutenden 0:2-Niederlage gegen Gladbach beginnen beim SV 98 erst die Feierlichkeiten - und dann die Personalgespräche. Wichtige Spieler verlassen den Klub.

Von Johannes Aumüller, Darmstadt

Der Ball wollte und wollte nicht ins Aus gehen, und als er endlich mal dort landete, da war's ein Eckball, und da wollte der Schiedsrichter dann keinen Wechsel zulassen. Also musste Marco Sailer noch ein bisschen warten, aber nach 75 Minuten war es so weit, da ging die Tafel hoch, die Nummer 7 leuchtete auf und Sailer, den sie in Darmstadt alle nur Toni nennen, durfte unter dem großen Applaus noch einmal auf den Platz, wo fortan jede Tat von ihm Begeisterung nach sich zog - und wenn es nur so schien, als könne er mit dem letzten Härchen seines mächtigen Bartes den Ball touchieren.

So viel haben sie zu feiern gehabt an diesem Nachmittag im altehrwürdigen Böllenfalltor-Stadion zu Darmstadt. Den Toni Sailer etwa, dessen fußballerische Qualitäten leider nicht ganz mit seinen bartlichen mithalten, weswegen er die Lilien nun nach drei Jahren verlässt, aber doch weiter ganz fest zur Klub-Familie gehört. Diese Nachricht auf der Anzeigetafel, dass der Lokalrivale Frankfurt beim Spiel in Bremen kurz vor Schluss das 0:1 kassierte und jetzt noch in die Relegation muss. Den - erfolgreichen - Heiratsantrag von Mario Vrancic nach dem Spiel an seine Freundin. Und natürlich sich selbst und den ganzen Klub und diese wunderschöne Geschichte vom unerwarteten Klassenerhalt, was die passende Einstimmung war für die abendliche Saisonabschluss-Party auf dem Karolinenplatz in der Innenstadt, mit der sie reichlich Erfahrung haben. In den vergangenen beiden Jahren haben sie da jeweils den Aufstieg gefeiert, jetzt endete erstmals seit 2013 eine Darmstädter Saison nicht mit einem Aufstieg, aber so ein Bundesliga-Klassenerhalt lässt sich ja auch genießen.

SV Darmstadt 98 v Borussia Moenchengladbach - Bundesliga

Marco Sailer kam spät ins Spiel, wurde aber für jede Aktion von den Fans gefeiert. Der SV Darmstadt kann sich trotz Niederlage über den Klassenerhalt freuen.

(Foto: Alexander Scheuber/Getty Images)

André Schubert formuliert ein "ganz großes Kompliment"

In dieser Feierstimmung war es natürlich auch herzlich egal, dass die eigene Mannschaft den Party-Abschluss nach Toren von Thorgan Hazard (31.) und André Hahn (61.) in einem sportlich bedeutungslosen Spiel mit einem 0:2 gegen Mönchengladbach begehen musste. Es bleibt auch so eine der schönsten Geschichten der jüngeren Bundesliga-Historie, wie sich dieser Klub aus Südhessen mit kleinem Etat, kaum Bundesliga-tauglichen Strukturen sowie einer skurrilen Combo aus Aufstiegshelden und andernorts durchgefallenen Spielern a) ganz viele Sympathien und b) den Klassenerhalt sicherte. Gladbachs Trainer André Schubert, der mit seiner Mannschaft Platz vier feiern durfte, war es vorbehalten, als Abschluss-Laudator das "ganz große Kompliment" zu formulieren, das an dieser Stelle zahlreiche Trainer in dieser Spielzeit so in Richtung Darmstadt formuliert hatten.

Diese Loblieder sind verdient, aber irgendwie beschleicht einem das Gefühl, dass zumindest manche Darmstädter diese Loblieder nun auch schon zur Genüge vernommen haben und selbst längst in Richtung der Saison 2016/17 schauen. Trainer Schuster tat sogar kund, vor der Innenstadt-Feier noch im Büro mit dem Trainerteam ein paar Personalien zu besprechen.

Mathenia und Wagner gehen - wer noch?

Die erprobte Floskel, nach der es sich im zweiten Jahr immer um das schwierigste handelt, ist beim Ausblick auf die kommende Spielzeit nur das geringste Problem. Torwart Christian Mathenia, eine beständige Säule, hat seinen Abschied angekündigt, ebenso Mittelstürmer Sandro Wagner, und das dürfte besonders wehtun. Unerwartet bedeutend war die Rolle des Angreifers, den die Darmstädter auf ihrer Scouting-Tour nach gestandenen, aber andernorts durchgefallenen Bundesliga-Recken verpflichteten: 14 Tore, eine direkte Beteiligung an fast 50 Prozent aller Darmstädter Treffer.

Schema & Statistik

Alle Daten und Fakten zum Spiel stehen hier.

Natürlich spielt er eine ordentliche Ablösesumme ein, natürlich können die Darmstädter ob ihrer guten Erfahrungen aus dem vergangenen Sommer darauf hoffen, dass sie vielleicht noch einmal so einen gestandenen, aber andernorts durchgefallenen Mittelstürmer verpflichten können, aber schwierig wird es gleichwohl, diesen Sandro Wagner zu kompensieren. Zumal der Etat nicht plötzlich durch die Decke gehen wird, etwas mehr als die 16 Millionen Euro der abgelaufenen Saison dürften die Spielbetriebsausgaben schon betragen, aber so überragend viel mehr eben auch nicht.

Und dann ist da neben dem Kader noch eine, vielleicht noch größere Baustelle: das Stadion, das seit 1921 unter den alten Bollen - hochdeutsch Pappeln - in Darmstadts Südosten steht. Natürlich hat es keinen geringen Anteil an der sympathischen Gallier-Story Darmstadts, dass sie ihre Heimspiele in einem Stadion bestritten, das vor fast 100 Jahren errichtet wurde und dessen Kabinen an einen Kreisligisten erinnern. Andererseits hätten sie in Darmstadt auch gerne eine Arbeitsstätte, wo die Kabinen nach einem Training oder Spiel eine Bundesliga-würdige Möglichkeit zur Nachbehandlung hätten. Die Stadionfrage schwelt schon seit Längerem, geplant ist ein Neubau bis 2018, aber dieser Zeitplan ist arg ambitioniert - zumal nun auch der Nachbar des Geländes, die Technische Universität, Bedenken gegen den Bebauungsplan hat. Selbst ein Weggang vom traditionellen Standort scheint nicht mehr unmöglich zu sein.

Aber das wollten sie am Samstag dann doch mal kurz ausblenden, um zu berechtigten Feiern überzugehen. Aber auch wirklich nur kurz.

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